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Suffizienz im Gebäudebereich

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Status Quo Gebäudebereich 

Neben der Energie- und Verkehrswende erfährt die Bau- und Wohnwende in politischen Debatten wenig(er) Aufmerksamkeit, obwohl auch der Gebäudesektor seine Klimaziele nicht einhält [1] und der enorme Ressourcenhunger und Flächenfraß andere planetare Grenzen gefährdet. So werden in Deutschland täglich rund 30 ha für Siedlungs- und Verkehrsfläche neu „verbraucht“ [2]. Zugleich ist die gebaute Umwelt auch unter sozialen Gesichtspunkten unter besonderer Beobachtung, da sie den Grundpfeiler zur Erfüllung des Grundbedürfnisses auf angemessenen Wohnraum darstellt. 

Zur Lösung der vielschichtigen Problemlage verfolg(t)en Politik und Planungs- bzw. Baupraxis vor allem die technischen Ansätze “Bauen, Bauen, Bauen”, Wärmedämmung und Einsatz erneuerbarer Energien sowie nachwachsender bzw. zirkulärer Materialien – allerdings mit mäßigem Erfolg. Deshalb gewinnt in Forschung, Zivilgesellschaft sowie Architektur und Baufachöffentlichkeit die Suffizienzstrategie im Gebäudebereich zunehmend an Bedeutung. Das wird u.a. an den Forderungen der Architects for Future, einem von vielen Akteuren unterzeichneten offenen Brief für ein Abrissmoratorium und neubaukritischen Positionen der Bundesstiftung Baukultur, der Bundesarchitektenkammer und des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten deutlich. Auch dieser Blog thematisierte bereits einzelne Themen [3]. 

Suffizienzansätze im Gebäudebereich 

Einen Beitrag zur Systematisierung des breiten Suffizienz-Diskurses im Gebäudebereich liefert die Studie „Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich“ von ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, Wuppertal Institut und BTU Cottbus-Senftenberg im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). [4] 

Zu Beginn führt die Studie den Begriff der Gebäudesuffizienz ein und beschreibt ihn anhand von fünf übergeordneten Zielen näher: 

  • (Um-)Bauen im Bestand statt (Abriss und) Neubau, um die beim Bau bereits bestehender Gebäude entstandenen Emissionen und Umweltwirkungen möglichst sinnvoll zu “nutzen”, deren baukulturellen Wert zu schätzen und weniger neue Emissionen zu verursachen 
  • Reduktion des Pro-Kopf-Flächenbedarfs, um absolute Reduktion der Umweltwirkungen zu erreichen und umweltschädlichen Neubau zu vermeiden 
  • Anpassbarkeit einplanen, um bei sich zukünftig verändernden Anforderungen an Gebäude ressourcenaufwändigen Neubaudruck und Umbaubedarf zu mindern 
  • Einfache bzw. Lowtech-Konzepte in der Baukonstruktion und Gebäudetechnik zur Vermeidung von Redundanz, Fehleranfälligkeit und Wartungsaufwand 
  • Sparsames Nutzer:innen-Verhalten beim Heizen (z. B. 19 statt 22 °C), der Warmwassernutzung (kürzer und kälter duschen) und elektronischen Verbrauchern (geringere Waschtemperaturen, reduzierte Beleuchtung)  

 

Auch konkret an (um-)gebauten Beispielen Interessierte werden in dem Bericht fündig, da einzelne Leuchtturmprojekte für Gebäudesuffizienz angeführt werden. 

Potenziale von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich 

Bisher mangelt es an konkreten Quantifizierungen zu den Einsparpotenzialen durch die Umsetzung von Gebäudesuffizienzmaßnahmen bzw. an der Berücksichtigung in Szenarien, weshalb die Autor:innen sich dem mit verschiedenen Ansätzen widmen. In den Kategorien Wohnfläche, Treibhausgasemissionen, Energie-, Ressourcen- und Flächenbedarf wurden verschiedene Varianten unterschiedlicher Suffizienzausprägung berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem eine Reduktion der Pro-Kopf-Wohnfläche relevante Einsparungen erzielen kann. Im besten Fall sinken die jährlichen Emissionen im Gebäudebetrieb um rund 11 Mio. Tonnen und bei den grauen Emissionen, die bei der Herstellung der Baustoffe und des Gebäudes anfallen, um rund 9 Mio. Tonnen. 

Vorschläge für Politikinstrumente 

Trotz der Potenziale und Unterstützer:innen ist die Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz auch in den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen weiterhin unterrepräsentiert. Daran ändern auch einzelne Lichtblicke, wie die Aussage der Bundesbauministerin Klara Geywitz zur Zukunft der Einfamilienhäuser oder das durchaus progressive Positionspapier der deutschen Bundesregierung zum Neuen Europäischen Bauhaus wenig. Deshalb wurden durch die Forschungsnehmer:innen Vorschläge für Politikinstrumente erarbeitet und anhand von sieben Steckbriefen beschrieben: 

  • Umsetzung einer Nationalen Effizienz- und Suffizienzstrategie, um die Bedeutung von Suffizienz übergeordnet und gesamtgesellschaftlich zu kommunizieren und einzuordnen 
  • Die Öffentlichkeitsarbeit und bundesweite Kampagnen (z. B. „80 Millionen für Energiewechsel“) müssen suffizienzorientiert umgesetzt werden. 
  • Suffizienz muss bei (Um-)Bauvorhaben von Bundesgebäuden ambitioniert umgesetzt werden, so dass der Bund seiner Vorbildrolle gerecht wird.  
  • Prozessuale und finanzielle Unterstützung der Kommunen beim Aufbau von Katastern zu Leerstands- und Nachverdichtungspotenzialen zur Schaffung einer Datengrundlage, um Suffizienzansätze in kommunale Planungsprozesse integrieren zu können 
  • Die Aus- und Weiterbildung von Energieberater:innen sowie die Pflichtinhalte von geförderten  Beratungsangeboten müssen um suffizienzorientierte Inhalte erweitert werden. 
  • Für vergleichbare Finanzierungsbedingungen braucht es eine Suffizienz-gewichtete Förderlandschaft, u.a. durch stufenweise Minderung der Neubauförderung und eine stärkere Forcierung des (Um-)Bauens im Bestand. 
  • Mit Anpassungen im Bau- und Planungsrecht können die vielfältigen bau- und planungsrechtlichen Hindernisse von z. B. Wohnungsteilungen oder Aufstockungen reduziert werden.  
  • Die Einhaltung der Flächenziele sollte mit Instrumenten, wie z. B. Flächenzertifikatehandel, unterstützt werden. 
  • Auch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) bedarf einer Weiterentwicklung im Sinne der Suffizienz, u.a. durch die Integration der Umweltwirkungen in der Herstellungsphase, nachgeschärften Anforderungen und personenbezogene Kennwerte. 

Die erarbeiteten Vorschläge und daraus abgeleiteten Maßnahmenpakete stellen für Politiker:innen sowie Entscheider:innen auf kommunaler Ebene eine Hilfestellung dar, um Suffizienz im Gebäudebereich in die Anwendung zu bringen und damit die bezifferten Suffizienzpotenztiale zur Unterstützung der sozial-ökologischen Transformation zu heben. 

Literatur 

[1] Expertenrat für Klimafragen (25.05.2022): Prüfbericht zu den Sofortprogrammen 2022 für den Gebäude- und Verkehrssektor 

[2] Destatis (2021a): Online-Plattform der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS), Flächeninanspruchnahme – Indikator 11.1.a: Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche. https://sustainabledevelopment-deutschland.github.io/11-1-a/ 

[3] Tiny Houses, Flächensparen, Neubauverbot, UMBaukultur, Housing for Degrowth, der Herausforderung Wohnfläche und der Vergesellschaftung von Wohnraum  

[4] Zimmermann, Patrick; Brischke, Lars-Arvid; Bierwirth, Anja; Buschka, Michael (2023): Unterstützung von Suffizienz-Ansätzen im Gebäudebereich. BBSR-Online-Publikation 09/2023. https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/programme/zb/Auftragsforschung/5EnergieKlimaBauen/2021/suffizienzansaetze/01-start.html  

1 Kommentare

  1. Zum Thema „Einfache bzw. Lowtech-Konzepte in der Baukonstruktion und Gebäudetechnik“ im Hinblick auf Kühlung (die künftig eine größere Rolle spielen wird als bisher) gab’s gerade was auf Qantare.de ( ? https://de.qantara.de/inhalt/hot-cities-lessons-from-arab-architecture-denkanstoesse-fuer-die-stadt-der-zukunft ). Denn in Arabien ärgert man sich ja schon immer mit Hitze rum. Was wir dort lernen können:

    * dicke Mauern aus atmungsaktivem Material wie Lehm
    * hohe Decken und Kuppeln
    * schattige Innenhöfe
    * kleine Fenster nach außen
    * große Fenster nach innen zum schattigen Hof
    * Windtürme (Schlote, durch die Wind zieht und für Lüftung sorgt)
    * feuchte Tücher vor dem Luftstrom der Windtürme
    * Innenhöfe nicht versiegeln, sondern am besten bepflanzen

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