Standpunkte

Für ein neues europäisches UMBauhaus!

Schreibe einen Kommentar

Forderungen für ein wachstumskritisches europäisches Bauhaus aus Weimar im Rahmen einer sozial-ökologischen Transformation

Ein neues europäisches Bauhaus soll es richten: Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen möchte mit fünf EU-Bauhäusern die Akzeptanz des Green Deal erhöhen und den Kontinent klimaneutral machen. Es geht dabei jedoch nicht nur um Architektur, Design oder Städtebau – sondern darum, welche Idee von Moderne und Fortschritt hier verkörpert werden soll. Der britische Journalist George Monbiot schrieb 2017: „Progress in the 21st Century should be measured less by the new infrastructure you build than by the damaging infrastructure you retire“. In diesem Sinne schlagen die Autor*innen dieses Beitrags ein wachstumskritisches UMBauhaus vor.

Ausgangsposition klären: Wo stehen wir heute?

Diese Perspektive ist an der Bauhaus-Universität Weimar verortet – einer Institution, die sich in der Nachfolge des Staatlichen Bauhauses (1919-1933) sieht. Für das Fundament eines Neuen Europäischen UMBauhauses ist daher eine selbstkritische Bestandsaufnahme unabdingbar: In wessen Namen wird gehandelt, in welchen Kontinuitäten stehen wir? Gefragt ist dabei Differenzierung und Reflexion, denn die ursprünglichen Ansätze des Bauhauses erscheinen kreativ, humanistisch, experimentell, ja nachhaltig. Doch die Geschichte des Bauhauses ist auch ambivalent und handelt von der Einbindung in industrielle Massenproduktion, Wachstumslogiken und zum Teil eben auch demokratiefeindlichen Bewegungen (Schneider 1999:299f.). Das historisierende Bild des Bauhauses, das von der EU-Kommission bemüht wird, sagt wohl mehr über die Gegenwart als über die Vergangenheit aus.

Angesichts dieser Komplexitäten sehen wir den gemeinsamen Ausgangspunkt als einen schlichten emanzipatorischen Auftrag: So setzten sich viele Bauhäusler*innen kritisch mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander, in der Überzeugung, dass Gestaltung politisch ist (vgl. Savvy Contemporary e.V. 2019). Die Perspektive ist dadurch zwingend eingebettet in grundsätzliche Fragestellungen der Gestaltung von Gesellschaft jenseits von Expansion und Externalisierung – und in Richtung einer sozial-ökologischen, „großen“ Transformation.

Kompass neu ausrichten: Die Erzählung vom neuen UMBAU der Gesellschaft

Die Transformationsforscherin Kora Kristof (2020) vom Umweltbundesamt identifiziert vier Faktoren, die für gelingende Transformation wichtig sind: Ein Narrativ als Treiber und Kompass ausarbeiten, das Testen im kleinen Maßstab, die Begleitung der Umsetzung – und nicht zuletzt Rahmenbedingungen für Verbreitung schaffen. Um sich langfristig für eine transformative und ökologische, „andere“ Moderne einzusetzen, tut ein europäisches UMBauhaus gut daran, sich genau an diesen Erfolgsfaktoren zu orientieren.

Denn für diesen Weg braucht es Orientierungen und Treiber. Die zentrale These handelt davon, dass angesichts planetarer Grenzen weniger neu gebaut und produziert werden soll. Das neue europäische UMBauhaus zeigt auf, dass stattdessen die materiellen Infrastrukturen unserer Gesellschaft, aber auch unsere politischen und mentalen Infrastrukturen umgebaut (bzw. rückgebaut) werden müssen. Dafür braucht es eine radikale Bauwende bzw. Materialwende, Suffizienz als leitendes Prinzip (Böcker et al. 2021) und eine Zuwendung zu demokratischer Planung innerhalb eines global klimagerechten Korridors. Das leitende Motiv, auf das dabei alle Wegweiser zeigen, lautet: Globale Kooperation statt internationale Konkurrenz.

Testräume des realen EXperimentierens

Prototypen und Reallabore helfen aus der Sackgasse: Im Rahmen des europäischen UMBauhauses müssen allerdings Exnovationen (und nicht Innovationen) im Fokus stehen, weswegen einzelne zentrale RealEXperimente forciert werden, die zukünftige Anpassungen und Entwicklungen vorwegnehmen (vgl. zu Exnovationen Krüger 2020). Der experimentelle Umbau von bestehenden Infrastrukturen richtet sich beispielsweise auf den gemeinschaftsorientierten Umbau von Einfamilienhausgebieten, die Entsieglung von großen geteerten Plätzen und Anpflanzen urbaner Wälder, die Konstruktion modularer Holzbauten auf PKW-Stellplätzen, das Aufbereiten ausrangierter Möbel usw. Nicht mehr benötigte Autohäuser werden als Gewächshauser umgenutzt, Verkaufsregale zu Teil-Stationen. Im Kleinen wie auch im großen Maßstab brauchen diese EXperimente den Erfinder*innengeist eines modernen und wachstumskritischen (Um)Bauhauses. Daher sollte auch in der universitären Lehre die Reparatur des Bestehenden einen höheren Stellenwert einnehmen und (Konstruktions-)Materialien auch aus zweiter Hand finanziell gefördert werden.

Prozesse der begleitenden Umsetzung konzipieren

Wir fragen uns nicht nur „Wie kommt das Neue in die Welt?“, sondern auch: „Wie kann das Alte abgelöst werden?“. Besondere Förderung erhalten daher Projekte, die eine kreative Nutzung des Alten oder von Resten und „Abfällen“ denken (im Gegensatz zur Neu-Produktion) z.B. in Open Calls und dabei Phase-In gerecht mit Phase-Out verbinden – Stichwort „Just Transition“ (Heyen et al. 2020). Ziel ist es die Gestaltung an wirklichen gesellschaftlichen Bedürfnissen, statt am Europäischen Green Deal zu orientieren. Dezentrale Koproduktion, nach dem Prinzip des Commoning (vgl. Helfrich/Bollier 2015) und partizipative Prozesse sind dafür unabdingbar. Eine Grundregel des gesellschaftlichen Upscalings besteht darin, im Rahmen der Arbeiten am neuen europäischen UMBauhaus keine neuen Flächen zu versiegeln und keine fossilen Rohstoffe oder Energieträger zu nutzen. Dabei sollten ressourcenschwache und immaterielle Entwürfe bevorzugt werden (vgl. Burckardt 2012 und Welzer/Sommer 2014).

It‘s the infrastructure, stupid: Strukturen für Verbreitung schaffen

Letztlich ist es für den Erfolg des Unterfangens entscheidend, wie der politisch-gesellschaftliche Rahmen hinterfragt und umkonstruiert wird. Auch dieses Hinterfragen und Umdenken können durch Design-Interventionen und Performances gefördert werden und werden es auch schon, wie „Sitzdemo“ von Viola Kup oder The Yes Men immer wieder zeigen (vgl. Pfeffer 2014:73). Fragen der Gestaltung von Institutionen, Konventionen, Gesetzen etc. müssen explizit miteinbezogen und Entscheidungsprozesse intern wie extern von Beginn an demokratisiert werden. Rahmenbedingungen auf globaler, (supra-)nationaler und auch lokaler Ebene werden fokussiert, damit Strukturen für Verbreitung der Impulse aus dem UMBauhaus geschaffen werden. Was müsste sich mental und politisch ändern? Wie kann das Ende geplanter Obsoleszenz, das Verbot von Beton oder erdölbasierten Produkten in Architektur und Design, die Förderung von Urban Mining und Upcycling institutionell abgesichert werden? Kurzum: Welche Rolle kann ein heutiges Bauhaus für eine Welt jenseits des Wachstums einnehmen?

 

Literatur:

Böcker, Maike et al. (2021): Wie wird weniger genug? Suffizienz als Strategie für eine nachhaltige Stadtentwicklung. München: Oekom Verlag.

Burckhardt, Lucius (2012): Design ist unsichtbar. Entwurf, Gesellschaft und Pädagogik. Blumenthal, S. et al. (Hrsg.). Berlin: Martin Schmitz Verlag

Heyen, Dirk Arne, et al. (2020) Just transition in the context of EU environmental policy and the European Green Deal. https://www.researchgate.net/profile/Dirk-Heyen/publication/341129913_Just_transition_in_the_context_of_EU_environmental_policy_and_the_European_Green_Deal/links/5eda4e6945851529453733b1/Just-transition-in-the-context-of-EU-environmental-policy-and-the-European-Green-Deal.pdf (14.05.2021)

Krüger, Timmo (2020): Wider den Innovationsimperativ! Eine Kritik am Konzept der sozialen Innovation aus Postwachstumsperspektive. Brokow-Loga, A., Eckardt, F. (Hrsg.): Postwachstumsstadt: Konturen einer solidarischen Stadtpolitik. S. 120-137. München: Oekom Verlag.

Monbiot, George (2017): Space Savers. Online verfügbar unter: https://www.monbiot.com/2017/06/05/%EF%BB%BF-space-savers/ (14.05.2021)

Pfeffer, Florian (2014): To do: die neue Rolle der Gestaltung in einer veränderten Welt. Strategien, Werkzeuge, Geschäftsmodelle. Zweite Auflage. Mainz: Verlag Hermann Schmidt.

Savvy Contemporary e.V. The Laboratory of Form-Ideas (2019): SPINNING TRIANGLES: Anstoss zu einer SCHULE für GESTALTUNG. Konzept. Online verfügbar unter https://savvy-contemporary.com/site/assets/files/5438/savvy_spinningtriangles_allprogramme_concept_de_200620_web.pdf (14.05.2021).

Schneider, Beat (1999): Penthesilea. Die andere Kultur- und Kunstgeschichte ; sozialgeschichtlich und patriarchatskritisch. Gümlingen: Zytglogge-Verl. Bern cop.

Welzer, Harald; Sommer, Bernd (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne. München: Oekom Verl. (Transformationen, 1).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.