Neues aus der Wissenschaft

Eine nachhaltige Zukunft?

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Nach den einführenden Artikeln, was wir begrifflich unter Zukunft verstehen können und wie sich die Zukunftsforschung aufstellt, möchte ich mich nun darauf aufbauend der kritischen Zukunftsforschung widmen. Dabei werde ich auch ihre Verbindungslinien zur Degrowth-Bewegung sowie zur Nachhaltigkeitsforschung aufzeigen.  

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs herrschte in weiten Teilen der Welt große Unsicherheit im Angesicht der unmenschlichen Gräueltaten auf der einen und den Zerstörungsmöglichkeiten des Menschen durch den technologischen Fortschritt auf der anderen Seite. Es wurde deutlich, dass der Mensch sich seiner eigenen Zukunft berauben kann. Das Interesse, sich zunehmend wissenschaftlich mit der Zukunft auseinander zu setzen, resultierte demnach nicht zuletzt aus der Einsicht, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zukunft auf den Erhalt menschlicher Zivilisation ausgelegt sein muss.  

In den kommenden Jahrzehnten vollzog sich eine weitreichende Institutionalisierung der Zukunftsforschung, insbesondere auf dem amerikanischen Kontinent. Die damit einhergehende Professionalisierung führte dazu, dass methodische Zugänge geschaffen, sowie theoretische Fundamente erarbeitet wurden. Dabei zentral waren Institutionen, die sich auf Militärforschung und Industrievorhaben fokussierten (Forschung im Bereich der Ballistik, Raumfahrt uvm.) und im sich entwickelnden Kalten Krieg Möglichkeiten der Stabilisierung zu sichern versuchten. Dazu gehörte maßgeblich das Entwickeln von Verteidigungsstrategien, und -technologien.

Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wurde mit Bezugnahme auf die ohnehin schon existierenden wirtschaftlichen Planungsarbeiten ab den 60er Jahren eine kybernetisch begründete Prognostik (die Kybernetik überträgt die Handlungsweise und Steuerung von Maschinen auf Menschen, sie wird deshalb auch als “Kunst des Steuerns” verstanden) verfolgt, die zuvor vehement abgelehnt wurde, da sie als Ergebnis kapitalistischer Betrachtungen auf Gesellschaften galt. Durch die voranschreitende wissenschaftlich-technologische Entwicklung sahen sich die Länder der Sowjetunion jedoch gezwungen, ähnlich technologiezentriert aufzutreten, um im militärischen Wettrüsten nicht ins Hintertreffen zu geraten. 

Eine dritte Stoßrichtung verfolgten einige Forscher:innen aus dem europäischen Raum, welche die amerikanische Zukunftsforschung für ihre positivistischen Ansätze, die Zukunft durch wissenschaftlichen Fortschritt vorhersagen zu können, stark kritisierten. Bert van Steenbergen sprach hierbei von einer “Kolonisierung der Zukunft” (van Steenbergen, 1973, S. 74).  

Pavel Apostol, ein rumänischer Philosoph mit marxistischer Prägung, begründet seine Einschätzung zum notwendigen Schwerpunkt der Zukunftsforschung damit, “daß die ZF [Zukunftsforschung, Anm. d. Verf.] von der Erkenntnis auszugehen hat, daß ihr grundlegendes Kriterium das Studium der menschlichen Bedürfnisse ist und deren freie (nicht-manipulierte) Befriedigung der Zukunft.” (Apostol, 1973, S. 51) 

Ossip Flechtheim betont, dass es bei einer kritischen Betrachtung der Zukunft auch “um die Beendigung des Raubbaus an der Natur” (Flechtheim, 1973, S. 17) geht. Mit der Veröffentlichung des Club of Rome 1972 zu den Grenzen des Wachstums wurde ein wesentlicher Beitrag zur Nachhaltigkeits- und Zukunftsforschung geleistet.  Der Report war in zweifacher Hinsicht ein Meilenstein, auf der einen Seite für die Zukunftsforschung durch die ersten computergestützten Extrapolationen in eine weiter entfernte Zukunft, sowie auf der anderen Seite für die Nachhaltigkeitsforschung, um die Tragweite des ökologischen Raubbaus wissenschaftlich zu fundieren.  

Wie aus Apostols und Flechtheims Ausführungen deutlich wird, konzentrieren sich deren Bemühungen auf eine Demokratisierung der Zukunft, um allen Menschen ein Leben im Einklang mit der Natur ermöglichen und künftigen Generationen eine Zukunft bieten zu können.   

Die Verbindungslinien zu Postwachstum werden zum einen durch die Thematisierung des Wachstumsparadigmas deutlich. Zum anderen versteht die kritische Zukunftsforschung der 70er Jahre die Erforschung der Zukunft auch als Systemkritik. Oskar Neumann kritisiert hierbei den Zustand der Forschung und betont, dass das bestehende Verständnis der prognostischen Futurologie eine der Herrschenden sei (Neumann, 1973, S. 34). Um einer kritischen Forschung gerecht zu werden, begreift er kritische Zukunftsforscher:innen “als wissenschaftliche Parteigänger von Ausgebeuteten, sozial Diskriminierten und unmittelbar in ihrer physischen Existenz Bedrohten” (Neumann, 1973, S. 37). In den Jahrzehnten danach verläuft sich eine marxistisch begründete Theorieverortung – dies hängt zum einen mit einem generellen Vertrauensverlust gegenüber der Zukunftsforschung zusammen, aber grundsätzlich verlieren strukturalistische Theoriekomplexe in dieser Zeit an Glaubwürdigkeit.

Die kritische Zukunftsforschung schafft demnach den Wunsch nach einem “homo humanus” (Flechtheim, 1973), ähnlich wie heute die Degrowth-Bewegung nach neuen kulturellen Paradigmen und Wirtschaftsweisen sucht. Diese Suche ist immanent auf die Zukunft ausgerichtet, und wie Kohei Saito die gemeinsame Mobilisierung von “Rot und Grün” ins Zentrum der Aushandlung stellt, haben vor über 50 Jahren kritische Zukunftsforscher:innen damit begonnen, eine demokratische, partizipative Zukunft für alle zu entwickeln in der ökologische und soziale Schwerpunkte vertreten sind. Flechtheim strebte nach einem Dritten Weg zwischen kapitalistischem Westen und staatssozialistischem Osten und fand seine Wahrheit im Ökosozialismus. Auch heute scheint die Idee in Degrowth-Diskursen zu verhaften. So werden sie von pominenten Vertreter:innen wie Jason Hickel und einigen weiteren Degrowth-Forscher:innen wie Timothée Parrique und Girgios Kallis diskutiert. 

Betrachtet man die Geschichte der Zukunftsforschung und der Nachhaltigkeitsforschung im Zusammenhang, so ergeben sich in der Analyse inhaltliche Synergien, die heute kaum noch verhandelt werden. Die sozialwissenschaftlich orientierte kritische Zukunftsforschung ist in großen Teilen des ökonomischen Mainstreams verloren gegangen. Dominant sind Trendentwicklungen und Extrapolationen als methodische Praxis des Status Quo. Die Nachhaltigkeitsforschung kann im Zuge des Grünen Kapitalismus öffentlichkeitswirksam profitieren, schafft jedoch kaum Verbindungspunkte zu sozialen Problemfeldern. Eine Ausnahme bildet hier mitunter das IÖW, welches explizit Wert auf die Verknüpfung von ökologischen und sozialen Fragestellungen legen möchte.  

Zukünfte werden schlussfolgernd nach wie vor elementar bedroht und die Zerstörungsmöglichkeiten durch den Menschen wachsen. Der politisch vorherrschende Fokus liegt nichtsdestotrotz auf der Implementierung neuer Technologien, ohne dass jedoch die Tragweite dieser für das Ziel einer sozialen oder ökologischen Nachhaltigkeit im Zentrum gesellschaftlicher Aushandlung steht.

Welche Antworten können wir also in der kritischen Zukunftsforschung und Nachhaltigkeitsforschung finden, um diese Probleme im Kern zu adressieren? Dieser Frage geht ein weiterer Artikel nach.  

 

 

Literatur:

Pforte, D., & Schwencke, O. (Hrsg.). (1973). Ansichten einer künftigen Futurologie: Zukunftsforschung in der zweiten Phase. Hanser.

 

 

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