Innerhalb der Transformations- und Postwachstumsforschung, aber auch im gesellschaftlichen Sprachgebrauch wird der Begriff “Zukunft” oftmals (und in den letzten Jahren vermehrt) zentral genutzt, ohne dass dabei reflektiert wird, was darunter eigentlich zu verstehen sein könnte. Wie viele andere Begriffe, die wir selbstverständlich in unserem Sprachgebrauch verwenden, wird oft die Bedeutung des Begriffs nicht mehr explizit betrachtet. Daraus ergeben sich jedoch für Politik und Gesellschaft wichtige Fragestellungen, die im Diskurs um Transformation derzeit kaum Beachtung finden.
Was also verstehen wir eigentlich unter “Zukunft”? Warum ist die begriffliche Auseinandersetzung mit “Zukunft” ein wichtiges Thema für Postwachstums- und Transformationstheorien? Wie denken wir über Zukunft nach und welche praktische Relevanz genießt sie für eine transformative Forschung? Welche Limitationen ergeben sich aus einem veränderten Verständnis von Zukunft für uns?
Diesen und weiteren Fragen soll in einer Artikelreihe unter Rückbezug auf das Studienfeld der Zukunftsforschung nachgegangen werden.
Was eigentlich ist “Zukunft”?
In den Themenfeldern rund um die sozial-ökologische Transformation beschäftigen sich Forschende immer wieder mit Zukunft, meistens jedoch nur indirekt. So nutzt die Nachhaltigkeitsforschung beispielsweise den Begriff der Zukunft, um bestimmte Handlungspfade und erstellte Szenarien innerhalb von Studien nachzeichnen zu können. Die Frage danach, was Zukunft aber eigentlich bedeutet, wird in den meisten Diskursen direkt mit den eigenen Vorstellungen über sie gefüllt, ohne einer vertiefenden wissenschaftlichen Analyse unterzogen zu werden. Auf welche Weise können wir also Zukunft verstehen und was ist darunter wissenschaftlich zu fassen?
Dazu lohnt sich ein Blick in die Zukunftsforschung, einer Forschung, die den Anspruch erhebt, Zukunft wissenschaftlich greifbar machen und reflektieren zu können. Die Zukunftsforschung beschäftigt sich sowohl mit der methodischen Erstellung von adressat:innenbezogenen Zukunftsbildern (Szenarien, Extrapolationen uvm.) als auch mit der normativ-theoretischen Auseinandersetzung, was Zukunft überhaupt bedeutet und wie wir sie verstehen können [dies erklärt sich hauptsächlich aus einer akademisch westlich geprägten Perspektive – mehr dazu in folgenden Artikeln]. In diesem Artikel soll sich primär darauf konzentriert werden, was unter sozialwissenschaftlicher Perspektive unter Zukunft zu verstehen ist. Grundlegend kann festgestellt werden: “Die” Zukunft gibt es (noch) nicht. Was es von ihr gibt, sind unsere Vorstellungen von ihr. Sie existieren demnach niemals allein und niemals in einem luftleeren Raum. Diese Vorstellungen werden durch unsere Überzeugungen, Wünsche und Ängste geprägt und beeinflussen öfter unser aller Perspektive auf das noch Kommende. Aber wie können wir etwas erforschen, das es noch gar nicht gibt?
Prognostische und agnostische These (nach Stoecker)
Lange Zeit galt die Zukunft als erforschbar, als etwas, was wir wissen und nicht nur erahnen können. Diese “prognostische These” (Stoecker 2001) über die Zukunft findet sich anschaulich dargestellt in antiken griechischen Orakeln wieder. Gegenwärtig wird jedoch in wissenschaftlichen Kontexten ein verändertes Verständnis von Zukunft an den Tag gelegt. Es wird zumeist von einer offenen Zukunft ausgegangen, die gestaltbar ist. So können wir uns nur Gedanken in der Gegenwart über die Zukunft machen und auch nur auf Wissen aufbauen, was heute schon existiert und denkbar ist. Hierbei wird von einer gegenwärtigen Zukunft gesprochen (Grunwald 2009).
Um diesen “agnostischen” Charakter eines Zukunftsverständnisses zu unterstreichen, wird innerhalb der Zukunftsforschung von “Zukünften” (Grunwald 2009) im Plural gesprochen. Es wird deutlich, dass unterschiedliche Möglichkeiten existieren, wie sich Zukunft entwickelt und es davon abhängt, wie wir uns in der Gegenwart verhalten, um die möglichen Zukünfte zu beeinflussen. Demnach schließt hier auch eine Frage der “Gestaltungsmacht” an. Welche Zukünfte sind möglich/wünschenswert/wahrscheinlich? Wer kann über die Vorstellungen der Zukunft besonders prominent berichten und wessen Vorstellungen werden marginalisiert?
Es herrscht demnach heute weitestgehend der Konsens, dass “die” Zukunft ein Konstrukt ist, welches sich in der Gegenwart bildet und dementsprechend auch verändert werden kann. Diese Gestaltungsmöglichkeit bedarf der Sprache als Kommunikationsmittel über die eigenen Vorstellungen und dem Ziel eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses. Wenn in Debatten also über Zukunft als unveränderbarer Fakt gesprochen wird, liegt dahinter ein ideologisches Bestreben, dieses eine Zukunftsbild verwirklichen zu wollen. Dieses Bild ist jedoch nie alternativlos, sondern immer mit Interessen verbunden. Aus theoretischer Perspektive kann dementsprechend gefolgert werden, dass Zukunft nie alternativlos ist. Sie ist offen und gestaltbar.
In Bezugnahme auf Postwachstumsnarrationen ist die Hegemonie eines Wachstumsnarrativs in den heutigen Debatten ungebrochen und erhält nur langsam die notwendige Kritik, um über Alternativen nachdenken zu können. Über Zukünfte nachzudenken, bedeutet demnach auch, Alternativen denken zu lernen und nicht allein im Verständnis verhaftet zu bleiben, was wir heute von der Zukunft erzählt bekommen. Dieses Verständnis von Zukunft schließt sehr gut an Postwachstumsnarrative an, die den Versuch wagen, ein alternatives Bild zum hegemonialen Wachstumsverständnis zu erarbeiten.
Zusammengefasst:
- Die eine Zukunft gibt es nicht
- Zukünfte konkurrieren miteinander
- Es bedarf Aushandlung, um Zukunft für alle zu ermöglichen
- Zukünfte sind prinzipiell offen, es bedarf einer Analyse über die einschränkenden Faktoren/Systeme