Neues aus der Wissenschaft

Die Erforschung der „Zukunft“?

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In einem ersten Artikel ging es um die Frage, was eigentlich Zukunft begrifflich bedeuten kann. Daran anschließend widmet sich dieser Artikel der Forschungsdisziplin der Zukunftsforschung und diskutiert, was diese wissenschaftlich macht und mit welchen Schwerpunktthemen sie sich beschäftigt. 

Folgenden grundlegenden Definitionsvorschlag machte 1995 Rolf Kreibich, der in Tradition kritischer Futurolog:innen wie Robert Jungk und Ossip K. Flechtheim steht:

„Zukunftsforschung ist die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wünschbaren und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen (Zukünfte) sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart.“ (Kreibich, 1995) 

Grundlegend dabei ist, dass kein gesichertes Wissen über die Zukunft generiert werden kann, da sie noch nicht existiert (Zorn & Schweiger, 2020). So verschiebt sich der Anspruch der Forschung. Anstelle gesicherter Fakten (Wissen) rückt damit ein Geltungsanspruch ins Zentrum der Forschung. Die Wissenschaftlichkeit einer Zukunftsaussage bemisst sich am Geltungsanspruch, welcher ex ante, also vor dem (Nicht-)Eintreten des prognostizierten Ereignisses, existieren muss. Dieser Geltungsanspruch ist immer nur temporär gedacht und muss einer argumentativen Überprüfung standhalten können. 

“Im Konzept der Geltung kann es immer nur um eine Geltung „bis auf Weiteres“ gehen, d.h. bis Argumente auftauchen, unter denen dann eine bisher noch geltende Aussage nicht mehr erfolgreich behauptet werden kann.” (Grunwald, 2009)  

Dieser Geltungsanspruch geht eng damit einher, dass Plausibilität innerhalb einer Argumentationslinie herrscht. Damit wird aber auch ausgedrückt, dass die Zukunftsforschung sich nicht anmaßt, die Zukunft zu kennen und vorhersagen zu können. So fasst der Zukunftsforscher und –philosoph Bruno Gransche treffend zusammen: Die “Zukunftsforschung macht keine Vorhersagen” (Gransche, 2015, 40). Statt Vorhersagen zu treffen, soll durch Zukunftsforschende Orientierungswissen formuliert werden. Das kann durch die Erstellung von Szenarien, Trendextrapolationen uvm. geschehen. Doch innerhalb der Forschung selbst wurde darüber gestritten, ob diese Methoden wissenschaftlich zielführend sein können, und wem diese Forschung eigentlich dient. So formulierte 1973 Lars Gustafsson bereits:  

„Scenarios sind […] leer, Verallgemeinerungen von Trends sind blind in der Hinsicht, daß sich nur mit der Sicherheit sagen lässt, was nicht passieren wird.“ (Gustafsson, 1973, S. 31) 

Es werden also unterschiedliche Forschungslinien in der geschichtlichen Rezeption der Zukunftsforschung deutlich. Während in der Nachkriegszeit eine enge Verbindung zwischen dem “Militär-Industriellen-Komplex“ und der Zukunftsforschung (van Steenbergen, 1973) dazu beiträgt, dass sich Interessen hin zu Machthabenden verschieben, taucht parallel auch eine kritische Rezeption auf, die versucht Gesellschaften und ihr Wohlergehen ins Zentrum der Zukunftsaushandlung zu stellen (Neumann, 1973).  

Die Verbindungslinien zu Industrie und Militär deuten auch auf eine Forschung hin, die (zumindest historisch) wirtschaftsnah und damit nicht frei von Profitinteressen ausgehandelt wird. Die Zukunftsforschung ist demnach in der Lage mit den Ängsten der Menschen in unsicheren Zeiten ein “einträgliches Geschäft” (Zorn & Schweiger, 2020, S. 2) machen zu können.  

“Wer die Zukunft kennt oder andere glauben machen kann, dass sie sich vorhersagen lässt, bietet Herrschaftswissen an.” (Zorn & Schweiger, 2020, S. 2) 

Damit verdeutlicht sich die Notwendigkeit, die Zukunftsforschung (und bestimmt auch andere Forschungsdisziplinen) auf ihren ideologischen Charakter hin zu überprüfen. In Bezug auf ihre Wissenschaftlichkeit spielt dies auch eine zentrale Rolle. Allerdings scheint das in der aktuellen Zukunftsforschung nur marginal thematisiert zu werden und die methodischen Ausarbeitungen stehen im Fokus.  

Wenn wir jedoch von den normativ-philosophischen Kritiken absehen und uns den methodischen Bereichen der Forschung widmen, lässt sich feststellen, dass als Ziel der Forschung, wie bereits beschrieben, das Generieren von Orientierungswissen formuliert wird. Doch auf welche Wissensbestandteile kann sich die Zukunftsforschung hierbei stützen, wenn deutlich geworden ist, dass kein Wissen über die Zukunft in der Gegenwart gewonnen werden kann? 

Die Zukunftsforschung widmet sich einem gegenwärtigen Wissen, Einschätzungen zukünftiger Entwicklungen, Ceteris-paribus-Bedingungen, sowie ad-hoc-Annahmen. Also Kenntnisständen, die schon in der Gegenwart existieren und bestimmte Informationen über mögliche Zukunftsverläufe offenbaren können. Die Behandlung dieser Wissensbestandteile lassen sich durch wissenschaftliche Methoden nutzen, um plausible Möglichkeitsräume mit Geltungsanspruch zu formulieren. 

Die Zukunftsforschung kann also dadurch wissenschaftliche Standards erfüllen, indem sie nicht die Zukunft selbst als zentrale Forschungskategorie ausmacht, sondern die gegenwärtigen Annahmen der Menschen über die Zukunft ins Zentrum der wissenschaftlichen Aushandlung stellen. So könnte auch von einer zukunftsbezogenen Gegenwartsforschung gesprochen werden oder den von Armin Grunwald etablierten Begriff der “gegenwärtigen Zukünfte” ins Feld geführt werden. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zukunftsforschung auf unterschiedliche Schwerpunkte ausgerichtet ist und die bestehenden, sowie entwickelten Methoden wissenschaftlich genutzt, aber auch missbraucht werden können. Wie bereits im ersten Artikel verhandelt, sind Zukünfte nie alternativlos, sondern im Aushandlungsprozess machtinteressierter Akteure der Spielball möglicher Entwicklungen. Eine eindimensionale Erzählung über Zukunftsverläufe lässt also schnell offenbaren, dass keine wissenschaftliche/wissenschaftsnahe Bearbeitung stattfindet, sondern Profit- und oder Machtinteressen integriert werden. Eine Zukunftsforschung, die Verlaufsmöglichkeiten über die Zeit formuliert, ist also deutlich seriöser zu bewerten als Institutionen, die alternativlose Zukünfte propagieren. 

Malte Terzer ist studentischer Mitarbeiter am IÖW und hat zuvor Politikwissenschaften und Soziologie an der Goethe Universität Frankfurt am Main studiert. Derzeit ist er im M.A. Zukunftsforschung der FU Berlin eingeschrieben. Er beschäftigt sich mit Post-Kapitalismus und radikaler Transformationstrategie.

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