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Forst(wirtschaft) und Degrowth

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Forstwirtschaft – (k)ein Thema für die Postwachstumsbewegung [1]

 

Die Forstwirtschaft spielt eine entscheidende Rolle in der post-fossilen Transformation. Wälder und forstbasierte Produkte können als Biomasse für Holz, Zellstoff und Papier, zur Erzeugung von Energie sowie als Kohlenstoffsenken genutzt werden. Forstwirtschaft kann – unter entsprechenden Bedingungen – Klimaschutz, Wirtschaften in geschlossenen Kreisläufen und eine nachhaltiger ausgerichtete Rohstoffnutzung ermöglichen. Wälder und deren Bewirtschaftung können allerdings nicht nur positiv zum Klimaschutz beitragen, sondern, wenn sie durch eine zu intensive Bewirtschaftung und fehlende Regeneration ihre CO2-Senkenfunktion verlieren, auch selbst zum Anstieg von CO2-Emissionen beitragen. In Deutschland wird derzeit kontrovers über die Novellierung des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) diskutiert, denn dieses ist von 1975 und muss überholt werden. Die Meinungen, wie das neue Gesetz ausgestaltet werden soll, gehen weit auseinander: Waldbesitzer:innen, Jäger:innen und Umweltschützer:innen kommen auf keinen grünen Zweig. [2] 

Die Zukunft der Wälder ist ein kontroverses und zukunftsrelevantes Thema und sollte daher auch die Postwachstumsforschung und -bewegung beschäftigen. Dennoch gibt es bisher wenig Forschung oder Initiativen, die Forstwirtschaft und Degrowth/Postwachstum zusammenbringen. [3] Um die Forstwirtschaft mit Degrowth-Prinzipien in Einklang zu bringen, müsste sie postfossil werden, nicht extraktivistisch sein und sich an Fürsorge, Solidarität und Commoning orientieren. Von diesen Idealen ist die Realität zumeist allerdings sehr weit entfernt. Derzeit ist Forstwirtschaft auf den Input fossiler Ressourcen für Logistik und Verarbeitung angewiesen. Sie ist im Regelfall in kapitalistische Logiken transnationaler Märkte eingebunden und Wälder werden wie reine Rohstofflieferanten behandelt. Häufig sind Strukturen und Akteure der industriellen Forstwirtschaft von extraktivistischen Tendenzen und/oder kolonialen Kontinuitäten geprägt. Im Globalen Süden geht intensive Forstwirtschaft mit der Rodung von Wald sowie mit einer massiven Einhegung von indigenem Land einher. Häufig leiden Menschen, Tiere, Böden und der Wasserhaushalt gleichermaßen. [4] In großen Teilen des Globalen Nordens bedeutet intensive Forstwirtschaft zumeist einen massiven Umbau der Landschaft, den monokulturellen Anbau von schnellwachsenden Baumarten und Kahlschlag, der in einigen Ländern noch immer die gängigste Einschlagsmethode ist, u. a. in Schweden, Finnland oder Kanada.  

Growth statt Degrowth: Das Beispiel Finnland 

Für eine post-fossile Wirtschaft werden natürliche, erneuerbare und biobasierte Ressourcen benötigt. Bedarf und Nachfrage danach steigen momentan an. Für weniger Ausbeutung von Natur und Menschen im Globalen Süden braucht es neben Degrowth daher eine nachhaltige und gerechte Ressourcenextraktion und -verarbeitung im Globalen Norden. Die großen Waldgebiete Nordamerikas und Nordeuropas und die dortige Forstwirtschaft spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Daher lohnt sich ein kritischer Blick auf diesen Sektor, wie z. B. in Finnland. [5] Es ist das EU-Land mit dem größten Anteil an Wald in seiner Landfläche (73,7 Prozent) und hat nach Schweden und Spanien auch absolut den meisten Wald. [6] Finnlands Wald wird seit Jahrzehnten intensiv bewirtschaftet und der Forstsektor ist ein wichtiger Wirtschaftszweig. Die dort betriebene Forstwirtschaft stellt sich selbst gerne als nachhaltig dar – die Realität sieht allerdings oftmals anders aus.  

Der Großteil des finnischen Waldbestands ist weniger als 100 Jahre alt, Primärwald gibt es nur noch wenig und intensiv industriell-bewirtschaftete Flächen mit monokulturellem Bestand überwiegen. Private Waldbesitzer:innen besitzen mehr als die Hälfte der produktiv bewirtschafteten Waldfläche, viele von ihnen verstehen ihren Wald als eine Art „Bank“ oder „Versicherung“, auf die sie zurückgreifen können. Kahlschlag ist die gängigste Bewirtschaftungsmethode. Auf Forstwirtschaft wird als Wirtschafts- und Wachstumsmotor gesetzt, Wälder und Produkte aus Holz sollen zum klimaneutralen Umbau der finnischen Wirtschaft beitragen. Große Investitionen fließen in neue, technisch moderne Großanlagen zur Herstellung von Zellstoff; auch die energetische Nutzung von Holz ist weit verbreitet und wird als positiv (auch für das Klima) angesehen. Das Projekt der ökologischen Modernisierung [7] greift hier voll und ganz. Mit dem Motto “more of everything” [8] werden Waldflächen und deren Ertrag doppelt und dreifach verplant. Das Risiko extraktivistischer Tendenzen wird konsequent ignoriert und kritischen Stimmen wenig Gehör geschenkt. [9]

An Finnlands Forstwirtschaft und -politik lässt sich also anschaulich zeigen, wie Wald vornehmlich als ökonomische Ressource gesehen und Wert geschätzt wird. Das Land stellt mit seinen Ansätzen keine Ausnahme im Globalen Norden da, vielmehr wird ihm von vielen eine Vorreiterrolle zugesprochen.  

Forstwirtschaft goes Degrowth 

Zu Degrowth-Forstwirtschaft gehören in jedem Fall die Abkehr vom Kahlschlag und Sicherstellung einer kontinuierlichen Bewaldung. Relative Einigkeit herrscht auch darüber, dass Primärwälder erhalten bleiben und geschützt werden sollen. Biodiversität im Wald und die Erhaltung von Boden- und Wasserqualität müssen gut gegen Profite aus der Holzwirtschaft abgewogen werden, da sich schlecht auf diese notwendigen Ökosystemfunktionen verzichten lässt. Eine Degrowth-Forstwirtschaft fungiert als Netto-CO2-Senke und berücksichtigt auch verbrauchsbedingte Emissionen. Das Prinzip der Kaskadennutzung, bei der stoffliche Nutzung vor energetischer Nutzung steht, wird zwar bereits angestrebt, ist aber noch nicht vollständig umgesetzt. Auch in einer Degrowth-Forstwirtschaft wäre dies eine sinnvolle Grundlage für Bewirtschaftung und Produktion. Anstatt vor allem für globale Märkte und die dortige Nachfrage zu produzieren, wird auf regionale Wertschöpfung gesetzt – ein Wert, den viele Forstwirt:innen bereits teilen. In Degrowth-Zukünften sind Wälder allen Menschen zugänglich und vertraut und werden für ihre Schönheit, Vielfalt und Wildheit genauso wie für ihre Bereitstellung notwendiger Ressourcen geschätzt.  

Um Forstwirtschaft auf post-fossile und nicht-extraktivistische Pfade zu bringen, gibt es multiple Ansatzpunkte, aber alle gehen mit einer Neuausrichtung unserer Verhältnisse zu und Verständnisse von Wald einher. Der aktuelle Verbrauch der Wälder müsste sich wandeln zu einem nachhaltigen Gebrauch, der wirkliche Regeneration und einen positiven Beitrag zum Klima- und Biodiversitätsschutz ermöglicht – denn beides kann der Wald, wenn man ihn denn lässt.

 

 

Fußnoten

[1] Dieser Blogartikel basiert auf laufender Forschung zu den Beiträgen der Forstwirtschaft im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation in den BMBF-Nachwuchsgruppen flumen und BioMaterialities. Wir danken den Teilnehmenden der 9. Internationale Degrowth Konferenz in Zagreb für die fruchtbare Diskussion unserer Zwischenergebnisse.    

[2]  Für einige Eindrücke siehe: https://taz.de/Vorschlag-fuer-neues-Waldgesetz/!5962554/, Gesetzesvorschlag der Umweltverbände: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Wald/BWaldG-bundeswaldgesetz-zusammenfassung-umweltverbaende.pdf  

[3]  Eine interessante Ausnahme in Bezug auf die Schweiz stellt Creutzburg, 2022 dar.

[4] Siehe: Tittor, 2023; Backhouse et al., 2021; Landherr et al., 2019; Boyer, 2019

[5] Siehe: Tittor, 2023; Backhouse et al., 2021; Landherr et al., 2019; Boyer, 2019

[6]  Siehe: https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/Tabellen/Basistabelle_WaldFlaeche.html 

[7] Siehe für eine Einordnung des Begriffs: https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/oekologische_modernisierung_wachstum_aber_anders_1841.htm  

[8] Siehe: Kröger und Raitio, 2017

[9]  Siehe: Holz, 2023

 

Literatur 

Backhouse, Maria, Rosa Lehmann, Kristina Lorenzen, Malte Lühmann, Janina Puder, Fabricio Rodríguez & Anne Tittor (Hrsg.) (2021): „Bioeconomy and inequalities. Socio-ecological perspectives on biomass sourcing and production across South America, Asia and Europe“. Palgrave Macmillan, London. 

Boyer, Miriam (2019): „Alternativen zum Extraktivismus oder alternative Extraktivismen? »Grüne« Strategien und der Streit um die Kontrolle natürlicher Ressourcen“. In: Martín Ramírez & Stefan Schmalz: Extraktivismus. Lateinamerika Nachdem Ende Des Rohstoffbooms. Oekom verlag, München. 

Jonathan Creutzburg (2022): „Growing Trees for a Degrowth Society: An Approach to Switzerland’s Forest Sector“. Environmental Values. Vol. 31, Issue 6. https://doi.org/10.3197/096327121X16387842836959 

Friedrich, Jonathan, Jana Holz, Philip Koch, Lilian Pungas, Dennis Eversberg & Jana Zscheischler (2023): „Rural bioeconomies in Europe: Socio-ecological conflicts, marginalized people and practices.“ In: GAIA, https:/doi.org/10.14512/gaia.32.2.3. 

Holz, Jana (2023) „Threatened sustainability: extractivist tendencies in the forest-based bioeconomy in Finland.“Sustainability Science, DOI 10.1007/s11625-023-01300-9. 

 Holz, Jana & Philip Koch (2023): „Wie die Bioökonomie versucht nachhaltig zu sein – eine Diskussion am Beispiel der europäischen Bioökonomiepolitik und der finnischen Forstwirtschaft“, In: Henkel et al: (Hrsg.): Dilemmata der Nachhaltigkeit. Oekom verlag, München. 

 Kröger, Markus & Kaisa Raitio (2017): „Finnish forest policy in the era of bioeconomy: a pathway to sustainability?“ Forest Policy and Economics DOI 10. 1016/j. forpol. 2016. 12. 003. 

 Landherr, Anna, Jakob Graf & Cora Puk (2019): „Das Modell Chile. Die sozial-ökologischen Folgen des neoliberalen Vorzeigemodell“. In: Martín Ramírez & Stefan Schmalz: Extraktivismus. Lateinamerika Nachdem Ende des Rohstoffbooms. Oekom verlag, München. 

 Tittor, Anne (2023): Postfossiler Extraktivismus? Die Vervielfältigung sozial-ökologischer Konflikte im Globalen Süden durch Dekarbonisierung. PROKLA 210, 53. Nr. 1 https://doi.org/10.32387/prokla.v53i210.2040  

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