Klimawandel, demografischer Wandel, Wirtschaftskrise, geringere Steigerung der Lebensqualität – wie ermöglicht eine Gesellschaft Lebensqualität und Wohlstand sowohl in Wachstums- als auch in Schrumpfungsphasen? So könnte die grundlegende Fragestellung lauten, welche die Postwachstumsökonomie zu beantworten sucht (Schneidewind, 2012).
Postwachstumsökonomie ist mehr als Wirtschaft
Der Begriff ‚Postwachstumsökonomie‘ mag dies anders suggerieren, jedoch handelt es sich nicht um eine rein ökonomische Disziplin. Auch nicht im erweiterten Sinne, dem der Wirtschaftswissenschaften, unter Einbeziehung von Ökonomik und Betriebswirtschaftslehre. Die Wirtschaftswissenschaften würden über den ökologischen und sozialen Aspekten der Fragestellung an ihre disziplinären Grenzen stoßen. Die Postwachstumsökonomie bezieht also Disziplinen der Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Ingenieurswissenschaften, Geisteswissenschaften und Wirtschaftswissenschaften gleichermaßen mit ein, wie im Folgenden skizziert wird.
Kopplung von Effizienz und Suffizienz
Moderne Umweltsystemforschung wird mit der Diskussion über Gesellschafts- und Lebensstilformen verknüpft, um die Belastung der globalen Umweltdimensionen zu senken. Produktionstechnologien ermöglichen technische Effizienzstrategien und sollen so den Gesamtressourcenverbrauch von wohlfahrtssteigernden wirtschaftlichen Aktivitäten entkoppeln. Alternative Formen der Wohlstandsmessung, sowie des Wirtschafts- und Währungssystems werden außerdem diskutiert. Als Antwort auf direkte und indirekte Reboundeffekte aus technischen Effizienzstrategien adressieren Suffizienzstrategien Quantität und Qualität des Konsums und bieten lebensqualitätssteigernde Konzepte wie Entrümpelung / Reduktion, Entschleunigung, Entkommerzialisierung und Entflechtung / Regionalisierung (Sachs, 1993). Mit dem Untertitel „Impulse für die politische Debatte“ stellen Schneidewind und Palzkill (2011) in ihrem Diskussionspapier betriebswirtschaftliche Fallstudien vor, in denen die genannten Suffizienzstrategien erfolgreich umgesetzt wurden. Zuvor entwickeln die Autoren den Diskurs über eine transdisziplinäre Betriebswirtschaftslehre.
Unternehmen als Experimentierorte
Was sollte eine Betriebswirtschaftslehre in dem oben skizzierten transdisziplinären Verbund also leisten? Schneidewind (2012, S. 25) nimmt die Betriebswirte in die Pflicht: Unternehmen komme eine besondere Verantwortung zu, sie seien „zentrale Ideen- und Experimentierorte für gesellschaftliche Veränderungen.“ In diesem Verständnis entstehen Nachhaltigkeitsinnovationen etwa aus neuen Formen kollaborativer Ökonomie, wie Social Entrepreneurship, Open Source, Community Gardens, Selbstversorgung oder Regionalgeldsysteme. Daran anknüpfend können Familien- oder stiftungsbasierte Unternehmen ihre Shareholder-Freiräume für langfristige Ziele und Prinzipienorientierung im Sinne der Postwachstumsökonomie nutzen. Letztlich haben multinationale Konzerne die Möglichkeit, große kapital-intensive Transformationen in diesem Sinne umzusetzen.
Transdisziplinäre Betriebswirtschaftslehre
Schneidewind und Palzkill (2011) argumentieren, dass eine dahinter stehende transdisziplinäre Betriebswirtschaftslehre ihre Konzepte und Methoden mit den Wissensständen der oben genannten angrenzenden Disziplinen und dem Kontextwissen der verbundenen Akteure verknüpfen sollte, um so System-, Ziel- und Transformationswissen im Sinne der Postwachstumsökonomie zu generieren.
Eine wesentliche Herausforderung ist dabei die Kultivierung des wissenschaftskritischen Diskurses in den Wirtschaftswissenschaften, sodass sich diese ihren eigenen Paradigmen und ihrer eigenen Unvollkommenheit überhaupt erst bewusst werden (vgl. Kovce / Priddat, 2010). Auch Galtung (2001, S. 247) argumentiert in seiner Entwicklungstheorie, dass die Wirtschaftswissenschaften für einige Aspekte keine Verantwortung übernähmen; diese seien „Löcher oder unterentwickelte Gebiete an den Rändern des ökonomischen Denkens“ und erstrecken sich nach seiner Typologie der Räume über: Natur, Mensch, Gesellschaft, Welt, Zeit und Kultur. Eine transdisziplinäre Betriebswirtschaftslehre nach Galtung müsste wohl jeden einzelnen dieser Räume ganzheitlich einbeziehen, dabei ihre eigenen disziplinären Grenzen genau kennen und würde an diesen mit den oben skizzierten angrenzenden Disziplinen in einen wissenschaftlichen Dialog treten und sich darüber eng mit diesen verknüpfen.
Einige Wirtschaftsstudenten verfolgen bereits Ansätze einer transdisziplinären Betriebswirtschaftslehre. Studentische Organisationen wie OIKOS International denken soziale, ökologische und ökonomische Aspekte miteinander verknüpft und bringen diese Herangehensweise zukünftigen Managern und Ökonomen an ihren Universitäten näher.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „Postwachstumsökonomie“ an der Universität Witten/Herdecke in Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Eine Übersicht über alle Beiträge aus dem Seminar findet sich hier.
Quellen
Galtung, Johan (2001): Frieden mit friedlichen Mitteln – Frieden, Konflikt, Entwicklung und Kultur, übersetzt und fernstudiendidaktisch eingerichtet von Hajo Schmidt, Hagen: FernUniversität in Hagen
Kovce, Philip / Priddat, Birger P. (2010): Am Ende der Illusionen. Eine Ökonomie für das 21. Jahrhundert, in: Die Gazette, Nr. 28, Winter 2010/2011, S. 16-22
Sachs, Wolfgang (1993): Die vier E’s. Merkposten für einen maßvollen Wirtschaftsstil, in: Politische Ökologie, Jg. 11, Nr. 33, S. 69–72
Schneidewind, Uwe (2012): Postwachstum als Geschäftsmodell. Standpunkt In: factory Magazin für nachhaltiges Wirtschaften. No.1, Januar 2012, S. 24-26
Schneidewind, Uwe / Palzkill, Alexandra (2011): Suffizienz als Business Case. Nachhaltiges Ressourcenmanagement als Gegenstand einer transdisziplinären Betriebswirtschaftslehre. Impulse zur WachstumsWende. Wuppertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, 2011
Hallo,
Super Artikel, welche Bücher zu diesem Thema können sie mir empfehlen?