In Diskussionen um Postwachstum und Arbeit wird seit langem gefordert, den Arbeitsbegriff zu erweitern. Statt unter ‘Arbeit’ nur Erwerbsarbeit zu verstehen, lautet die Forderung ‘Sorgearbeit’‚ ‘Reproduktionsarbeit’, ‘Gemeinwesenarbeit’, ‘Eigenarbeit’‚ ‘Subsistenzarbeit’, ‘Freiwilligenarbeit’, kurz: ‘Mischarbeit’, und viele weitere Formen zweckgerichteten Tätigseins gleichermaßen als Arbeit anzuerkennen (auf diesem Blog zum Beispiel Völkle, Barth oder Seidl/Zahrnt ).
Die Gründe für diese Forderung sind unterschiedlich. Eine plausible Begründung lautet, dass (Erwerbs-)Arbeit in modernen Arbeitsgesellschaften absolut zentral für die wirtschaftliche und soziale Existenz ist. Weil Arbeit ein so hoher Stellenwert beigemessen wird, und auf dieser Grundlage ‘arbeitslose’ Menschen und unbezahlte Tätigkeiten ausgeschlossen werden von Anerkennung, Teilhabe, sozialstaatlicher und gewerkschaftlicher Unterstützung, müssen Tätigkeiten in den ‘Adelsstand’ der Arbeit erhoben, um aufgewertet und anerkannt zu werden.
Arbeit adelt?
Allerdings kann eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs problematisch und dem Ziel eines emanzipatorischen gesellschaftlichen Wandels sogar abträglich sein, und zwar aus mindestens vier Gründen:
(1) Es bedeutet Anerkennung auf einem Umweg, wenn sinnvolle Aktivitäten nur als wertvoll anerkannt werden, wenn sie ‘Arbeit’ genannt werden, statt sie um ihrer selbst willen wertzuschätzen. Was sagt es über unsere Gesellschaft, wenn essentielle Tätigkeiten der Fürsorge, gesellschaftliches Engagement oder andere sinnvolle Tätigkeiten nur als Arbeit definiert Anerkennung finden? Konrad Paul Liessmann verweist auf die kulturell tief verankerte moderne Arbeitsethik und spricht von einer „Form von Besessenheit“ von Arbeit.
Kein Leben jenseits der Arbeit?
(2) Es bleibt zudem völlig unklar, was alles Arbeit sein soll, und wo sie aufhört. Das wirkt analytisch beliebig und konzeptionell einfallslos angesichts einer Vielfalt an Formen und Konzepten von Zeit und Dasein, kreativen Praktiken und lebendigen Sozialbeziehungen jenseits von Arbeit. Vielmehr aber noch erscheint die Vision einer Gesellschaft, in der das ganze Leben aus nichts anderem als Arbeit bestehen soll, als vollkommen dystopisch. Frigga Haug beispielsweise schlägt mit ihrer (sehr populären) ‘Vier-in-Einem-Perspektive’ solch eine produktivistische Dystopie vor: hier wird der 16-stündige Arbeitstag nur noch durch Schlaf unterbrochen. Gegenüber einer Welt, in der Arbeit niemals aufhört und alles ihr einverleibt wird, gab es in der Arbeiter/innenbewegung des 19. Jahrhunderts noch die Forderung nach ‘eight hours for what we will’ – also nach einem Leben jenseits der Arbeit.
Der ‘Geist’ des Kapitalismus
(3) Wie die feministische Arbeitskritikerin Kathi Weeks aufzeigt, ist es besonders in radikal-feministischer Perspektive politisch-strategisch bedenklich, undifferenziert alles zu Arbeit zu erklären. Arbeit ist eine der zentralen Institutionen und moralischen Instanzen der patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft. Wer diese Gesellschaft grundsätzlich verändern möchte, sollte ihre Grundpfeiler, Logiken und Wertvorstellungen nicht festigen und ausweiten, auch nicht diskursiv. Laut Weeks finden emanzipatorische Kämpfe sonst nur innerhalb der vorherrschenden Institutionen und Normen der Arbeitsgesellschaft statt, stellen diese selbst aber nicht in Frage. Dies ist letztlich kontraproduktiv: es stärkt das System, statt es zu überwinden.
Nur Begriffe zu ändern, ändert nichts am Problem
(4) Schließlich ist eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs nicht nur apolitisch und teils auch ahistorisch, sondern aktiv depolitisierend: Arbeit beliebig auf alle Lebensbereiche auszuweiten, statt sie als eine der zentralen modernen Sozialbeziehungen zu benennen, zu politisieren und möglichst zurückzudrängen, stabilisiert und naturalisiert die gegenwärtigen Verhältnisse. Wenn ohnehin alles Arbeit ist und es nie anders war, wie können Arbeit und Arbeitsgesellschaft dann überhaupt sinnvoll in Frage gestellt und ernsthaft verändert werden?
Ein erweiterter Arbeitsbegriff verschleiert, dass Arbeit in ihrer modernen, historisch-kulturellen Sonderform eine absolut dominante Bedeutung hat, nämlich Erwerbsarbeit. Das ist keine immer sinnvolle oder wünschenswerte Definition, aber nun mal die für eine Existenz in unserem Wohlfahrtsmodell maßgebliche – es ist die Definition, die zentralen Institutionen unserer Gesellschaft, ‘Arbeitswelt’ und auf Wachstum getrimmten Wirtschaft zugrunde liegt.
Somit ist es auch die Definition, in deren Namen die exorbitante ökologische Zerstörung unseres Planeten legitimiert wird – so wird auch im anstehenden Bundestagswahlkampf ein verlässlich vorgebrachtes Argument sein, dass Klimaschutz unter Vorbehalt der Arbeitsplatzsicherung stehen muss (worin sich alle Parteien einig sein dürften). Diese Realität kann nicht einfach ‘wegdefiniert’ werden, und sie zu ignorieren, lässt eine ganz zentrale Problematik völlig unangetastet.
Dies ist somit keine akademisch-theoretische Begriffsübung. Um dringend nötige gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, reicht es nicht, allein gegen den dominanten Begriff von Arbeit zu sein. Es ist vielmehr nötig, die gesamte Organisation der Gesellschaft unter dem vorherrschenden Arbeitsbegriff zu überdenken. Dafür muss Arbeit in ihrer maßgeblichen Bedeutung und Form als Erwerbsarbeit ernst genommen, und viel genauer diskutiert werden: Welche Arbeit ist notwendig, welche ist sinnlos und destruktiv, wie kann Arbeit entlang dieser Kategorien reduziert und auf veränderter, post-fossiler Energiebasis umorganisiert, und essentielle Lebensbereiche endlich aufgewertet werden? Ein erweiterter Arbeitsbegriff, der Arbeit nur umdefiniert, aber nicht weiter hinterfragt, geht nicht nur am Problem vorbei, sondern ist im ungünstigsten Falle Teil des Problems.
Literatur:
Völkle, H. (2020). Caring for Change: Care-Ökonomie und Postwachstum.
Barth, T. (2020). Keine Nachhaltigkeitstransformation ohne Arbeit.
Seidl, I., & Zahrnt, A. (2019). Erwerbsarbeit, Tätigsein und Postwachstum.
Liessmann, K. P. (2017). Wir binden alles an Lohnarbeit. Deutschlandfunk.
Haug, F. (2011). Die Vier-in-Einem-Perspektive – Eine Utopie von Frauen, die eine Utopie für alle ist.
Jones, J. H., & Blanchard, I. G. (1878). Eight Hours. Cincinnati’s University Singers.
Rosenzweig, R. (1985). Eight Hours for What We Will. Workers and Leisure in an Industrial City, 1870–1920. Cambridge University Press.
Weeks, K. (2011). The Problem with Work. Feminism, Marxism, Antiwork Politics, and Postwork Imaginaries. Durham: Duke University Press.
Hoffmann, M. & Paulsen, R. (2020). Resolving the ‘jobs-environment-dilemma’? The case for critiques of work in sustainability research. Environmental Sociology, 6(4). 343-354. DOI: 10.1080/23251042.2020.1790718.