Standpunkte

Keine Nachhaltigkeitstransformation ohne Arbeit

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Dem Thema der Arbeit kommt in der breit verstandenen sozial-ökologischen Transformationsdebatte in jüngerer Zeit wieder sichtbar mehr Aufmerksamkeit zu (vgl. z.B. Diefenbacher et al. 2016, Barth/Jochum/Littig 2016, Bell 2019, Seidl/Zahrnt 2019 oder auch den im Mai 2020 im Zuge der sozialen Verwerfungen der Corona-Pandemie veröffentlichten Aufruf „Work. Democratize, Decommodify, Remediate“).

Das ist mit Blick auf die wachstumskritische Debatte erfreulich, denn es erweitert die potenzielle soziale Basis einer solchen Transformation in eine Gesellschaft jenseits des Wachstumsimperativs. Interessenkoalitionen zwischen bestimmten, letztlich doch überschaubaren, an individueller Genügsamkeit orientierten, sozialen Milieus in relativ privilegierter Position mit der breiten Masse der Lohnabhängigen werden zumindest theoretisch denkbar. Das gemeinsame Interesse am Erhalt der natürlichen Voraussetzungen des Arbeitsvermögens und der Lebenskraft, die Kritik an zerstörerischer Ausbeutung von menschlicher und nicht-menschlicher Natur könnte hier die gemeinsame Klammer bilden.

Die Nicht-Nachhaltigkeit der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft

Die gewonnene Aufmerksamkeit für das Thema Arbeit reflektiert somit unsere Gesellschaftsstruktur als eine kapitalistische Arbeitsgesellschaft. Eine Arbeitsgesellschaft, die zentral um die Frage des Besitzes und Nicht-Besitzes von produktivem Kapital bzw. Vermögen und damit um die Lohnarbeit herum gestrickt und auf sie ausgerichtet ist. Und die meisten Einzelnen – die nicht über ausreichendes alternatives Vermögen jenseits des eigenen Arbeitsvermögens verfügen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern – werden nahezu von der Wiege bis zur Bahre über den gesamten Lebenslauf auf sie ausgerichtet.

Was uns die gegenwärtige Situation sozialer Brüche infolge der Pandemie-Bekämpfung überdeutlich zeigt, lässt sich auf die Nachhaltigkeitstransformation übertragen: die Art der Eingliederung in das Erwerbsarbeitssystem und der daran gekoppelte Umfang und die Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme entscheidet – entlang horizontaler Ungleichheitskategorien wie Geschlecht, Alter und Ethnizität – in hohem Maße darüber, wie stark Personen und Haushalte von derart tiefgreifenden sozialen Veränderungen betroffen sind. Und eine Nachhaltigkeitstransformation wird definitiv eine solche tiefgreifende Veränderung sein, für deren demokratisch legitimierte Gestaltung politische Strukturen vielleicht erst noch zu schaffen sind. Sie werden jedenfalls die Gestaltung und Verteilung von bezahlter und nicht bezahlter Arbeit viel stärker umfassen müssen als bisher. Auch das bringt die Pandemiesituation ans Licht. Eine Re-Regulierung der Arbeitsbedingungen besonders augenfälliger Sektoren nicht-nachhaltiger Arbeit wie der Fleischindustrie kann nur ein Anfang sein.

Eine Nachhaltigkeitstransformation der Lohnarbeitsgesellschaft

Soll die derzeitige relativ verbreitete Kritik an der nicht-nachhaltigen Arbeitsgesellschaft nicht wie in der Vergangenheit nach einer gewissen Konjunktur wieder abebben, soll also nicht wieder zur „Normalität“ übergegangen werden, in der Arbeitsplätze gegen ökologische Notwendigkeit ausgespielt werden oder diese – in einer Lohnarbeitsgesellschaft durchaus manifesten und nicht nur vorgeschobenen –  Widersprüche lediglich in grünen Jobs „aufgehoben“ werden, dann sind aus meiner Sicht drei Momente zu beachten.

Der erste Punkt betrifft das Verhältnis von Erwerbsarbeit zu nicht-entlohnten Tätigkeiten und ist in der Transformationsdebatte wenig umstritten: Eine Nachhaltigkeitstransformation der Lohnarbeitsgesellschaft impliziert zwingend eine geregelte Schwächung des Zusammenhangs der Stellung im Erwerbsarbeitssystem zur sozialen Absicherung, den Konsum- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten. Zwei zentrale Orientierungspunkte lauten demnach Dekommodifizierung von Arbeit und die Aufwertung nicht-erwerbsförmiger Tätigkeiten.

Befreiung von der Arbeit?

Zweitens habe ich erhebliche Zweifel daran, wir hätten es im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation mit einer selbstverständlichen Bewegung hin zu insgesamt „weniger Arbeit“ zu tun. Ganz im Gegenteil ist viel eher davon auszugehen, dass wir wieder mehr werden selbst arbeiten müssen. Dies gilt zumindest dann, wenn wir Arbeit nicht unbesehen mit Erwerbsarbeit gleichsetzen, sondern etwa mit Marx (1988[1867]: 198) als „zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse“ fassen. Ein weniger ressourcen- und energieintensives Wirtschaften im Einklang mit den biophysischen Bedingungen erfordert mehr anstrengende Tätigkeit. Auch aus der Perspektive globaler sozialer Gerechtigkeit ist es für die reichen Dienstleistungsökonomien angezeigt, für die billige Arbeit in anderen Weltregionen entweder mehr zu bezahlen oder – bzw. wohl viel eher: und – wieder mehr selbst denjenigen an die Peripherien ausgelagerten Tätigkeiten nachzugehen und zum Beispiel mehr zu reparieren, statt zu konsumieren.

Eine ökologisch zukunftsfähige und global sozial gerechte Postwachstumsökonomie steht der Idee einer „Befreiung von der Arbeit“ damit nicht notwendig entgegen. Sie zielt aber darauf, diese nicht vollständige, aber doch tendenzielle Befreiung von mühevoller oder gefährlicher Arbeit möglichst gleich zu verteilen und nicht entlang bestehender Ungleichheits- und Machtverhältnisse, wie es gegenwärtig der Fall ist.

Dass eine solche Perspektive keinesfalls mit einem „Rückfall in die Steinzeit“ gleichzusetzen ist, wie sowohl von Verteidiger*innen dominanter industrieller Formen der Naturbeherrschung als auch von „aufgeklärten Hedonist*innen“, die an die Befreiung von jeglicher Mühe durch Maschinen glauben, zuweilen polemisiert wird, zeigt ein kursorischer Blick auf eine mögliche nachhaltige Mobilität der Zukunft. Diese zukünftige Mobilität in den urbanen Zentren ist nur dann zukunftsweisend, wenn sie als unauflöslich mit nachhaltiger Arbeit verbunden betrachtet wird. Mobilitätsbedürfnisse sind vielfältig, einige Grundsätze der Mobilität in einer nachhaltigen Arbeitsgesellschaft wären aber beispielsweise: digital vernetzte und geteilte Verkehrsmittel, bereit gestellt in nicht profitorientierter Organisationsform, der umfassende Ausbau von Möglichkeiten einmal aufwändig produzierte Verkehrsmittel instand zu halten und schließlich die Reorganisation der Fertigungsstrukturen entlang der Frage: Brauchen wir das wirklich? Letztlich ist auch hier die Nutzung von mehr menschlicher Energie vorzusehen, z. B. durch eine grundlegend überarbeitete Radfahrinfrastruktur, dort, wo es möglich ist.

Eine Frage der Demokratie: Arbeit neu bewerten und Macht umverteilen

Grundsätzlich neu ist das nicht und entsprechende Lösungen werden bereits vielfach erprobt und ausgebaut. Neu und unausweichlich ist aber, diese Lösungen im Zusammenhang mit der Frage zu betrachten, wie wir zukünftig arbeiten werden, welche Funktionen verschiedene Arbeitsformen erfüllen, wie sie bewertet und verteilt werden und wer darüber entscheidet. Und damit ist der dritte Aspekt angesprochen, an dessen Thematisierung eine Debatte und soziale Praxis nachhaltiger Arbeit nicht herumkommt. Es geht um zuvorderst um Verteilungsfragen: die Neuverteilung von Macht und Vermögen. Wenn institutionelle Formen und fortwirkende Selbstverständlichkeiten der Industriegesellschaft in Frage gestellt werden, sind Konflikte und Widerstände absehbar. Aber ohne Konflikte um die Arbeit auf Basis einer breiten Interessenkoalition, die ich oben angesprochen habe, lässt sich dieser Wandel nicht gestalten. Fraglich ist nur, wie derartige Konflikte konstruktiv im Sinne einer nachhaltigen Arbeitsgesellschaft, die auch gleiche Rechte auf Nicht-Arbeit, Muße und z. B. politische Gestaltungsarbeit anerkennt, bearbeitet werden können.

 

Literatur:

Barth, Thomas/Jochum, Georg/Littig, Beate (Hrsg.) (2016): Nachhaltige Arbeit. Soziologische Beiträge zur Neubestimmung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Frankfurt/New York: Campus Verlag.

Bell, Karen (2020): Working-Class Environmentalism an Agenda for a Just and Fair Transition to Sustainability. Cham: Palgrave Macmillan.

Diefenbacher, Hans/Foltin, Oliver/Held, Benjamin/Rodenhäuser, Dorothee/Schweizer, Rike/Teichert, Volker (2016): Zwischen den Arbeitswelten: der Übergang in die Postwachstumsgesellschaft. Originalausgabe. Frankfurt a.M.: FISCHER Taschenbuch.

Marx, Karl (1988 [1867]): Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Karl Marx – Friedrich Engels – Werke. Bd. 23. Berlin.

Seidl, Irmi/Zahrnt, Angelika (Hrsg.) (2019): Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft. Marburg: Metropolis-Verlag.

Thomas Barth ist akademischer Rat auf Zeit am Lehrstuhl Soziale Entwicklungen und Strukturen des Instituts für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen gesellschaftliche Naturverhältnisse, politische Soziologie sowie Arbeit und Nachhaltigkeit (Environmental Labour Studies). Sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung zu betreiben, heißt für ihn, v. a. den Verbindungen zwischen Machtverhältnissen, unterschiedlichen Organisationsformen von Arbeit und globalen sozial-ökologischen Ungleichheiten unter dem Gesichtspunkt vorherrschender Nicht-Nachhaltigkeit nachzugehen. Er ist u. a. Mitglied der Arbeitsgruppe 'Nachhaltige Arbeit – Die sozial-ökologische Transformation der Arbeitsgesellschaft' des Deutschen Komitees für Nachhaltigkeitsforschung in Future Earth.

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