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Caring for Change: Care-Ökonomie und Postwachstum

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Standen in der Finanzkrise insbesondere die Banken aufgrund ihrer Systemrelevanz im Fokus politischer Maßnahmen, so zeigt sich in der Coronakrise ein anderes Bild. Als systemrelevant gelten sorgende und pflegende Tätigkeiten oder solche, die für die Versorgung von Menschen essenziell sind wie der Einzelhandel oder Lieferverkehr. Auch die Klima- und Biodiversitätskrise erfordern es, dass ökologische und gesellschaftliche Reproduktion einen neuen Stellenwert erhalten. Dabei bieten Sichtweisen der feministischen Ökonomie die Möglichkeit, Postwachstum, Systemrelevanz und Care-Arbeit gemeinsam zu denken und somit zu intersektionalen Transformationsansätzen zu gelangen.

Abgrenzung vom Green New Deal als potenziellen Lösungsansatz für aktuelle Krisen

Gelingt nachhaltiges Wirtschaften ohne die bisherige Wachstumsorientierung in Frage zu stellen? Der europäische Green New Deal geht davon aus, dass Technik und Entwicklung klimafreundliche Nachhaltigkeit ermöglichen können. Die Idee technikbasierter Effizienzsteigerung kommt vor allem männlich-dominierten Branchen wie der Energie- und Bauindustrie zugute (vgl. Kuhl/Maier 2012; Bauhardt 2013). Im effizienzorientierten Green New Deal spielt die Geschlechterperspektive kaum eine Rolle. Nachhaltigkeit und nachhaltiges (Konsum-)Verhalten werden dabei unabhängig von bestehenden Macht-, Herrschafts- und Ungleichverhältnissen verhandelt. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Ansätze des Green New Deals keine Lösungsansätze auf die aktuelle Krisensituation anbieten können, in der mehr als deutlich geworden ist, dass zukunftsfähiges Wirtschaften mehr bedeutet als fossilfreie Effizienzsteigerung.

Viele der systemrelevanten Berufe, auf die es in den vergangenen Monaten ankam und weiterhin ankommen wird, sind Tätigkeiten der  Sorgearbeit. Sorgearbeit ist ein Begriffsrahmen, der die Gesamtheit bezahlter und unbezahlter Sorgetätigkeiten in den Blick nimmt. Das sind Aufgaben, die Menschen für sich oder andere leisten wie zum Beispiel Kinderbetreuung, Pflege, Hausarbeiten oder Selbstfürsorge. Systemrelevante Berufe und (unbezahlte) Sorgearbeit sind die Grundlage des Wirtschaftens. Sie reproduzieren täglich menschliche Arbeitskraft – auch und insbesondere in der Krise. Ist der Krisenmoment denn einer, der Veränderung – die Vision eines anderen Wirtschaftens – anregt oder gar anstößt?

Die Verbindung zwischen Postwachstum und Sorgearbeit als Gemeingut

Ansätze des Postwachstums sind im weitesten Sinne Theorien ökologischer Ökonomie zuzuordnen. In sich plurale Postwachstumsansätze erkennen Grenzen des Wachstums an und unterscheiden sich damit grundsätzlich von Ideen des Green New Deals. Sie bieten eine alternative Perspektive statt einer Wachstumsfixierung an und setzen Fragen der Suffizienz ins Zentrum von wirtschaftlichen Überlegungen. Daran anknüpfend appellieren Postwachstumsansätze, Tätigkeiten jenseits von Märkten und staatlichen Organisationen zu organisieren. Kann dieser Gedanken mit Ideen zur gerechten Verteilung von Sorgearbeit zusammengedacht werden? Eine mögliche Idee ist Care, also Sorgearbeit, als Gemeingut, als Common zu organisieren. Sorge rückt damit ins Zentrum des Wirtschaftens, statt marginalisiert zu werden.

Vier Positionen der Verknüpfung von Postwachstum und Feminismus

Vertreter:innen der Feminism and Degrowth Alliances (FaDA) bringen ökologische und feministische Ansätze zusammen. Vier beispielhafte Forderungen feministischer Postwachstumsideen (Dengler/Lang 2019):

1) Ein Arbeitsbegriff, der mit der Gleichsetzung von Arbeit und Lohnarbeit bricht und Sorgearbeit miteinbezieht. Dann wenn es darum geht Arbeit gerecht aufzuteilen, dann wenn es darum geht Lohnarbeitszeiten zu verkürzen und dann wenn auch freie Zeit fair verteilt wird. Ein ausschließlicher Fokus auf Lohnarbeitszeitverkürzung bedeutet nämlich nicht automatisch, dass alle mehr Freizeit zur Verfügung haben.

2) Eine Verteilungs- statt Verlagerungsstrategie von Sorgearbeit, die jenseits von staatlichen oder marktförmigen Prozessen gestaltet wird. Das bedeutet statt darauf zu setzen, dass kommodifizierte Sorgearbeit in einem patriarchal geprägten System besser entlohnt wird, könnte auch darüber nachgedacht werden, geschlechtergerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Sorgearbeit außerhalb von entsprechenden Tauschlogiken zu organisieren.

3) Eine materielle Existenzsicherung, die von Lohnarbeit entkoppelt ist, damit alle – unabhängig von ihrem Einkommen – die Möglichkeit haben, gut zu leben. Das könnte zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen sein. Zusammen mit der Lohnarbeitszeitverkürzung entstehen so Zeiten und Räume, die (geschlechter-)gerecht neuverteilt und gestaltet werden können. Also etwa Zeit für zivilgesellschaftliches oder politisches Engagement oder Orte der nachbarschaftlichen Begegnung.

4) Eine Sprache, die bisher gängige Bewertungen und Vergleiche des Wirtschaftens in Frage stellt und damit einen anderen Fokus setzt. Feministische Postwachstumsökonom:innen fordern, Lebensdienlichkeit statt Wachstum ins Zentrum wirtschaftlicher Bewertungssprache zu rücken. Sprache drückt das aus, was vorstellbar ist. Eine Abkehr von Wachstumsfixierung, muss sich auch in den (dekolonialen) Bildern widerspiegeln, die sprachlich zum Ausdruck gebracht werden.

Eine Möglichkeit für feministisch-ökologische Umgestaltung

Diese vier Ideen zeigen konkrete Handlungsmöglichkeiten auf, wie Transformationsansätze antikapitalistisch, feministisch, ökologisch und zugleich dekolonial gestaltet werden müssen, um zukunftsfähig zu sein. Die Fixierung auf technische, effizienzorientierte Ideen oder solche, die die Hierarchisierung von (Geschlechter-)Ungleichverhältnissen ausblenden, greifen zu kurz. Ökologische und soziale Reproduktionsfragen sind miteinander verwoben.

Um dieser Dynamik der Verwobenheit gerecht zu werden, müssen akademische und aktivistische Ansätze noch stärker miteinander verknüpft werden. Insbesondere in Krisenzeiten sind Praxis und Theorie sowie Bewegung und Analyse gleichermaßen gefragt. Krisen politisieren und sind „Momente des politischen Erwachens und eine Gelegenheit zum gesellschaftlichen Wandel“ (Arruzza et al. 2019: 30). Diese Gelegenheit gilt es zu nutzen und der Frage nachzugehen: In wessen Logik werden Krisen überwunden? Wird der Klimawandel mit Emissionshandel abgewendet? Wird Sorgearbeit kommodifiziert gerechter verteilt? Soll reformiert oder revolutioniert werden? Die Antworten auf diese Fragen bleiben offen, die Einladung zum Mitgestalten steht aber.

 

Dieser Artikel basiert auf den inhaltlichen Leitlinien des Vortrages „Caring for Change“ beim Workshop „Care Ökonomie: Neue Strukturen zwischen Green New Deal und Postwachstum“ auf der IÖW-Tagung „Zeitenwende 2020: Wird diesmal alles anders? Konzepte und Handlungsstrategien für resilientes Wirtschaften“. Zur Dokumentation der Tagung gelangen Sie hier.

 

Quellen:

Arruzza, Cinzia; Bhattacharya, Tithi; Fraser, Nancy (2019): Feminismus für die 99 %. Ein Manifest. Berlin: MSB Matthes & Seitz.

Bauhardt, Christine (2013): Wege aus der Krise? Green New Deal – Postwachstumsgesellschaft – Solidarische Ökonomie: Alternativen zur Wachstumsökonomie aus feministischer Sicht. In: Gender (2), S. 9–26.

Dengler, Corinna; Lang, Miriam (2019): Feminism meets Degrowth. Sorgearbeit in einer Postwchstumsgesellschaft. In: Knobloch, Ulrike (Hsg.): Ökonomie des Versorgens. Feministisch-kritische Wirtschaftstheorien im deutschsprachigen Raum. Weinheim: Beltz Juventa, 305–330.

Kuhl, Mara; Maier, Friederike (2012): The Gender Dimensions of the Green New Deal. Study commissioned by The Greens/EFA Group in the European Parliament.

 

 

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