Neues aus der Wissenschaft

Wie diskutieren Ministerien die Wachstumsfrage? (III)

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Nachdem wir in einem ersten Artikel einen Überblick über die grundsätzlichen Positionierungen verschiedener Bundesministerien in der Transformations- und Nachhaltigkeitsdebatte gegeben haben, haben wir im Anschluss das Finanz- und Wirtschaftsministerium genauer beleuchtet.  Wir möchten nun die Perspektive auf die weiteren Ressorts erweitern und mit allgemeinen Beobachtungen abschließen.  

Ein breiteres Innovationsverständnis

Für weitgehende Vorstellungen einer sozial-ökologischen Transformation wie sie in der Postwachstumsdebatte zu finden sind, bildet die Innovationspolitik einen weiteren relevanten Anknüpfungspunkt. Beim dafür zuständigen Bundeministerium für Bildung und Forschung (BMBF) kommen Postwachstumskonzepte auf der Homepage, in Strategien und öffentlichen Stellungnahmen des Ressorts jedoch nicht vor. Stattdessen bekennt es sich in seiner strategischen Ausrichtung deutlich zum grünen Wachstum als Strategie, um Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeitsziele zu verbinden. Die Hightech-Strategie 2025 der Bundesregierung, die federführend vom BMBF erarbeitet wurde, formuliert das „übergeordnete Ziel, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und damit die Rohstoffproduktivität zu erhöhen.“ Dies soll durch eine „ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft“ erreicht werden, welche wiederum stark auf technologische und soziale Innovationen aufbaut. Das BMBF setzt hier also sehr stark auf eine Entkopplung durch das Ausschöpfen von Optimierungspotenzialen zur Erhöhung der Ressourcenproduktivität. Als Zielausrichtung für die Innovations- und Forschungspolitik werden gehäuft Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität im gleichen Kontext genannt. Die Aneinanderreihung zeigt auf der einen Seite, dass Wachstum nicht als singuläres Ziel und Selbstzweck gilt, sondern dass ein breiteres Zielsystem besteht innerhalb dessen Wohlstand und Lebensqualität als von Wachstum abhängig oder zumindest damit verbunden angesehen werden. Es wird argumentiert, dass Deutschlands Wohlstand abhängig von der „Spitzenposition als Wirtschaft- und Exportnation” ist, welche wiederum von Spitzeninnovationen abhängt. In der traditionellen Auffassung wird fast ausschließlich von einem technologischen Innovationsverständnis ausgegangen, das zur wirtschaftlichen Prosperität beitragen soll.

In jüngerer Zeit entwickelt sich jedoch ressortübergreifend ein Bewusstsein für die ebenfalls große Bedeutung und damit verbundene Förderungswürdigkeit von sozialen Innovationen. Nach Empfehlungen des Hightech-Forums und der Expertenkommission Forschung und Innovation haben neun Bundesministerien im August 2021 ein gemeinsames „Ressortkonzept zu Sozialen Innovationen“ entwickelt. Die Koordination lag dabei beim BMBF. Die Definition von Innovation ist hierbei bewusst breit gehalten, um den jeweiligen Ministerien Handlungsspielraum zu gewähren und umfasst „die Entwicklung, Anwendung, und flächendeckende Implementierung zukunftsfähiger, nachhaltiger Produkte, Prozesse, Praktiken, Organisationsformen.“ Generell gilt eine gemeinsame Orientierung an Bedürfnissen, Diversität, Teilhabe und Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bedeutet hierbei, dass sich ökologische, soziale und ökonomische Nutzen gegenseitig stützen, statt sich zu widersprechen. Die Strategie listet die unterschiedlichen Aktivitäten der Ministerien auf. Für das BMBF wird unter anderem die Forschung für Nachhaltige Entwicklung genannt.

Während das BMBF in seiner generellen Ausrichtung wachstumszugewandt ist, so unterstützt es durch seine Bildungs- und Forschungsprogramme durchaus auch Initiativen deren Ansätze an Postwachstumskonzepte anknüpfen, wie bspw. verschiedene Foresight-Projekte. Auch das BMBF-Konzept „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ fördert einige Forschende, die explizit wachstumskritisch sind. Im gleichen Projektkontext gibt es auch vereinzelte Bereiche, in denen das BMBF bestehende Konsumweisen hinterfragt, so zum Beispiel beim Thema Fleischverzicht. Generell könnte der Bereich Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) mit seiner ganzheitlicheren Ausrichtung einen Bezugspunkt zu nachhaltigem Wohlstand und Transformation darstellen.

Ernährung: von Quantität zu Qualität

Die nötige Transformation zu einem nachhaltigen Ernährungssystem scheint unter der neuen grünen Leitung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft seit 2021 eine deutlich stärkere Priorität als davor zu haben. Dabei bestehen Anknüpfungspunkte für die Sichtweise des „wünschenswerten Weniger“, bzw. Qualität über Quantität. Dies gilt zum einen auf Konsumseite für den Prozess der ‚Interministeriellen Arbeitsgruppe zu Nachhaltigem Konsum‘, wo eine Suffizienzperspektive insbesondere mit Bezug zu tierischen Produkten Platz finden könnte. Zum anderen rücken über die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau und die Zukunftskommission Landwirtschaft die Industrialisierung der Agrarproduktion mitsamt Produktivitäts-, Profit- und Exportdrücken für Unternehmen in das kritische Blickfeld. Eine neue Dynamik entsteht in den letzten Jahren um das Konzept der (globalen und nationalen) Ernährungssicherung, das sowohl von BMEL als auch vom Entwicklungsministerium (BMZ) politisch aufgegriffen wird. Im Kontext des russischen Angriffskriegs wird die soziale Bedeutung der grundlegenden Bedürfniserfüllung unter sich verändernden wirtschaftlichen Bedingungen immer deutlicher. Es zeigt sich, dass in der Transformation zu einem nachhaltigen Ernährungssystem im Speziellen und zu nachhaltigem Wohlstand im Generellen sowohl soziale Untergrenzen als auch ökologische Obergrenzen für Transformationspfade berücksichtigt werden müssen.

Fazit: Die Transformation im Großen und Kleinen

Aus der differenzierten Betrachtung der Diskurse, strategischen Ausrichtung und politischen Umsetzung der verschiedenen Bundesministerien ergeben sich spezifische Strategieaufgaben an Akteure, die an der politischen Umsetzung einer Postwachstumstransformation mitwirken wollen. Es ist wichtig, auch weiterhin beharrlich auf die Grenzen der Entkopplung hinzuweisen und einen unangemessenen Technologieoptimismus zu kritisieren. Es ist darüber hinaus unerlässlich, anschlussfähige alternative Diskurse (wie die der sozial-ökologischen Transformation oder Wellbeing Economy) aktiv in Diskursarenen einzubringen, die zentrale politische und administrative Akteure wie Bundesministerien erreichen. Ein wichtiges Argument könnte hierbei sein, dass zur Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz und Vorsorge in unsicheren Zeiten eben auch die wachstumsunabhängig(er)e Gestaltung des gesellschaftlichen Wohlergehens gehört. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie sowie der vom BMWK angestoßene Indikatorenprozess (siehe unser zweiter Artikel) zeigen sich dabei als konkrete Möglichkeitsfenster integrierte Zielausrichtungen und Strategiegestaltung mitzuentwickeln und zu institutionalisieren. Bedingung hierfür ist jedoch, dass es geeignete Partizipationsmöglichkeiten für gesellschaftliche Stakeholder gibt, die es einzufordern gilt.  Schließlich bleibt es wichtig, die potenzielle Bandbreite von Postwachstumsideen auf konkrete Politikprobleme und -prozesse hin zu spezifizieren und zu konkretisieren und sie als plausible Alternativen in die jeweiligen Transformationsdebatten einzubringen. Die Herausforderung besteht also darin, sowohl die stark kontextuellen Transformationsschrauben im Kleinen als auch das ‚Bigger Picture‘ im Blick zu behalten.

 

Wir möchten uns an dieser Stelle sehr bei unserem Kollegen Nils aus dem Moore, ehemals RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, für die Zusammenarbeit in verschiedenen gemeinsamen Projekten bedanken, auf denen diese Artikelreihe inhaltlich beruhen.

David Hofmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Er arbeitet u. a. zu den Themen alternative Wirtschaftsweisen, Postwachstum sowie zu Fragen der Wirtschafts- und Umweltpolitik. Seit 2011 ist er Redakteur des Blogs Postwachstum.de. Studiert hat er Volkswirtschaftlehre sozialwissenschaftlicher Richtung an der Universität Potsdam.

Jannis Niethammer ist im Bereich Justice, Equity and Democracy des ICLEI Europasekretariats tätig. Zu seinen Schwerpunkten gehört die Integration von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit in städtischen Transformationsprojekten. Zuvor studierte er M.Sc. Environmental Governance an der Universität Freiburg und arbeitete als studentischer Mitarbeiter im Bereich "Umweltökonomie und Umweltpolitik" des IÖW insbesondere zu Postwachstumsthemen.

Ulrich Petschow ist Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Forschungsfeld Umweltökonomie und Umweltpolitik. Er forscht unter anderem zu Postwachstumsthemen.

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