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Kann Decluttering zu Suffizienz beitragen?

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Minimalismus & Decluttering als Lifestyletrends: Potenziale für ein suffizientes Leben?

Aussortieren und Aufräumen als Schlüssel zum Glück – dies ist das Versprechen zahlreicher Ratgeber und Blogs zum Thema Decluttering (engl. für Entrümpeln, Aufräumen) und Minimalismus (vgl. Kondo 2021, Fazis 2020, Jachmann 2019). Spätestens seit Marie Kondo und ihrer international bekannt gewordenen KonMari-Methode sind Praktiken zur Besitzreflexion und -reduktion zum „Lifestyletrend“ geworden. Sie entsprechen einem Zeitgeist, in dem Erschöpfung und Überforderung durch Konsumüberfluss in der Mitte der Gesellschaft verbreitet sind. Zwar gibt es eine lange Tradition von Bewegungen und Konzepten zum „minimalistischen Leben“ (vgl. Elgin und Mitchel 1977; Etzioni 1999). Auch wurden im eher akademischen Suffizienz-Diskurs zahlreiche Vorschläge zur Förderung eines „einfachen Lebens“ veröffentlicht (siehe hierzu u.a. viele Beiträge auf diesem Blog). Doch erst die popkulturelle Rezeption von Minimalismus und insbesondere die Kombination mit „Decluttering“ – so unsere These – haben die Vision vom „Glück durch Weniger“ für breitere Bevölkerungsgruppen attraktiv und konkret umsetzbar gemacht. Dies stellt einerseits eine Chance zur Förderung suffizienter Lebensstile dar; andererseits ist bislang unklar, ob und inwieweit Decluttering-Maßnahmen tatsächlich zu einem langfristig ressourcenleichten Leben beitragen können.

Bürgerwissenschaftler*innen erforschen die Wirkungen von Decluttering

Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Citicen Science-Forschungsprojekts, „Mein Ding – Ich bin, was ich (nicht) habe“, das von der TU Berlin, co2online und ConPolicy umgesetzt wird, soll dieser Frage nachgegangen werden. Citizen Science bedeutet, dass am Forschungsprojekt nicht nur Wissenschaftler*innen, sondern auch zahlreiche interessierte Bürger*innen teilnehmen und mitforschen. Dies tun sie in einem zweistufigen Prozess: Zunächst erproben sie verschiedene Übungen zur Reflexion und Reduktion von Gütern an sich selbst und geben dazu Feedback ans Forschungsteam. Anschließend testen und verbreiten sie die Übungen auch in ihrem Umfeld und geben dazu im Anschluss Rückmeldung.

Zur Vorbereitung und Konzeption dieser Übungen wurden im Projekt zahlreiche Praxisratgeber (v.a. Blogs und Bücher) zu Minimalismus und Decluttering analysiert (Münsch et al. 2022). Hierauf aufbauend skizzieren wir nachfolgend unsere Überlegungen zu möglichen Chancen, Risiken und Veränderungsbedarfen von Decluttering-Maßnahmen für einen suffizienten Lebensstil.

Chancen von Decluttering für ein suffizientes Leben

Decluttering- und Minimalismus-Ratgeber zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr praxisorientiert und anschaulich sind. Meist wird Schritt-für-Schritt erläutert, wie vorzugehen ist, um den eigenen Besitz zu reduzieren. Es gibt Übungen, Tipps und praktische Beispiele. Diese konkreten Anleitungen und der hohe Praxisbezug machen den Einstieg leicht. Es erscheint hierbei vorteilhaft, dass der Blick auf das Bestehende gelenkt wird, nämlich auf den Besitz in der eigenen Wohnung. Es geht also nicht um einen diffusen, zukünftigen Konsum, der reduziert werden soll, sondern jede*r kann sofort im „Hier und Jetzt“ loslegen. Hieraus ergibt sich auch der Vorteil, dass positive Effekte des Aussortierens direkt beobachtbar und erfahrbar sind und motivierend wirken können, zukünftig weniger Dinge zu besitzen (z.B. Entlastung, sich um weniger Dinge kümmern zu müssen, mehr Klarheit und Ordnung). Die „Befreiung vom Überfluss“ (Paech 2012; vgl. Folkers und Paech 2020) wird durch Praktiken des Ausmistens konkret.

Außerdem enthalten Decluttering- und Minimalismus-Ratgeber oft vielfältige Übungen, die die Güter- und Konsumreflexion fördern. Eine weit verbreitete Übung vor dem konkreten Aussortieren ist etwa, zunächst die eigenen Güter zu schätzen, um sie anschließend detailliert nachzuzählen. Durch diese Bestandsaufnahme wird die Auseinandersetzung mit dem eigenen Besitz gefördert. Auch gibt es häufig Übungen zur Frage, was im Leben Bedeutung hat oder inwiefern es hierbei auf Materielles ankommt. Auch beim Ausmisten selbst kann die Reflexion stimuliert werden. So zeichnet sich etwa die KonMari-Methode dadurch aus, dass jedes Ding in die Hand genommen und hinsichtlich des dabei entstehenden Glücksgefühls bewertet werden soll (vgl. Kondo 2021). Anzunehmen ist, dass hieraus Lerneffekte über das eigene Konsumverhalten, bestehende Bedürfnisse und Vorlieben folgen können, die für die Umsetzung von suffizienten Konsumpraktiken relevant sind.

Risiken und Veränderungsbedarf von Decluttering-Maßnahmen

Die Ratgeber-Analyse hat jedoch auch Risiken bzw. Veränderungsbedarfe von Decluttering-Maßnahmen im Hinblick auf Suffizienz offenbart. Da es beim Ausmisten vor allem um eine Reduktion der Gütermenge geht, nicht aber um eine Reduktion von Gütern, die einen besonders hohen Ressourcenverbrauch induzieren, werden besonders relevante Bereiche des Ressourcenverbrauchs oft nicht adressiert (z.B. Auto, elektrische Großgeräte, Art der Heizung).

Für die Umsetzung von Maßnahmen des Aussortierens werden in Decluttering-Ratgebern nur teilweise Hinweise zur Weitergabe, Reparatur und nachhaltigen Entsorgung gegeben. Zur Förderung eines suffizienten Konsums ist dies jedoch zentral. Im Rahmen des Projektes sollen die Bürgerwissenschaftler*innen daher auch dafür motiviert und dabei unterstützt werden, aussortierte Dinge zu reparieren, sie an andere Personen weiterzugeben oder einem Recycling-Prozess zuzuführen.

Zudem hat die Analyse der Ratgeber gezeigt, dass die Konsumpraxis nach dem Decluttering noch zu wenig Beachtung findet. Zwar werden teilweise Tipps und Übungen vorgeschlagen, wie Neukäufe verhindert und insgesamt weniger konsumiert werden kann (z.B. durch Nicht-Einkaufs-Listen, durch gezieltes Vermeiden von Werbung etc.). Doch diese Hinweise erscheinen insgesamt unzureichend. Schließlich entscheidet sich erst in der Langfrist-Perspektive, ob Decluttering-Maßnahmen den Beginn eines suffizienten Konsumverhaltens markieren oder vielmehr Neukäufe stimulieren. Da es plausibel und naheliegend ist, dass der neu gewonnene Platz dazu motiviert, wieder gefüllt zu werden und eingeübte Konsumpraktiken auch nach dem Ausmisten wieder aufgenommen werden, soll dieser Phase im Rahmen des Projektes eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es gilt herauszufinden, mit Hilfe welcher Maßnahmen und Methoden es gelingen kann, auch nach der Besitzreflexion und -reduktion langfristig mit weniger Dingen gut auszukommen sowie Rebound-Effekte zu vermeiden.

 

Literatur:

Elgin, D. & Mitchell, A. (1977). Voluntary simplicity. Planning Review 5(6), 13-15.

Etzioni, A. (1999). Voluntary simplicity: Characterization, select psychological implications, and societal consequences. In: Essays in Socio-Economics (S. 1-26). Springer.

Fazis, B. (2020). Zeit statt Zeug: Mein Weg zu einem einfacheren Leben. Groh.

Folkers, M. & Paech, N. (2020): All you need is less. Eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht, München, Oekom.

Jachmann, L. (2019). Einfach leben – Der Praxis-Coach: Mit Minimalismus den Alltag organisieren. Praxisbuch zum Guide für einen minimalistischen Lebensstil. Knesebeck.

Kondo, M. (2021). Das große Magic-Cleaning-Buch: Über das Glück des Aufräumens (M. Lubitz & A. G. y Fandiño, Übers.; 6. Aufl.). Rowohlt Taschenbuch.

Münsch, M., Muster, V., Iran, S. (2022): (Nicht) meine Dinge – Konzepte und Praxis-Methoden zur Besitzbegrenzung und -reduktion, 1. Arbeitspapier, verfügbar unter: https://www.projekt-meinding.de/fileadmin/md/ext/MeinDing_Arbeitspapier_1_Konzepte_und_Praxismethoden_zur_Besitzreduktion.pdf

Paech, N. (2012): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in eine Postwachstumsökonomie. oekom.

Dr. Viola Muster ist Projektmanagerin beim ConPolicy-Institut für Verbraucherpolitik. Sie bearbeitet Studien und Projekte zu Verbraucherverhalten und nachhaltigem Konsum. Außerdem ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin. Leonie Ludwig hat Psychologie im Bachelor an der Universität Bremen studiert und war Praktikantin bei ConPolicy. Ihre Interessen liegen vor allem bei umwelt- und sozialpsychologischen Themen. Ihren Master wird sie in Lissabon und Limerick absolvieren mit den Schwerpunkten Kultur- und Politikpsychologie.

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