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Ökodörfer: Ökologisch und feministisch? Teil II

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Ökodörfer: Ökologisch, aber „who cares?“

Die erhobenen Beobachtungen aus der Feldforschung zeigen, dass in den Ökodörfern mit der dominanten Sichtweise von heterosexueller prokreativer Sexualität  nicht gebrochen wird. Dies wird zum einen deutlich, wenn davon gesprochen wird, dass unbedingt Familien mit Kindern gesucht werden. Eine queere Person merkt im Interview an, dass dies für sie sehr schwierig sei, da es für sie wenig Identifikationspotential bietet. Aus diesen Erkenntnissen lässt sich ein gewisser Rahmen an Möglichkeiten ableiten, in dem queere Identitäten, nicht-heterosexuelle Paarkonstellationen und Konzeptionen fernab der Kernfamilie nur wenig vorkommen.

Mütter und Kinder: Zur (Ent-)Feminisierung von Carearbeit

In einem der untersuchten Ökodörfer wird Elternschaft eher traditionell als Verantwortungsbereich der biologischen Eltern betrachtet. Somit verbleibt ein Gros der zeitlichen und qualitativen Carearbeit bei ebendiesen. In Bezug auf Kinderbetreuung konnte in dieser Gemeinschaft lediglich eine Solidarität zwischen Frauen beobachtet werden. Das heißt, bestimmte Frauen werden zwar entlastet, jedoch wird die Kinderbetreuung lediglich unter Frauen umverteilt anstatt auf die ganze Gemeinschaft. Ein alternatives – gar queeres – Narrativ zu Mutterschaft bzw. Elternschaft konnte in den drei Ökodörfern nicht festgestellt werden. Im Gegenteil: spirituelle Bilder und Symbole, welche in Singkreisen wiederholt gechantet werden, verfestigen Vorstellungen von ‚Mutter Erde‘ oder der gebärenden Frau. Dies schreibt ‚der Frau‘ bestimmte Verantwortungen zu, die ihr aufgrund ihrer Natur eigen seien. Diese Zuschreibungen und Assoziierungsketten legitimieren, naturalisieren und stabilisieren eine sexistische Arbeitsteilung, die Sorgeverantwortung feminisiert.

In einer anderen Gemeinschaft findet eine gewisse Entlastung bei der Kinderbetreuung durch die Öko-Gemeinschaft statt. Die Präsenz anderer Kinder und Familien durch räumliche Nähe sowie gemeinsame Infrastrukturen (Kinderspielplatz) hat zwar einen positiven Nebeneffekt, ist aber keine bewusste Entscheidung.

Zu einer teilweisen Vergemeinschaftung durch Coparenting kommt es in einem anderen Ökodorf. Auf einer Aufgabentafel wird notiert, wer wann Referent*in für die Kinder ist. Dies macht kinderbezogene Care-Arbeit sichtbar. Das Coparenting wird immer von jeweils zwei Personen vor Ort übernommen. Die Kinder werden somit auf die Woche und auf die unterschiedlichen Personen verteilt betreut. Dies verschiebt die Sorgeverantwortung von der Mutter, raus aus der Kleinfamilie in die Gemeinschaft.

Wie würde eine feministische Postwachstumsgesellschaft in der Praxis aussehen?

In der Feministischen Politischen Ökologie wird davon gesprochen, dass eine geschlechtergerechte, ökofeministische Praxis, das transzendieren der dualistischen Trennung von Reproduktion und Produktion bedeuten müsste, indem die reproduktive Sphäre sichtbar gemacht wird, Care reorganisiert und revaluiert wird sowie Geschlechterrollen, -normen und -performances dekonstruiert werden (Bauhardt und Harcourt 2018: 2). Außerdem fordern Dengler und Lang, dass Care unbezahlt, kollektiv und fernab von patriarchaler und hierarchischer Kodifizierung organisiert werden muss (Dengler und Lang 2018: 321). Wie sind Ökodörfer also unter diesen Gesichtspunkten zu bewerten?

(Un)sichtbarkeit von Sorgetätigkeiten

Praktiken des Kochen, Waschens oder der Kinderbetreuung werden teilweise aus dem Privaten hinein in den gemeinschaftlichen Raum getragen. Prozesse des Commoning und der kollektiven Organisation sind der Sichtbarkeit zuträglich und aus feministischer Perspektive wünschenswert.

Revaluierung oder Wertschätzung

In den Ökodörfern ist eine zentrale Stellung von verschiedenen Formen von Care zu beobachten:  Collective Care durch regelmäßige “Emorunden ” in Versammlungen oder durch regelmäßige gemeinsame Meditation. Self Care sowie Formen des Sorgens für die Natur sind ebenfalls Teil alltäglicher Praktiken. Diese zentrale Stellung drückt sich sowohl materiell durch   Gemeinschaftsräume, aber auch symbolisch aus – insofern, als dass Care-Tätigkeiten gleichwertig mit anderen Tätigkeiten sind.

Kollektivierung und Reorganisierung von Care

Neben dem Kochen für die Gemeinschaft oder dem Coparenting ist das gemeinsame Reinigen der Gemeinschaftsräume beispielhaft. So fallen Aufgaben, die eher unbeliebt sind, nicht auf einzelne Personen zurück, sondern werden in einer gemeinschaftlichen Atmosphäre getätigt und hierdurch zu einem positiven Gemeinschaftserlebnis erhoben.

Im Spannungsfeld zwischen Depolitisierung von Machtverhältnissen und Transformationspotentialen

Ein Hindernis für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Macht- und Herrschaftsverhältnissen der Bewohner*innen stellt (teilweise) die Überzeugung dar, dass mit Techniken der Persönlichkeitsentwicklung gesellschaftliche Probleme überwunden werden könnten sowie, dass geschlechterstereotype Aufgabenverteilung allein auf die Persönlichkeit und individuellen Fähigkeiten der Bewohner*innen zurückzuführen sei. Dies hemmt auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien und die Anerkennung der Tatsache, dass wer in Ökodörfern lebt, kein quantitativer Zufall ist, sondern stattdessen sozioökonomische Unterschiede, privilegierte Lebensrealitäten und Agency eine Rolle spielen. Die Tatsache, dass die untersuchten Ökodörfer eine homogene Gruppe an Menschen anzieht, die ein Resultat von gesellschaftlichen Ein- und Ausschlüssen ist, wird indes als eine natürliche, zufällige Entwicklung dargestellt.

In den drei Ökodörfern werden Symboliken und Narrative in Bezug auf Care, Gender, Körperlichkeiten, Elternschaft zwar nicht grundlegend transformiert oder aufgebrochen, betrachten wir Ökodörfer jedoch als „experimentierende Lernfelder“ (Kunze 2009), können sie als Räume des „unlearning“ und des Experimentierens mit Lebensweisen und Praktiken fernab von dominanten Praktiken fungieren (Littig und Leitner 2017: 125). Da eine enorme Heterogenität unter Öko-Gemeinschaften und ein Mangel an Empirie herrscht, wären sowohl weitergehende quantitative als auch qualitative Forschungsarbeiten zu Praktiken des commoning, Intersektionalität, Klassismus, Privilegien und Konstruktionen von Männlichkeit/Weiblichkeit in Öko-Gemeinschaften von Interesse für die Feministische Politische Ökologie und die Postwachstumsforschung.

Dies ist der zweite Teil eines zweiteiligen Artikels. Zum ersten Part gelangen Sie hier.

 

Das Comic im Titelbild ist von „Jenny Pickerill (@JennyPickerill) words were written by Hugh Goldring (@ooHugh) and the illustrations are by Nicole Burton (@nicolemcomix), both of Petroglyph Studios“. Weitere Comics dieser Art gibt es hier.

Literatur:

Bauhardt, C., & Harcourt, W. (Eds.). (2018). Feminist political ecology and the economics of care: In search of economic alternatives. Routledge.

D’Alisa, G., Demaria, F., & Kallis, G. (Eds.). (2014). Degrowth: a vocabulary for a new era. Routledge.

Dengler, C., & Lang, M. (2019). Feminism Meets Degrowth: Sorgearbeit in einer Postwachstumsgesellschaft. In Ökonomie des Versorgens. Beltz Juventa Weinheim.

Global Ecovillage Network (2020). 2020 Annual report. URL: https://ecovillage.org/about/reports/

Jarvis, H. (2013). Against the ‘tyranny’of single-family dwelling: insights from Christiania at 40. Gender, Place & Culture, 20(8), 939-959.

Kunze, I. (2009). Soziale Innovationen für eine zukunftsfähige Lebensweise: Gemeinschaften und Ökodörfer als experimentierende Lernfelder für sozial-ökologische Nachhaltigkeit. Münster: Ecotransfer-Verlag.

Leitner, M., & Littig, B. (2017). Towards sustainable practices: A practice-theoretical case study of a cohousing project. In Social Innovation and Sustainable Consumption (pp. 115-127). Routledge.

Pickerill, J. (2015). Bodies, building and bricks: Women architects and builders in eight eco-communities in Argentina, Britain, Spain, Thailand and USA. Gender, Place & Culture, 22(7), 901-919.

Plumwood, V. (2002). Feminism and the Mastery of Nature. Routledge.

Shove, E., & Walker, G. (2010). Governing transitions in the sustainability of everyday life. Research policy, 39(4), 471-476.

Tummers, L., & MacGregor, S. (2019). Beyond wishful thinking: a FPE perspective on commoning, care, and the promise of co-housing. International Journal of the Commons, 13(1).

Von Werlhof, C. (2007). No critique of capitalism without a critique of patriarchy! Why the left is no alternative. Capitalism Nature Socialism, 18(1), 13-27.

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