Suffizienzpolitik, im Sinne einer Politik des „Weniger“, begibt sich auf ein noch selten bestelltes, eher gemiedenes Feld. Während Effizienz und Konsistenz breite Zustimmung finden, weil sie Verbesserungen ohne Verzicht und sogar Wirtschaftswachstum versprechen, begegnet die Suffizienz deutlicher Reserve.
Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Wuppertal Spezial, das Suffizienz ins Zentrum stellt und in dem viele Beispiele vorgestellt werden, in denen sich diese als politische Praxis verwirklichen lässt. Die bearbeiteten 30 Politiken sind dabei keine erschöpfende Aufstellung. Es sind Beispiele, Stellvertreter, ein Strauß von Möglichkeiten sehr unterschiedlicher Reichweite.
Murks? Nein Danke!
Dabei ist fast sicher, dass sich Suffizienzpolitik nicht allein auf Apelle, gut gemeinte Nischenphänomene oder Initiativen verlassen kann. Um den notwendigen weitreichenden Effekt zu erzielen, werden auch politische Ge- und Verbote von Nöten sein. Diese gehen allerdings nicht notwendigerweise mit einer Verringerung von Lebensqualität einher, wie das Beispiel des geplanten Verschleiß zeigt. Dieser entsteht durch Techniken, die von einem Produzenten angewendet werden, um die Haltbarkeit eines Produktes absichtlich zu verkürzen. Häufig wird die Existenz von geplantem Verschleiß mit der Begründung bestritten, dieser geschehe nicht absichtlich. Geplanter Verschleiß ist jedoch eine lange bekannte Praxis. Vom PHOEBUS-Glühbirnen-Kartell von 1924, dem unter anderem Osram, Philips und General Electric angehörten (sie machten den Wolframdraht dünner, um damit die Leuchtdauer von 2500 auf 1000 Stunden zu verkürzen) über die Firma Du Pont, welche in den 40er Jahren das Material ihrer Nylon-Strümpfe offenbar bewusst schwächten bis hin zu Apple, welche im Jahr 2003 verurteilt wurde, den iPod mit einem nicht austauschbaren Akku zu produzieren, so dass bei Versagen des Akkus das ganze Produkt unbrauchbar wurde – die Liste des geplanten Verschleiß ist also lang.
Die Partei Die Linke legte im April 2013 einen Gesetzentwurf gegen geplanten Verschleiß vor. Der Entwurf will deutschen Herstellern eine Mindesthaltbarkeit von Produkten auferlegen und den Einbau von künstlichen Sollbruchstellen verbieten. Ebenfalls sollen Produkte so gebaut sein, dass Kundige sie selbst reparieren können. Die GRÜNEN haben 2013 eine Studie in Auftrag gegeben, die den geplanten Verschleiß analysiert und Politiken empfiehlt etwa zur Kennzeichnungspflicht, zum Gewährleistungsrecht und zur Ersatzteilversorgung.
Gutes Leben ohne Werbung?!
Doch nicht nur die Einschränkung der Verschwendung von Ressourcen und auch Geld durch geplanten Verschleiß, sondern auch die Einschränkung von Werbung, könnte ein Beispiel für lebensqualitätsfördernde Suffizienzpolitik sein. Kommerzielle Werbung gilt in der Wirtschaftstätigkeit als unentbehrlich, um sich, seine Produkte und Dienstleistungen bekannt zu machen, um ihren Absatz zu fördern und sich gegen Konkurrenten zu behaupten. Inzwischen aber ist ein Übermaß an Werbung entstanden, das den Konsum unterschiedslos ankurbeln soll, damit aber Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung zur Folge hat und dem Ziel eines maßvollen Lebens und Wirtschaftens im Wege steht.
Jeder Mensch in Deutschland ist jeden Tag weit mehr als 1000 Werbebotschaften ausgesetzt, die ihn zum Erwerb von Produkten und Dienstleistungen animieren wollen. Die Investitionen der deutschen Wirtschaft in die Werbung beliefen sich im Jahre 2013 auf über 30 Milliarden Euro. Eine Einschränkung der Werbung hätten für die Betroffenen teils beträchtliche finanzielle Einbußen zur Folge und werden darum erheblichen Widerstand auslösen. Doch Werbung zu begrenzen ist kein Eingriff in die Informations- und Wahlfreiheit der Menschen, wie die Werbewirtschaft nicht müde wird zu erklären, vielmehr dient sie der Schonung von Energie und Ressourcen und der Befreiung von ständigen Kaufanreizen, insbesondere bei Kindern.
Begrenzungen der Werbung sind in mehreren Ländern und in einer Reihe von Städten schon eingeführt. Zum Beispiel hat der Stadtrat von Sao Paulo, Brasilien, 2007 das „Clean City Law“ eingeführt und damit ein Verbot der Außenwerbung auf allen Plakaten und Werbetafeln im Stadtkern mit immerhin 11 Millionen Einwohnern ausgerufen. In der kanadischen Stadt Toronto wird seit 2001 im Rahmen der „Beautiful City Alliance“ eine Steuer auf Reklametafeln erhoben, um mehr Investitionen in öffentliche Kunst- und Kultureinrichtungen stecken zu können. In Schweden zum Beispiel darf Werbung nicht an Kinder unter 13 Jahren gerichtet werden und auch Länder wie Dänemark, Österreich oder Griechenland verbieten jegliche Werbung in und zwischen Kinderprogrammen.
Stop Landgrabbing!
Ein Bereich, in dem ebenfalls ein ordnungspolitischer Eingriff notwendig ist, ist die Begrenzung des Flächenverbrauchs. Fläche (Boden) gehört zu den nicht-vermehrbaren Lebensgrundlagen der Menschheit. Sie dient viel- fältigen Zwecken, von denen die Ernährung von Mensch und Tier der wichtigste ist. Ebenso ist Boden grundlegend für den Stoffwechsel der Natur, konstitutiv für Wohnen und Arbeiten, zentral für die Verbindung der Menschen untereinander. Da viele seiner Funktionen in Konkurrenz zueinander stehen, sich teilweise auch ausschließen, ist der sorgsame Umgang mit dem Land die unabdingbare Voraussetzung gelingenden Zusammenlebens und damit eine zentrale politische Aufgabe.
Unter den Gefahren für den Boden ist in industrialisierten Ländern wie Deutschland der überhöhte Flächenverbrauch eine der dringendsten, umso mehr, als der Großteil für Bauten und Verkehrswege verwendet wird und dann mit der Versiegelung des Bodens verbunden ist. Darum gibt es hier sogar schon einen politischen Eingriff. 2002 hat die Bundesregierung in der „Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie“ als Ziel ausgegeben, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 ha täglich zu verringern. Der Koalitionsvertrag von 2013 hat diese Vorgabe bekräftigt.
Doch von all dem ist die gegenwärtige Praxis weit entfernt. Den Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge nimmt die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland täglich noch immer um 74 ha zu. Um dem abzuhelfen, ist eine Mehrzahl von Maßnahmen, wie bspw. ein Flächenrecycling, die Weiterentwicklung der Grundsteuer zu einer Flächennutzungssteuer, die Umwidmung der Grunderwerbssteuer zu einer Neuversiegelungssteuer oder auch handelbare Flächenausweisungsrechte im Gespräch, jedoch nicht in Kraft. Ihr gemeinsames Ziel ist, durch Anreize, durch Steuern, durch Ordnungsrecht den Flächenverbrauch zu beschränken, um so die Versiegelung der Böden und die Zersiedelung des Landes aufzuhalten, um Energie einzusparen, um das Wohnen wieder zu verdichten und Städte zu Fuß und mit öffentlichem Verkehr bewohnbar und lebendig zu halten. Da alle genannten Politiken tief in das Eigentum und die Interessen der beteiligten und betroffenen Personen, Unternehmen, Kommunen und Länder eingreifen und gleichzeitig gemeinsames Handeln erfordern, wird ihre wirksame Umsetzung möglicherweise erst gelingen, wenn die Auswirkungen der Bodenknappheit empfindlicher spürbar werden.
Zur Erhöhung von Suffizienz können außerdem auch sympolpolitische Maßnahmen helfen, wie beispielsweise der Verbot von Heizpilzen. Diese Terrassenheizstrahler sind während der kalten Jahreszeit in den Außenbereichen der Gaststätten für die Gäste angenehm und für die Wirte einträglich, aber angesichts der hohen Klimaschutzziele sind sie barer Unfug. Sie bedienen ein reines Luxusbedürfnis und belasten dabei das Klima beträchtlich.
Damit lohnt es sich weiter darüber nachzudenken und die verschiedenen Möglichkeiten von Suffizienz auch in der politischen Praxis weiter auszuprobieren. Weitere Beispiele für Ge- und Verbote der Suffizienz mit unterschiedlicher Eingriffstiefe sind zu finden unter „Suffizienz als Politische Praxis“.