Suffizienzpolitik begibt sich auf ein noch selten bestelltes, eher gemiedenes Feld. Während Effizienz und Konsistenz breite Zustimmung finden, weil sie Verbesserungen ohne Verzicht und sogar Wirtschaftswachstum versprechen, begegnet die Suffizienz deutlicher Reserve.
Die Vorbehalte sind Vielfältig: Suffizienz sei unzureichend, undurchsetzbar, sie verletze gar die der Demokratie so wichtige Entscheidungsfreiheit der Menschen. Doch gibt es inzwischen viele Initiativen, suffizientes Leben und Wirtschaften in die Öffentlichkeit zu tragen, um für sie Aufmerksamkeit zu gewinnen und für sie mit der Erfahrung, dass maßvoller Genuss die Lebensfreude nicht schmälert, zu werben.
Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Wuppertal Spezial, das diesen Praxisbeispielen nachgeht und vorstellt. Die bearbeiteten 30 Politiken sind dabei keine erschöpfende Aufstellung. Es sind Beispiele, Stellvertreter, ein Strauß von Möglichkeiten sehr unterschiedlicher Reichweite.
Einleitendes zur Suffizienzpolitik
Dieser Artikel begibt sich auf ein noch selten bestelltes, eher gemiedenes Feld: die politische Verwirklichung der Suffizienz. Dieses Ausweichen hat Gründe. Für Nachhaltigkeit sind alle. Fast alle erwarten aber auch, dieses Ziel lasse sich mit innovativen Techniken und erneuerbaren Energien erreichen, ohne dass die Bewohner der hoch entwickelten Länder ihr Leben und Wirtschaften verändern müssen. Dieser Erwartung wird hier widersprochen.
Nach weithin akzeptiertem Verständnis ruht Nachhaltigkeit, und mit ihr die Überlebensfähigkeit der menschlichen Zivilisation, auf den drei Säulen Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Suffizienz erstrebt dabei einen geringeren Verbrauch von Ressourcen durch eine verringerte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, so weit die letzteren Material und Energie verbrauchen.
Ein kultureller Wandel?
Wie lässt sich die Notwendigkeit der Suffizienz in der Breite der Bevölkerung einwurzeln? Da gibt es zunächst die Hoffnung auf einen kulturellen Wandel, in dem die immateriellen Werte des Lebens besser verstanden und höher geschätzt werden. Es gibt inzwischen viele Initiativen, suffizientes Leben und Wirtschaften in die Öffentlichkeit zu tragen, um für sie Aufmerksamkeit zu gewinnen und für sie zu werben. Auch lehrt inzwischen der Alltag Suffizienz.
Selbstbegrenzung wird als Gewinn erfahren. Simplify your Life! ist eines der Losungsworte. Da ist eine Avantgarde, eine Vorhut, die erkennt, was nötig ist und tut es. Einige beginnen damit, zukunftsfähig zu produzieren und zu leben, andere schließen sich an, die Zahlen werden größer, eine Bewegung entsteht und schließlich wird die kritische Masse erreicht, die eine dauerhafte gesellschaftliche Veränderung in Gang setzt.
Die freiwillig Veränderungsbereiten bilden in einer Gesellschaft wie der unsrigen eine Minderheit von 10 oder auch 15 Prozent, und sie sind vor allem in den sozialen Mittelschichten zu finden. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist viel fester eingebunden in ihre soziale Lebenswelt, viel stärker durch Milieu und Gewohnheiten festgelegt, also weit weniger beweglich. Diese Mehrheit lässt sich nicht einfach als Person dazu aufrufen, anders besser zu leben.
Vorhuten
Die zehn oder fünfzehn Prozent Veränderungsbereiten haben dennoch erhebliches Gewicht. Ihre Zustimmung zu verpflichtender Suffizienz wird deren politische Durchsetzung erheblich erleichtern, und ihre Ablehnung würde sie drastisch erschweren. Auch um diese Minderheit muss also geworben werden. Denn von einer Suffizienzorientierung im Großen sind Gesellschaft und Wirtschaft freilich weit entfernt.
Vorhuten, wie alle vergleichbaren Bemühungen um soziales Lernen und alle unternehmerischen Experimente, sind dabei wichtig als Anreger, Aufreger, Treiber, Verstärker, Mutmacher. Ihre Fermentierung der Gesellschaft mit neuem Denken und neuen Erfahrungen ist unverzichtbar. Aber auch das Verhältnis der Bereitwilligen zur Suffizienz bleibt gespalten. Auch bei ihnen entstehen Widersprüche zwischen Einsichten und Wünschen und zwischen Wünschen und konkurrierenden Wünschen (etwa zur CO2-Verminderung beizutragen und doch in den Urlaub zu fliegen). Gerade bezüglich der Suffizienz zeigen dieselben Menschen hier Betroffenheit und dort Indifferenz, verändern einiges in ihrem Leben und anderes nicht, sind eifriger bei den leichten Veränderungen als bei den einschneidenden. Deshalb ist die Chance gering, dass ein energetisch verantwortlicher Lebensstil sich allein aus eigener Einsicht durchsetzen wird.
Ein gestaltender Staat
Das bedeutet: Ein „gestaltender Staat“ wird durch Ermöglichen und Fördern wie durch Gesetze und Verordnungen den Raum abstecken, in dem Freiheit herrschen kann. Er wird erneuernde Potentiale begünstigen und den Ordnungsrahmen für sie schaffen. Er wird ein bestimmtes Verhalten mit Anreizen ermutigen und ein anderes mit Belastungen entmutigen – konkrete Suffizienzpolitiken zeigen dazu verschiedene Möglichkeiten.
Die Politik der Suffizienz konzentriert sich dabei auf einen Ausschnitt der Nachhaltigkeit, der besondere Dringlichkeit hat. Es ist einmal die Notwendigkeit, die Erwärmung der Erdatmosphäre bei zwei Grad zu beenden und darum die Emittierung von Treibhausgasen um 80 bis 95 Prozent zu senken. Es sind zweitens die strategisch knappen Rohstoffe, die so sparsam wie möglich eingesetzt werden müssen, um auf lange Zeit lebensnotwendige Produktionen zu gewährleisten.
Unterschiedliche Politische Eingriffstiefen
Dabei lassen sich Suffizienzpolitiken nach Eingriffstiefe und vermutlicher Akzeptanz der Maßnahmen aufbauen, wie Suffizienz als politische Praxis – ein Katalog zeigt. So lassen sich Politiken, die wohl die Zustimmung des größten Teils der Bevölkerung finden werden, weil sie ihr Leben erleichtern oder jedenfalls nicht beschweren werden, leicht finden. An einigen von ihnen kann verpflichtende Suffizienz eingeübt und auch als bereichernd erlebt werden, weil sie nicht selten die einfacheren, kostengünstigeren, weniger konfliktträchtigen Lösungen bereitstellen. Ihr Ertrag für den Klimaschutz und die Ressourcenschonung ist freilich begrenzt.
Des Weiteren gibt es Politiken, die Umstellungen und neues Nachdenken erfordern, die einen spürbaren Eingriff in das Gängige und so gern Gewählte bedeuten, für die Routinen gewechselt und neue Gewohnheiten gefunden werden müssen, die aber keinen tief greifenden Wandel der Lebensweise erfordern. Ihr Beitrag zum Erhalt der Natur fällt durchaus ins Gewicht.
Schließlich gibt es die Politiken, die in das gewohnte Leben und Wirtschaften eingreifen, die ein gründliches Umdenken und die auch Verzichte fordern. Dafür leisten sie einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.
Ein Bonus für die sozial Schwachen
Eine Konsequenz all dieser Politiken lässt sich unabhängig ihrer Eingriffstiefen freilich schon jetzt erkennen. Eine ganze Reihe von Suffizienzpolitiken ist mit Verteuerungen verbunden und wird damit einkommensschwache Bevölkerungsgruppen überproportional treffen. Einem großen und wachsenden Teil der Bevölkerung fehlt aber schon heute der finanzielle Bewegungsraum. Ein Anstieg der Lebenshaltungskosten durch Abgaben, höhere Preise usw. würde ihre Existenzgrundlage bedrohen. Die Mehrbelastungen sozial Schwacher durch politisch verpflichtende Suffizienz werden darum aufgefangen werden müssen, entweder durch Ausgleichszahlungen, durch Begünstigungen oder durch progressive Tarife.
Wird es denn überhaupt gehen?
Die Einbettung der Suffizienz in die Gesellschaft ist, wie aus den vorhergehenden Abschnitten erkennbar wird, kein leichtes Vorhaben. Alle Einsicht und alle Einübung verhindern nicht, dass Politiken, die sich auf die Begrenzung des Energie- und Ressourcenverbrauchs richten, in der gegenwärtigen Situation neben mancher Zustimmung auf Widerspruch und dazu auf ausgeprägte Empfindlichkeiten stoßen.
Haben Suffizienzpolitiken dann überhaupt Aussicht auf Verwirklichung? Können für verpflichtende Suffizienz in Deutschland Mehrheiten zustande kommen? Der Katalog der Suffizienz als politische Praxis zeigt: für die leichteren durchaus, schon jetzt oder doch in naher Zukunft, weil sie erkennbare Vorteile enthalten, kaum sensible Bereiche berühren oder jedenfalls auf Einsicht hoffen können. Gleiches gilt für die Anfangsschritte der tiefer eingreifenden Suffizienzpolitiken. In ihrer vollen Ausprägung sind sie freilich gegenwärtig wohl nicht durchzusetzen. Doch die Klimaschäden haben bisher weder unser Territorium noch unser Bewusstsein spürbar genug erreicht. Auch der zu erwartende Unfrieden in der Welt und die erfahrene Unmöglichkeit, sich gegen organisierten Protest zu schützen, kann dieses beginnende Verstehen einer weitsichtigen Regierung oder Opposition neuen Bewegungsraum geben.
Und dann mag sich zeigen: Was als notwendig oder doch als unausweichlich erkannt wird, darauf stellen sich die allermeisten Menschen ohne größere Widerstände ein – aber nur unter zwei Voraussetzungen: Was ihnen abgefordert wird, muss überzeugend begründet sein; und es muss alle treffen, je nach ihrer Leistungsfähigkeit. Dann werden sie, so ist zu hoffen, die Konsequenzen einer die Natur erhaltenden und den Frieden ermöglichenden Politik hinnehmen, nicht wenige werden eine solche Politik annehmen oder sogar fordern. Auf diese Situation hin voraus zu denken, und die jetzt schon gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, ist heute die Aufgabe einer politisch verstandenen Suffizienz.