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Technikentwicklung im neoliberal radikalisierten Kapitalismus – und ein paar Vorschläge für danach

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Wissenschaft und Technik seien das Instrument, mit dessen Hilfe die Gattung Mensch sich von den Zwängen der Natur befreit, um das Paradies schon auf Erden zu gestalten: So der von Francis Bacon begründete Mythos des „Industrie-Zeitalters“. Die Technik-Entwicklung seitdem setzte mit fossiler Energie (ohne die das unmöglich gewesen wäre) den Imperativ des ständigen Wachstums von Geld bzw. Kapital in materielle Artefakte um und verbesserte so auch die realen Lebensverhältnisse in den „Industrie-Nationen“. Zentrales Ziel der Technik in diesem Zusammenhang: Ständige Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit (und dadurch des „relativen Mehrwerts“) mit Hilfe der Naturwissenschaften, also Ersatz menschlicher Anstrengung und Geschicklichkeit durch Maschinen und damit durch systematische Mobilisierung von immer mehr Energie und Einsatz bzw. Umformung von Material. Es geht aber auch anders: Technik, die sozialen und ökologischen Zielen dient.

Technik als Machtinstrument

„Der Ingenieur ist das Kamel, auf dem die Kaufleute und Politiker reiten“ – dieses leicht masochistische Selbstverständnis kennzeichnet die Rolle, die Technik und Ingenieure seitdem zu spielen glaubten. Allerdings: Ganz so „neutral“, wie das Zitat unterstellt, war Technik nie. Als Machtinstrument sorgte sie auch dafür, dass der Imperativ der Kapitalverwertung gegenüber den ProduzentInnen und inzwischen auch KonsumentInnen durchgesetzt wurde – durch tayloristische Organisation der Fabriken, die ständige Schaffung (und Befriedigung) neuer Bedürfnisse durch neue Produkte, durch immer riskantere „Innovationen“ sowie die Rüstungstechnik. So übernahm dieser – stark männlich geprägte – expansive Typus von Technik die Rolle des Treibers für die Formel dieser Zeit: „Immer mehr, immer schneller, immer größer/kleiner“. Auf einer begrenzten Erde aber zerstört Technik, die nach diesem Leitbild gestaltet ist, früher oder später die eigenen stofflichen Grundlagen – und die biologischen Grundlagen menschlichen Lebens.

Generell ist ein Produktions-System, das den Erfolg oder Misserfolg einer Organisation an einem einzigen Kriterium misst: Der erfolgreichen Vermehrung von Geld, borniert, unterkomplex und im Prinzip unfähig, sich an ökologischen Kriterien der Reproduktion zu orientieren, die unsere Lebensgrundlage ist. Es besticht allerdings durch seine quantitative Leistungsfähigkeit und durch die perfektionierte Gestaltung einzelner, besonders profitabler Technologien wie die des Automobils, der Mikro-Elektronik und der Flug- und Rüstungstechnik.

Die Illusion der Überwindung der Endlichkeit von Ressourcen und Senken

Die Siegeszüge dieser Artefakte erzeugten die Illusion, durch technische Innovationen und Tricks die Endlichkeit von Ressourcen und Senken auf dem „Raumschiff Erde“ überwinden zu können – und damit der exponentiellen Vermehrung von Kapital und Waren-Konsum auf ewig das Futter zu liefern. Das 20. Jahrhundert ist voll von entsprechenden technischen Heilsversprechen, die allesamt nicht eingelöst wurden: In schneller Folge bekamen wir (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) das unsinkbare Schiff, die Weltraumfahrt zur Beschaffung von Rohstoffen von anderen Planeten, die unerschöpfliche Energie aus Kernkraft im „Atom-Zeitalter“, Künstliche Intelligenz zum Management von menschenleeren Fabriken sowie zur Steuerung der aus den Fugen geratenen Natur, Gentechnik zur Ausrottung des Hungers und zur Heilung fast aller Krankheiten, die Wasserstoff-Gesellschaft, das papierlose Büro, überhaupt die Dematerialisierung aller Organisations- und Kommunikationsprozesse durch IT.

Resultat: Inzwischen vernutzen wir etwa das 1,5-fache unserer natürlichen Lebensgrundlagen, rauben also den Planeten (und einen Großteil der menschlichen Bevölkerung) ohne Rücksicht aus – und verdrängen das in der Hoffnung, dass uns menschlicher Einfallsreichtum und eben die Wunder der Technik schon aus der Bredouille helfen werden.

Nun weiß jeder Ingenieur, dass es keine technischen Wunder gibt und dass nicht nur unterschiedliche technische Lösungen für gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung möglich sind, sondern dass man die Technik auch sehr gut zum Rückbau dieser hypertrophen Materialisierung von Beschleunigungs- und Wachstumswahn nutzen kann. Ohnehin konterkariert der neoliberal radikalisierte Kapitalismus durch die Ökonomisierung aller Lebensbereiche und die Diktatur der Finanzmärkte bis in den letzten Winkel der Unternehmen hinein die halbwegs ordentliche Produktion von Gebrauchswerten inzwischen selbst, wie man an geplanter Obsoleszenz, an unreifen Produkten („Prinzip Banane“), an Katastrophen wie Fukushima, an den Folgen des geplanten Börsengangs der Bahn für die S-Bahn in Berlin etc. zeigen kann. Wenn sich schon die Ingenieure nicht gegen diese Zumutungen wehren, sorgen die Tücken des Stofflichen („Murphy’s Gesetze“) zunehmend auch dafür, dass auch Großprojekte immer länger dauern und immer teurer werden.

Technik in der Postwachstumsgesellschaft

Eine Technik, die sozial und ökologisch angepasst und für die Epoche nach dem Wachstumswahn geeignet ist, wird grundsätzlich anders aussehen und anders entwickelt werden. Die Organisationen, in denen das geschieht, werden nicht nach dem Rendite-Prinzip ausgerichtet sein, sondern sich an unserer komplexen Umwelt ebenso orientieren wie an den realen menschlichen Bedürfnissen. Sie werden deshalb nicht hierarchisch organisiert sein, sondern demokratisch: Ingenieurarbeit nach dem Open-Source-Prinzip, mit den Nutzern gemeinsam entwickelte Technik statt Markt-vermittelte Industrieprodukte, dezentrale und flexible Energie-Wandlung und –Nutzung, und schließlich auf diese Techniken passende Ökonomien wie Genossenschaften und sozial-ökologisch agierende, durch die Mitarbeiter selbst geleitete Unternehmen. Sie orientiert sich an den begrenzten Möglichkeiten auf dem Planeten als Technik in einer „Raumfahrer-Ökonomie“, die Gewinn und größtmöglichen Nutzen durch weniger Produktion und Verbrauch erzielt, die Vorräte möglichst unangetastet lässt, die Bestände an Technik-Spielzeug deutlich reduziert und vorhandene, Nutzen bringende und ökologisch verträgliche Technik pflegt und repariert.

Wolfgang Neef war von 1989 bis 1993 Vizepräsident der TU Berlin. 1993 gründet er die "Zentraleinrichtung Kooperation" (heute "ZEWK") an der TU Berlin und leitet diese bis 2008. Nach seiner Verrentung 2008 gibt er weiterhin Seminare zur "Soziologie des Ingenieurberufs" für Ingenieur-Studierende an TU Berlin und TU Hamburg-Harburg, in Kooperation mit der IG Metall. Wolfgang Neef ist Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung und im wissenschaftlichen Beirat von attac.

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