Der Weltenergieverbrauch hat sich ebenso wie das Weltbruttoinlandsprodukt bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in weniger als 200 Jahren etwa um den Faktor 40 erhöht.[1] Der Konsum fossiler Energieträger stieg dementsprechend. „Der globale Verbrauch fossiler Energieträger ist seit Beginn des 19. Jahrhunderts etwa um den Faktor tausend gewachsen, was rechnerisch eine jährliche Wachstumsrate von 3,5% ergibt.“ (Sieferle 2003: 40) Damit verdoppelte sich der fossile Energieverbrauch über 200 Jahre gesehen etwa alle 20 Jahre.[2]
Diese und eine Reihe weiterer Beispiele sind kennzeichnend für eine Ökonomie, die ohne dieses Wachstum einer ihrer wesentlichen Konstitutionsmerkmale verlieren würde.
Warum dieses ungebrochene Streben nach Wachstum?
Verkehrungen. Von Formen und Quantitäten
Wertmäßig erfasst werden Warenmengen im Bruttoinlandsprodukt (BIP), das das geldmäßige Äquivalent für stofflich-dingliche und Dienstleistungsprozesse darstellt. Diese Art der Erfassung ist nur möglich, weil Geld den Waren als Wertspiegel in einem repräsentationslogischen Verhältnis gegenübersteht. Waren und Geld sind in diesem Verhältnis lediglich unterschiedliche Formen des Wertes. Ein wesentliches Charakteristikum des Geldes ist die Möglichkeit, nahezu alles damit kaufen zu können. Mit Geld wächst so zumindest die ökonomische Macht, d.h. das direkte und indirekte Verfügungspotential bzw. die Einflussmöglichkeiten z.B. auf Stoffumsätze, Räume, Geld- und Warenströme auf Marktstrukturen und vieles mehr. So ist es nahe liegend, dass mehr Geld zum Selbstzweck ökonomischer Transaktionen werden kann, und das das primäre Ziel der Produktion und Zirkulation von Waren nicht die Befriedigung von Bedürfnissen ist, sondern Waren in erster Linie Mittel sind, um Reichtum in seiner allgemeinen Form zu steigern bzw. um aus Geld mehr Geld zu machen. Kapital zu akkumulieren wird so zum treibenden Motiv ökonomischer Praxis.
Es ist nicht ökonomische Praxis als solche, die nach endlosem Wachstum strebt
Eine derartige ökonomische Verkehrung hat nicht mehr primär die Befriedigung der vielfältigen Bedürfnisse ihrer gesellschaftlichen Subjekte zur Folge, bzw. die Produktion und Verteilung von nutzbringenden Dingen und Dienstleistungen zum Ziel. Dieses – im aristotelischen Sinn eigentliche Ziel ökonomischer Tätigkeiten[3] – wird im Zuge dieser Mittel-Zweck-Verkehrung zunehmend und bestenfalls zweitrangig. Es ist –so gesehen- also nicht ökonomische Praxis als solche, die nach endlosem Wachstum strebt; Ökonomische Formen, Funktionen und Prinzipien in denen u.a. Wert, Geld und Kapital maßgeblich sind, führen zur Maßlosigkeit.
Dies hat konkrete Auswirkungen: Wird ein Krankenhaus nach diesen Kriterien geführt, hat es vorrangig nicht mehr den Sinn Kranke zu heilen, sondern am Ende einer Abrechnungsperiode mehr Geld einzubringen, als zuvor investiert wurde. Universitäten entwickeln sich dann zu Institutionen, die primär nicht die Aufgabe haben, Menschen zu bilden oder ihre Erkenntnisfähigkeit zu entwickeln. Sie nutzen im Zuge dieser Mittel-Zweck Umkehrung Geld, nicht um Forschungsvorhaben zu finanzieren, sondern betreiben bestimmte Auftragsforschungen, um mehr Geld einzunehmen als zuvor investiert wurde. Forschung als Kapitalinvestition und Dienstleistung, Forschungsergebnisse als Ware sind dann Resultate des Einzugs des grundlegenden kapitalistischen Prinzips – Kapital zu akkumulieren – in Kernbereiche der Universitäten. Und auch über Wälder, Flüsse oder andere Naturflächen wird dann die Folie der Verwertung gespannt; abgeholzt, begradigt oder versiegelt, um den Preis des Verlustes ihrer ökosystemischen Funktionen, dienen sie dann – zur Ware verfremdet – ebenfalls der Anhäufung von Kapital.
Krise als Ausdruck einer zur Praxis gewordenen Kapitallogik
Nach dieser Logik wird allmählich alles in Wert gesetzt, quantifiziert, um es schließlich be- und verwertbar machen zu können. Natur wird zur ökonomischen Ressource, Ökonomik zur Chrematistik, und Subjekte werden auf Produzent*innen des Warenreichtums und Konsument*innen von Waren reduziert.
Immer mehr wird so zur Durchgangsform, zum „Throughput“, um aus Kapital mehr Kapital zu machen, einem quantitativistischen Ziel untergeordnet. Ein simples Plus ist der zentrale Beweggrund der auf Endlosigkeit angelegten Prozesse, aus Geld mehr Geld machen zu wollen.
Zeitregimes und Geldregimes werden in einer derartigen Gesellschaft zu universellen Maßstäben, die zunehmend in die verschiedensten Lebensbereiche eindringen und sie regeln. Zu diesen Regimes passende soziale Praxen werden legitimiert: Fast Food, von null auf hundert in drei Sekunden, leer stehende Häuser bei millionenfacher Obdachlosigkeit u.v.m. sind konkrete Folgen und Ausdruck einer zur Praxis gewordenen abstrakten Kapitallogik mit der Konsequenz einer sich heteronomisierenden Gesellschaft: Gesetze des sich verwertenden Werts überformen und beeinflussen dann zunehmend soziale und ökologische Verhältnisse, die zuvor nach eigenen Regeln, Gesetzen oder Maßstäben verliefen. Eine so entstehende „zweite Natur“, die die erste überformt bleibt nicht folgenlos.
Die Folgen dieser zweiten Natur werden in dem Aufsatz „Stoff und Wert“ diskutiert.
Quellen:
– Aristoteles (2006): Nikomachische Ethik, Rowohlt Verlag, Hamburg.
– Georgescu-Roegen, Nicholas (1971): The entropy law and the economic process. Harvard University Press, Cambridge, London.
– Karathanassis, Athanasios (2003): Naturzerstörung und kapitalistisches Wachstum. Ökosysteme im Kontext ökonomischer Entwicklungen. VSA-Verlag, Hamburg.
– Karathanassis, Athanasios (2010): Umweltpolitik, ökonomische Naturverhältnisse und die Systemfrage. Einblicke und Ausblicke aus politisch-ökonomischer Sicht, in: Schmieder, F. (Hg.): Die Krise der Nachhaltigkeit. Zur Kritik der politischen Ökologie, Peter Lang Verlag Frankfurt / M., Berlin, Bern, u.a., S.33-55
– Marx, Karl / Engels, Friedrich (1962 ff): Werke (zit. als MEW) Dietz Verlag, Berlin.
– McNeill, John (2005): Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main.
– Meadows, Dennis; Randers, Jörgen; & Meadows, Donella (2009): Grenzen des Wachstums. Das 30-Jahre-Update. Signal zum Kurswechsel. Stuttgart.
– Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Hrsg.) (1999): OECD Environmental data. Compendium 1999. Paris.
– Sieferle, Rolf Peter (2003): Der europäische Sonderweg. Ursachen und Faktoren. Stuttgart.
[1] Vgl. ausführlich: McNeill (2005).
[2] Vgl. ausführlich: Meadows (2009).
[3] Aristoteles unterschied zwischen der Chrematistik und der Ökonomik. Während Ökonomik die „Erwerbskunst“ bezeichnet, die sich „auf die Verschaffung der zum Leben notwendigen und für das Haus oder den Staat nützlichen Güter“ (MEW 23: 167) beschränkt – „der wahre Reichtum besteht aus solchen Gebrauchswerten; denn das zum guten Leben genügende Maß dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt“ (ebd.) –, wird eine zweite „Erwerbskunst“ mit dem Begriff Chrematistik bezeichnet, in der keine Grenze des Reichtums und Besitzes existiert. Eine Ökonomie, in der der Gebrauchswert vorherrscht, gehört also nicht zur Chrematistik. Sie unterscheidet sich von der Ökonomik dadurch, dass ihr Ziel die grenzenlose Bereicherung ist. Somit bezweckt die Ökonomik ein „vom Geld selbst Verschiedenes“ (ebd.), während die Chrematistik seine Vermehrung bezweckt. (Ausführliches hierzu u. a. in Aristoteles´ „Nikomachische Ethik“.)
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