Standpunkte

Transformationspotentiale der Gemeinwohlökonomie

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Kriege, Extremwetterereignisse, Flüchtlingsströme, Klimawandel, Pandemien, Dürren, Hungersnöte, soziale Ungleichheiten, die Abholzung der Regenwälder, Insektensterben, … dies sind nur Beispiele für die zahlreichen aktuellen sozialen und ökologischen Krisen und sie zeigen deutlich: Eine sozial-ökologische Transformation hin zu einer resilienteren, gerechteren und nachhaltigeren Welt ist heute wichtiger und dringlicher denn je. Doch was bedeutet das eigentlich? Eine Transformation ist ein langfristiger Prozess, bei dem ein fundamentaler, systemischer Wechsel der sozioökonomischen, technischen und/oder politischen Strukturen stattfindet. Damit sich so ein Wandel vollzieht, müssen sich nicht nur die Systemstrukturen und Institutionen ändern, sondern auch die mentalen Modelle und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteur*innen (Folke et al., 2010). Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Initiativen, die versuchen, auf solch eine Transformation hinzuwirken. Doch reicht das transformative Potential dieser Bewegungen aus? In diesem Beitrag soll die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) als einer dieser Lösungsansätze genauer betrachtet werden.

Im Kern schlägt die GWÖ eine alternative Marktwirtschaft vor, die den wirtschaftlichen Erfolg neu definiert: Anstatt nur finanzielles Wachstum anzustreben, sollen Unternehmen zum Gemeinwohl beitragen. Das Gemeinwohl basiert dabei auf den Werten Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitbestimmung (Felber, 2018). Die Vermehrung des Gemeinwohls als Zieldefinition zieht dann weitreichende Auswirkungen auf das Selbstverständnis von Unternehmen und das Miteinander von uns Menschen nach sich. Um dieses Leitbild in die Praxis umzusetzen, bietet die GWÖ ein umfängliches, öffentlich zugängliches Analyse- und Berichterstattungsinstrument (die sogenannte Gemeinwohlmatrix), welches das Gemeinwohl auf verschiedene messbare ökologische und soziale Kriterien herunterbricht. Seit der Gründung der GWÖ im Jahre 2010 von u.a. Christian Felber nutzen immer mehr Unternehmen diese Gemeinwohlmatrix, um ihre sozial-ökologischen Auswirkungen zu erfassen und wenn möglich im Laufe der Zeit zu verbessern. Zu den bekanntesten GWÖ-Unternehmen gehören VAUDE, die BKK ProVita, die Sparda-Bank München und Sonnentor.

Zusätzlich setzt die GWÖ auf einen Mix aus basisdemokratischen Entscheidungsprozessen, der Sensibilisierung der Menschen für sozial-ökologische Aspekte, (finanziellen) Anreizen und Gesetzen für gemeinwohlorientiertes Handeln. Die GWÖ adressiert damit verschiedene Ebenen innerhalb der Gesellschaft (von einer einzelnen Person, über Unternehmen und Vereine bis hin zu Gemeinden) und verstärkt dadurch ihr transformatives Potential.

Mit diesem ganzheitlichen und systemisch-normativen Ansatz, der auf eine Vielfalt an Organisationen anwendbar ist, hat die GWÖ ein hohes Potential, eine sozial-ökologische Transformation hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu unterstützen. Bereits 2015 hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss empfohlen, die GWÖ in europäisches und nationales Recht aufzunehmen. Dennoch ist die GWÖ noch ein Nischenthema und sollte in Zukunft weiter versuchen neue Unterstützer*innen zu gewinnen und die Sichtbarkeit der Bewegung zu erhöhen. Auch die stetige Weiterentwicklung und Erweiterung der Gemeinwohlmatrix und der dazugehörigen Leitlinien ist unabdingbar, um Feedback einzuarbeiten sowie den Inhalt der Matrix an neue wissenschaftliche Erkenntnisse anzupassen und auf verschiedene Anwendungskontexte zuzuschneiden. Eine enge Zusammenarbeit mit Politiker*innen und Berater*innen wird zudem hilfreich sein, um regulatorische und rechtliche Aspekte zu besprechen und die GWÖ in den politischen Diskurs einzubringen.

(c) Christian Felber

Nichtsdestotrotz wird eine einzelne Initiative wohl nicht das transformative Potential aufbringen können, unser gesamtes sozial-ökonomisches System zu transformieren. Die GWÖ versteht sich daher auch nicht als singuläre Lösung, sondern vielmehr als einer von vielen Ansätzen, die sich gegenseitig ergänzen und unterstützen, um zusammen einen Wandel voranzutreiben. Die Vielfalt dieses „Mosaiks der Zukunft“ zeigt, dass eine sozial-ökologische Transformation schon im Gange ist – wir müssen nur noch mitmachen.

 

 

Referenzen

Europäische Wirtschafts- und Sozial Ausschuss. 2015. Economy for the Comon Good. Verfügbar unter: https://www.eesc.europa.eu/en/our-work/opinions-information-reports/opinions/economy-common-good [Abgerufen am 25.02.2021].

Felber, Christian. 2018. Gemeinwohlökonomie, München, Piper Verlag GmbH.

Folke, Carl, Carpenter, Stephen, Walker, Brian, Scheffer, Marten, Chapin, Terry & Rockström, Johan. 2010. Resilience thinking: integrating resilience, adaptability and transformability. Ecology and society, 15, (4):20.

Christina Vogel, M.Sc., M.A., arbeitet seit Juni 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsfeld „Ökologische Produktpolitik“ in der Berliner Geschäftsstelle des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Zuvor studierte sie den M.A. „Sustainability Economics and Management“ an der Universität Oldenburg und den M.Sc. „Strategic Leadership towards Sustainability“ an der Technischen Hochschule Blekinge in Schweden. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kreislaufwirtschaft, die Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten und die Gestaltungsmöglichkeiten einer sozial-ökologischen Transformation.

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