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Die OECD auf neuen Wegen?

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„Jenseits des Wachstums. Auf dem Weg zu einem neuen ökonomischen Ansatz“

„Jenseits des Wachstums“ – der Titel des Berichts einer Gruppe von Wissenschaftler/innen an den Generalsekretär der OECD klingt überraschend und vielversprechend, schließlich hat die OECD als Organisation  reicher Industriestaaten lange Zeit genau auf dieses Wachstum gesetzt. “Going for growth“ war die Ansage. Aber die zunehmenden Zweifel in der Gesellschaft an der Wachstumsorientierung hatten schließlich auch Auswirkungen auf die OECD. Deren Generalsekretär Angel Gurria rief 2015 zu einer Neuausrichtung der OECD auf und forderte u. a. “das Wachstumsnarrativ neu zu definieren, um das Wohlbefinden der Menschen ins Zentrum unserer Bemühungen zu rücken“. Zur Unterstützung dieser Debatte beauftragte der Generalsekretär 2018 eine Beratungsgruppe “Neues Wachstumsnarrativ“, die untersuchen sollte, „wie wirtschaftliche, soziale und ökologische Überlegungen in ein kohärentes Konzept integriert werden könnten“ – so im Vorwort des Berichts, der Ende 2020 vorgelegt wurde.

Dieser Bericht wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung jetzt übersetzt und herausgegeben und am 15. Februar in einer Videokonferenz mit über 600 Teilnehmer/innen vom Co-Autor der Studie Michael Jacobs (Professor für Politische Ökonomie am Sheffield Political Economy Research Institute) vorgestellt. An der anschließenden von Nicola Brandt (Leiterin des OECD Berlin Centre) moderierten Diskussion nahmen teil: Dennis Snower (Professor für Makroökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance Berlin, bis 2019 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Mitglied der Beratergruppe des OECD Generalsekretärs zu einem neuen Wachstumsnarrativ), Katharina Beck (Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen von Bündnis 90/ Die Grünen) und Christoph M. Schmidt (Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung RWI, Essen).

Große Übereinstimmung?

Die Übereinstimmung der Diskutant/innen in der positiven Einschätzung des Berichts  war groß: „Jenseits des Wachstums“ wurde vor allem interpretiert als „ergänzend zum Wachstum“. In dem Bericht selbst heißt es (S. 26): “Sich ‚jenseits des Wachstums‘ zu begeben, soll nicht heißen, Wachstum als Ziel völlig aufzugeben, sondern es bedeutet, nicht ausschließlich auf Wachstum zu setzen“. Auch Christoph Schmidt, früherer Vorsitzender des wachstumsorientierten Rats der Wirtschaftsweisen sprach sich explizit dafür aus, das Wachstumsziel  nicht aufzugeben sondern zu ergänzen. Woran sich die altbekannte Debatte über die geeignete Zahl und Auswahl zusätzlicher Indikatoren anschloss, die nötige Verbindung mit politischen Maßnahmen zu ihrer Erreichung und das erforderliche Monitoring. Dennis Snower, früherer Präsident des ebenso auf Wachstum ausgerichteten Kieler Instituts, berichtete von neuen persönlichen Erkenntnissen und Einschätzungen und plädierte für ein umfassenderes Menschenbild, das Befähigung und soziale Zugehörigkeit einbezieht und für eine Neudefinition der Ökonomie. Katharina Beck stimmte den Mitdiskutanten zu und verwies auf das neue Grundsatzprogramm der Grünen mit seiner wachstumsagnostischen Haltung. Danach ist Wachstum kein Problem, solange es innerhalb der planetaren Grenzen erfolgt. Den Bericht wertet sie als wichtiges, ausgewogenes und versöhnliches Papier. Die Moderatorin Nicola Brandt war mit der harmonischen Veranstaltung sehr zufrieden und hofft nach der deutschen Übersetzung auf eine intensive Diskussion, die sich bei dieser Veranstaltung allerdings noch nicht abzeichnete.

Die Debatte muss weitergehen!

Eine solche Diskussion ist jedoch überfällig, weil eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik der OECD-Staaten im Transformationsprozess der nächsten beiden Jahrzehnte unausweichlich ist. Das von der OECD u. a. im Anschluss an die Finanzmarktkrise 2008/09 entwickelte Konzept des „Green Growth“ ist dafür keine ausreichende Antwort. Wenn die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung nicht im erforderlichen Ausmaß und Tempo gelingt, bleibt der Zielkonflikt zwischen Wachstumszielen und ökologischen Zielen. Ohne Wachstum rücken Verteilungsfragen ins Zentrum. Das Wohlstandsversprechen muss neu interpretiert werden. Dabei wird der Staat eine wichtigere Rolle spielen müssen. Das setzt voraus, dass er dafür (finanziell, institutionell) gestärkt wird. Der Report enthält insgesamt zwar eine Vielzahl von Anregungen für ein neues Narrativ (bzw. Paradigma), hält aber in zu Vielem am alten Narrativ fest, mit wenigen neuen Handlungsempfehlungen für die Transformationspolitik. Daher ist die intensive Fortführung der Diskussion sowie „revolutionäre“ Beiträge der („heterodoxen“) Wirtschaftswissenschaft für den Paradigmenwechsel erforderlich.

Von der OECD und ihrem Generalsekretär wäre zu erwarten, dass er diesen Prozess systematisch weitertreibt. Der Bericht sollte auf die Agenda der OECD-Gremien gesetzt werden und der Generalsekretär sollte regelmäßig die Mitgliedsländer und die Öffentlichkeit über den Fortgang des Suchprozesses nach dem neuen Paradigma informieren. Durch ihre Beratungsfunktion könnte die OECD weitreichenden Einfluss auf die Wirtschaftspolitik aller reichen Industrieländer haben. Der vorliegende Bericht ist ein guter Impuls, der nicht ungenutzt bleiben sollte.

Mit der deutschen Übersetzung hat die Heinrich-Böll-Stiftung einen weiteren wichtigen Beitrag zur Belebung der Diskussion um Nachhaltige Entwicklung und Transformation geleistet, wie schon zuvor mit der Übersetzung des Buches von „Wohlstand ohne Wachstum“ von Tim Jackson.

 

 

 

Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg. 2021): Jenseits des Wachstums. Auf dem Weg zu einem neuen ökonomischen Ansatz, Schriften Wirtschaft und Soziales Bd.  24, Berlin (original: OECD (2020): Beyond Growth: Towards a New Economic Approach, Paris)

Rudi Kurz war bis 2017 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim. Seine Forschungsschwerpunkte sind Ordnungspolitik, Innovationsforschung, Wirtschaftswachstum, Umweltökonomie und Nachhaltige Entwicklung. Ehrenamtlich engagiert er sich beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) als Sprecher des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen. Prof. Dr. Angelika Zahrnt ist Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und war von 1998 bis 2007 Vorsitzende. Von 2001 bis 2013 war sie Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der deutschen Bundesregierung und im Strategiebeirat Sozial-ökologische Forschung des deutschen Bundesforschungsministeriums. Seit 2010 ist sie Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Zusammen mit Irmi Seidl ist sie außerdem Herausgeberin des Buches „Postwachstumsgesellschaft - Konzepte für die Zukunft“ und Mit-Initiatorin des Blogs Postwachstum.de. Mit Uwe Schneidewind hat sie das Buch „Damit gutes Leben einfacher wird – Perspektiven einer Suffizienzpolitik“ geschrieben. 2006 und 2013 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen und 2009 der Deutsche Umweltpreis.

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