Aktuelle Berichte

Suffizienzorientiertes Online-Marketing

Schreibe einen Kommentar

In Zeiten der Digitalisierung findet Konsum vor allem in digitalen Räumen statt. Wie können diese Räume gestaltet werden, um suffizientes (Konsum-) Verhalten zur Normalität zu machen? Welche Rolle spielt Online-Marketing hierbei?

Diesen Fragen widmeten sich die Referent/innen Maike Gossen (IÖW), Vivian Frick (Technische Universität Berlin), Stephanie Keilholz (Das Gute Ruft), Aleksandra Hilarski (Avocadostore.de) und Philipp Stakenborg (Das Gute Ruft) im Workshop „Suffizienzorientiertes Online-Marketing“, der im Rahmen der Bits & Bäume Konferenz stattfand. Ziel der Konferenz war es, die bislang nebeneinander agierenden Bewegungen der Umwelt-Aktivist/innen und digitalen Menschenrechtler/innen miteinander zu vernetzen und neue Perspektiven für eine Zukunft zu entwickeln, in der die Digitalisierung zur nachhaltigen Transformation der Gesellschaft und des Wirtschaftens beiträgt. In kurzen Impulsvorträgen und einem Worldcafé mit den Teilnehmer/innen betrachteten die Referent/innen, wie Digitalisierung die Transformation hin zu mehr Suffizienz ermöglichen kann, denn eine inklusive und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung benötigt mehr vom Weniger.

Suffizienz, bezogen auf Konsumgüter und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, kann von der Konsument/innenseite aus in 3 Dimensionen umgesetzt werden:

  • Anschaffung: Reduktion der Anschaffung neuer ressourcenintensiver Güter – z. B. Kleidung öfter mal leihen / tauschen / gebraucht kaufen anstatt Neuware
  • Dimensionierung: Wahl von kleiner dimensionierten bzw. weniger leistungsfähigen Gütern, z.B. ein kleines, sparsames Auto anstelle eines SUVs
  • Nutzung: Verringerte bzw. sparsame Nutzung von Ressourcen und ressourcenintensiven Gütern und Dienstleistungen, z.B. Flugverzicht oder energiesparsames Verhalten

Studie: Wie der Avocadostore versucht, Suffizienz zu fördern

Beim nachhaltigen Online-Shop Avocadostore.de wird Suffizienzmarketing in der Praxis erprobt: gemeinsam mit der Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ wurde ein suffizienzorientierter Shopping-Entscheidungsbaum entwickelt. Besucher/innen sahen während des Online-Einkaufs ein Pop-Up, das mit der Frage “Brauchst Du es unbedingt?” startete und in verschiedenen Iterationen eine bewusste Kaufentscheidung der Konsument/innen fördern sollte. Im Anschluss wurden die Besucher/innen zu einer Umfrage eingeladen, um die Wirksamkeit und Akzeptanz dieser suffizienzorientierten Maßnahme zu prüfen.

Die von Vivian Frick (TU Berlin) und Maike Gossen (IÖW) angestoßene Studie “Brauchst du das wirklich?” startete mit 2 Forschungsfragen als Ausgangspunkt:

  1. Welches Online-Marketing kann wirksam suffizienten Konsum fördern?
  2. Wie können nachhaltige Unternehmen im Internet suffizienten Konsum fördern?

In verschiedenen Fragen wurden die Reaktionen der Kund/innen des Online-Shops Avocadostore auf das suffizienzorientierte Pop-Up erforscht.

An der Umfrage zur Studie nahmen 1746 Menschen teil – 95% reagierten positiv auf die Anzeige, 5% empfanden sie als belehrend oder bevormundend.

Im Hinblick auf die Wahrnehmung des Anbieters nahmen 87% der Befragten Avocadostore positiv wahr: uneigennützig, glaubwürdig, sympathisch und anders als übliche Werbung; 12% fanden den Entscheidungsbaum unpassend, unglaubwürdig oder geschäftsschädigend. Bei der Kaufmotivation der Befragten (n=1616) kam “Ethik” als Kriterium direkt nach “Qualität” an zweitwichtigster Stelle. “Soziale Akzeptanz” hingegen wurde als am unwichtigsten eingestuft.

Insgesamt waren die Reaktionen äußerst positiv und sollen künftig auch in Kooperation mit konventionellen Unternehmen überprüft werden, um zu erforschen, wie Stichproben weniger umweltbewusster Konsument/innen Suffizienzmarketing wahrnehmen.

Digitalisierung und suffizienzorientiertes Marketing: Inspirationen und Möglichkeiten für mehr Suffizienz

Stephie Keilholz und Philipp Stakenborg von der öko-sozialen Kreativagentur “Das Gute Ruft” brachten zahlreiche Good Practice Beispiele von Unternehmen und Projekten mit, bei denen Digitalisierung und Suffizienzförderung Hand in Hand gehen:

  • Online-Communities ermöglichen die digitale Vernetzung mit Gleichgesinnten und können Einzelinteressen zu Bewegungen rund um Zero Waste, klimafreundliche Ernährung, lokale Mobilitätsprojekte u.v.m. machen. Das Netzwerk nebenan.de beispielsweise ermöglicht das Leihen, Tauschen und gegenseitige Helfen in der Nachbarschaft – so werden soziale Gefüge gestärkt und weniger Konsum ermöglicht.
  • Neue Technologien wie z. B. VR (Virtual Reality) eröffnen den Zuschauer/innen eine völlig neue Dimension des Bewusstseins über ökologische Veränderungen: beim Eintauchen in das tragische Schicksal eines Regenwaldbaums (“Tree”) oder in das bedrohte Leben einer Honigbiene (“Extraordinary Honey Bee”) wird das Einfühlungsvermögen gestärkt, weil abstrakte wissenschaftliche Erkenntnisse zum Greifen nah werden.
  • Kreative Suffizienzmarketingkampagnen inspirieren zu weniger Konsum: beim Projekt “Zeit statt Zeug” werden Geschenkeklassiker in suffizienzorientierte Geschenke umgewandelt: so wird aus einem gekauften Parfum zum Beispiel “eine Portion Waldluft” (= gemeinsamer Waldausflug).

Im Anschluss an die inspirierenden Impulse diskutierten die Teilnehmer/innen im gemeinsamen Worldcafé an verschiedenen Tischen ihre Ideen zur digitalen Suffizienzförderung, aber auch Barrieren in der praktischen Umsetzung. So können zum Beispiel gesellschaftliche Leitbilder und soziale Normen suffizientem Verhalten im Sinne eines Verlusts von Statussymbolen im Weg stehen. Auch die Tatsache, dass fast alle Belohnungssysteme Mehrkonsum belohnen, stellt eine Hürde für Suffizienz dar. Es ist daher essentiell, die Vorteile eines suffizienten Lebens klar herauszuarbeiten und so positive Narrative zu erschaffen.

Digitale Tools können Suffizienz fördern: über Wissensverbreitung (Content Marketing), Apps und Netzwerke können die ökologisch-sozialen Auswirkungen von Konsum sichtbar gemacht und suffiziente Alternativen verbreitet werden.

Es wurde beratschlagt, wie man ein Umdenken von “Suffizienz ist anstrengend” hin zu einem positiven Lebensgefühl der Suffizienz fördern kann: positive Narrative und Rollenbilder, der Gewinn von Zeit und Lebensqualität sowie die einfache Zugänglichkeit zu nachhaltigen Alternativen wurden als Treiber der Suffizienz identifiziert. Dabei ist es wichtig, Bedürfnisse ernst zu nehmen und möglichst alle Konsument/innen abzuholen – egal, auf welchem Suffizienzlevel sie sich derzeit befinden.

Wir freuen uns über das große Interesse an suffizienzorientiertem Online-Marketing und die angeregten Diskussionen. Digitalisierung kann die Transformation hin zu mehr Suffizienz unterstützen und Suffizienzmarketing kann zu einem Katalysator der Postwachstumsökonomie werden.

 

Audio- und Videoaufzeichnungen der Bits & Bäume Konferenz lassen sich hier einsehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.