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Wege in die solidarische Lebensweise

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Auf der Suche nach realen Utopien

Klimawandel, Finanzkrise, Rechtsruck – weltweit häufen sich die Krisen und mit ihnen die Fragen nach Alternativen zum derzeitigen Wirtschafts- und Lebensmodell. Das I.L.A. Kollektiv macht sich in ihrem neuen Buch Das Gute Leben für Alle auf die Suche danach und beleuchtet die Möglichkeiten, jene Alternativen als Inspiration für die globale sozial-ökologische Transformation denk- und erlebbar zu machen. Dabei analysiert das Kollektiv die Hintergründe und Sachzwänge, die sich hinter dem gegenwärtigen Ist-Zustand verbergen und die Rahmenbedingungen, die die Wege in eine solidarische Zukunft erfordern.

Vom imperialen Gegeneinander zum solidarischen Miteinander

Während ein Großteil der natürlichen Senken und der Arbeitskraft des Globalen Südens ausgebeutet werden, profitiert eine Minderheit im Globalen Norden, die damit einer Lebensweise nachgehen kann, die aufgrund des enormen Ressourcenverbrauchs und ökologischen Fußabdrucks nicht verallgemeinerbar ist. Diese sogenannte imperiale Lebensweise ist Motor und – in Krisenzeiten – Stabilisator des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Doch die sozial-ökologischen Kosten rufen auch vermehrt Gegenbewegungen hervor: Auf dem Pfad zu einer solidarischen Lebensweise organisieren sich Menschen in FoodCoops, solidarischen Landwirtschaftsinitiativen, Wohnungs- und Energiegenossenschaften, Tauschläden, Repair-Cafés, Nachbarschaftshilfen, Gemeinschaftsgärten, Open Source- , Wohnprojekten und anderen Initiativen. Doch nicht alle Menschen können daran teilhaben. Oft eröffnen sich solche Räume nur in Großstädten und erfordern von den Partizipierenden finanzielle und zeitliche Ressourcen, über die viele nicht verfügen. Auch erlebe eine Vielzahl der Bevölkerung den Zwang zur imperialen Lebensweise, da sie aufgrund des schlecht ausgebauten Öffentlichen Nahverkehrs in der Peripherie auf das Auto angewiesen seien und sich aufgrund von prekärer Lohnarbeit teure ökologisch produzierte Produkte nicht leisten können. Hinzu kommt die Last einer 40-Stunden-Woche plus zusätzlicher Sorgearbeit, die bspw. kaum Zeit lasse, industriell unverarbeitete Lebensmittel zu konsumieren oder sich politisch zu engagieren. Dazu gesellt sich die Allgegenwart der Werbung, die Entlohnung und Glück mit dem Kauf von Waren und Fernreisen verspricht.

Implementierung durch Strukturwandel

Um die solidarischen Projekte aus ihrem Nischendasein zu befreien und sie gegen die Vereinnahmung oder Verdrängung durch die imperiale Lebensweise zu schützen, müssen sich die gesellschaftlichen Strukturen wandeln. Dabei sei Arbeitszeitverkürzung sowie die Gleichstellung der Wertigkeit von Lohnarbeit und unbezahlter Sorgearbeit unumgänglich, so die Annahme der Autor/innen. Auch das Bedingungslose Grundeinkommen könne zur Implementierung der solidarischen Lebensweise beitragen, da Arbeitskraft unabhängig von Geldlogik aufgewendet würde. Zudem sei es wichtig, Projekte für ein solidarisches Miteinander auch auf gesetzlicher Ebene zu stärken sowie sie durch demokratische Kontrolle und Mitbestimmung gesellschaftlich zu verankern. Für die Teilhabe aller Menschen sei Bildung und ein Wandel der Denkmuster und Werte, die bisher von der imperialen Lebensweise bestimmt waren, erforderlich.

Teilhabe für ALLE?

Die im Buch vorgestellten Fallbeispiele und alternativen Wirtschafts- und Bedürfnismodelle eröffnen anregende Perspektiven. Auch die Einführung des Begriffs Mitwelt statt Umwelt ist ein kluges Mittel, die Dependenz von Mensch und Natur zu unterstreichen. Die Stärke liegt jedoch vor allem in der kritischen Reflexion bezüglich des sozial-ökologischen Diskurses. So wird die Exklusivität – beispielsweise in der Sprache – linker Bewegungen kritisiert und zum Dialog mit Andersdenkenden aufgerufen. Zudem outet sich das Kollektiv, eine Gruppe von 20 Personen(!) als homogen: „wir sind alle ‘weiß‘, akademisch, städtisch, jung“ (S. 12). Eine Zusammensetzung, wie sie in vielen emanzipatorischen Bewegungen zu finden ist. Hier ist auch das Dilemma des Buches. Wer ist die Zielgruppe? Die ansprechenden Illustrationen, die Redundanz und das Glossar versprechen zwar einen niedrigschwelligen, breiten Zugang für Einsteigende auch ohne Hochschulbildung, doch bleibt zu befürchten, dass der – trotz gegenteiliger Bemühung – klar links-öko-akademische Duktus eben nur diejenigen erreicht, die ohnehin schon links-akademisch und ökologisch gebildet und/oder engagiert sind.

 

I.L.A. Kollektiv (2019): Das Gute Leben für Alle – Wege in eine solidarische Lebensweise. München: oekom verlag.

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