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Stadtplanung trifft Sozialunternehmen

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Anlässlich des dritten Treffens des ARL[1]-Arbeitskreises zu Postwachstumsökonomien im Wizemann Space Stuttgart fand am 19.03.2018 eine Abendveranstaltung mit Architekt und Stadtplaner Frank Gwildis vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung der Landeshauptstadt Stuttgart sowie den Stuttgarter Sozialunternehmern Martin Langlinderer (Offene Werkstatt „Hobbyhimmel“), Markus Kohlhase (Ingenieurbüro „Slowtec“) und Alexander Bernhard (Co-Working „Wizemann Space“) statt. Zunächst gab jeder der Genannten Einblicke in die jeweilige Organisation und ihre Tätigkeiten, bevor gemeinsam mit dem Publikum über die praktische Umsetzung von alternativen Wirtschaftsformen diskutiert wurde.

Alexander Bernhard, Vertreter des Wizemann Space und damit der Gastgeber des Austausches, gab zunächst einen Einblick in die Geschichte der Örtlichkeit. Der Wizemann Space befindet sich in einem ehemaligen Verwaltungs- und Werkstattgebäude des weitläufigen Wizemann Areals in Bad Cannstatt, auf dem das gleichnamige Familienunternehmen von 1934 bis 1996 eine Gießerei betrieb. Der Wizemann Space bietet diversen Unternehmen mit sozialökologischer Orientierung sowohl in festen Büroräumen als auch auf flexiblen Arbeitsplätzen und in Gemeinschaftsräumen Platz. Bernhard betonte die Bedeutung von Vertrauen und Verantwortung, das zu früheren Zeiten in der lokalen Industrie eine wichtige Rolle gespielt hat. Daraus leitete er auf die Philosophie des Wizemann Space über, durch welchen die Verantwortung auf etwas andere Weise (wieder auf-) gelebt wird. Auch wenn das Auswahlverfahren für die Unternehmen, die im Wizemann Space tätig sein dürfen, nicht „schwarz-weiß“ ist, gibt es doch einige Tabus für das Einmieten in die Räumlichkeiten wie beispielweise die Verwicklung in Rüstungsgeschäfte. Am wichtigsten ist es jedoch, dass die jeweilige Unternehmung „zum Space passt“. Im Vergleich zur ortsüblichen Miete finden die SozialunternehmerInnen günstige Konditionen vor, die durch Veranstaltungsvermietungen an größere Unternehmen quersubventioniert werden, sowie auch auf einem Selbstverständnis als Gemeinschaft und nicht als gewinnorientiertes Unternehmen beruhen. Der Gemeinschaftssinn hört jedoch nicht beim Finanziellen auf. So gehören auch kollektiv organisierte Veranstaltungen bis hin zu regelmäßigen gemeinsamen Essen zum Alltag der SozialunternehmerInnen.

Wizemann Space – Eingangshalle (Foto mit freundlicher Genehmigung des Wizemann Space)

Im Anschluss bot Frank Gwildis einige Einblicke in die Stadtplanung der Landeshauptstadt, die sich unter dem Leitbild der „Produktiven Stadt“ schon früh mit den Anforderungen neuer und künftiger Arbeitsformen und Produktionsweisen auseinandergesetzt hat. Dies mit dem Anliegen, eine bedarfsgerechte und zukunftsfähige Flächennutzungspolitik zu betreiben – angesichts des dynamischen Wirtschaftsstandorts und seines Flächendrucks ein zugegeben besonders komplexes Unterfangen. Bei der Flächenentwicklung z.B. auf ehemaligen Industriestandorten spielen partizipative Formen der Konzeption und planerischen Umsetzung eine besondere Rolle. In diesem Zusammenhang lieferte Gwildis auch Einblicke in aktuelle Umnutzungsvorhaben in Stuttgart-Feuerbach.

Martin Langlinderer gründete im Oktober 2015 Stuttgarts erste und bisher einzige Offene Werkstatt. Der „Hobbyhimmel“ ist ein Ort, der möglichst vielen Menschen Zugang zu den Ressourcen Werkstatt und Werkzeug ermöglichen soll. In der Werkstatt werden nicht nur Maschinen und Materialien geteilt, sondern auch Wissen und Fähigkeiten. Auf mehr als 300 Quadratmetern bietet der Hobbyhimmel Zugang zu den Arbeitsbereichen Holz, Metall, Textil, Fahrrad und Elektro sowie zu einem Fab-lab (inkl. Laser-Cutter und 3D-Drucker). Auch hier ist das Thema Quersubventionierung wichtig, denn die Werkstatt ist unabhängig von öffentlichen Fördermitteln und finanziert sich durch eine Mischung aus PrivatnutzerInnen, Vereinsbeiträgen, Kursgebühren und B2B-Kunden (z. B. Firmen, die die Werkstatt für Teambuilding-Veranstaltungen mieten). Eine Postwachstumsorientierung findet sich in einer Vielzahl von Praktiken wieder, die durch die offene Werkstatt ermöglicht werden, wie etwa Reparieren – auch außerhalb des monatlich stattfindenden Reparaturtreffs – Produzieren – neben Privatpersonen nutzen auch sozialökologische Start-ups die Werkstatt – sowie Recycling und Upcycling. In den letzten zwei Jahren hat sich die Werkstatt außerdem zu einer wichtigen Anlaufstelle für Initiativen und Start-ups im Nachhaltigkeitsbereich entwickelt. So gab es neben persönlichen auch professionelle Verbindungen zwischen den anwesenden Sozialunternehmern.

Slowtec ist ein kleines Ingenieurbüro aus Stuttgart-Möhringen, das formal durch Markus Kohlhase als Geschäftsführer vertreten wird – so auch am heutigen Abend – intern jedoch, nach dem Vorbild Laloux, auf einer Selbstführung aller fünf Mitstreiter basiert. Zu Slowtecs diversem Portfolio gehören unter anderem Softwareentwicklung, Steuerungssysteme und Automatisierungstechnik. Wie bereits bei seinen Vorrednern, ist dem Unternehmensgründer der Fokus auf nachhaltiges Wirtschaften in Verbindung mit finanzieller Unabhängigkeit wichtig. Slowtec verzichtet bewusst auf externe Finanzierung und setzt auf langsames, organisches Wachstum, um die Eigenständigkeit in allen Unternehmungsentscheidungen zu wahren. Im Schnittfeld zwischen Nachhaltigkeit und Technologie handelt Slowtec, wie der Name bereits verrät, nach der Devise „nur so viel Technik wie nötig“. Das heißt auch entgegen den eigenen Gewinninteressen auf Projekte zu setzen, die zur Überzeugung des Unternehmens passen, sowie auf sinnvollen Technikeinsatz.

Der Vorstellung der Tätigkeitsfelder folgte eine spannende Diskussion mit dem Publikum sowie unter den Protagonisten selbst. Frank Gwildis war insbesondere daran interessiert, wie die Landeshauptstadt – und hier insbesondere die Stadtplanung – SozialunternehmerInnen unterstützen könnte. Nebst einer Vermittlung von Flächen und Räumlichkeiten, die im „Kessel“ stetige Mangelware sind, könnten sich die Anwesenden die Stadt auch stärker in einer Rolle als Mittlerin zwischen Unternehmen und (sozialökologischen) Startups vorstellen. Etablierte Unternehmen, die neben ihrer Gewinnorientierung auch noch ein Auge für das Gemeinwohl haben, könnten sowohl als Unterstützer sowie als Geschäftspartner für lokale und nachhaltig orientierte Start-ups auftreten. Dabei fehlt es nach Einschätzungen der lokalen SozialunternehmerInnen nicht immer unbedingt am Willen, sondern auch an der Koordination oder Initiierung von Partnerschaften.

Neben dem Flächenbedarf wirft das Thema Rechtsformen immer wieder größere Probleme für kleine Unternehmungen auf. Gemeinschaftlich getragene und zwischen Gemeinwohl und Markt situierte Unternehmen lassen sich nur schwer durch bestehende Rechtsformen abbilden. Slowtec, beispielsweise, das sich intern nach Kriterien der Selbstführung organisiert, findet keine passende Rechtsform, die dieses Prinzip nach außen reflektiert. Genossenschaftsmodelle, nach denen die MitstreiterInnen gleichzeitig MiteigentümerInnen des Geschäftsbetriebes wären, sind insbesondere durch die mit einer jährlichen Prüfung verbundenen Kosten für derart kleine Betriebe unattraktiv. Ein weiteres Problem ist mit der Anerkennung von Gemeinnützigkeit verbunden. Während sich SozialunternehmerInnen genau in diesem Auftrag verstehen, beißt sich steuerrechtlich die Gemeinwohlorientierung mit dem Geschäftsbetrieb. So beispielsweise im Falle des Hobbyhimmels, der sich schlussendlich nach langer Überlegung als gemeinnütziger Verein formiert hat und seinen Geschäftsbetrieb dieser Orientierung unterordnen muss. Zudem ist guter Rat schwer zu bekommen und im wahrsten Sinne des Wortes teuer. Hier könnte die Stadt finanzielle und rechtliche Unterstützung bieten, um sozialökologische Unternehmen zu entlasten. Modelle wie die Benefit Corporation aus den USA wurden als möglicher Rechtsrahmen für Sozialunternehmen genannt, die sich jenseits einer (traditionellen) Trennung von Marktorientierung und Gemeinwohl bewegen. Solche Schritte lassen sich auf Stadtebene nur bedingt umsetzen, sollten aber Relevanz in der politischen Diskussion erlangen.

In kleinen Gruppen wurde noch bis in den späten Abend weiterdiskutiert. Die Beteiligten zeigten sich interessiert die Gespräche auch über die Abendveranstaltung hinaus fortzusetzen. Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für den gelungenen Abend und hoffen auf einen anhaltenden Austausch.

 

[1] Die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), Leibniz-Forum für Raumwissenschaften, ist eine selbständige und unabhängige raumwissenschaftliche Einrichtung öffentlichen Rechts mit Sitz in Hannover (www.arl-net.de). In der von ihr für drei Jahre eingesetzten Arbeitskreise setzen sich jeweils 10-12 ForscherInnen und PlanungspratikerInnen aus dem deutschsprachigen Raum intensiv mit einem raum- und gesellschaftsrelevanten Thema auseinander. Zum AK Postwachstumsökonomien siehe auch: https://www.arl-net.de/de/projekte/postwachstums%C3%B6konomien

 

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