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Postwachstum und die Arbeitswelt: Eine Annäherung

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Dass Arbeit viel mehr ist als die gemeinhin unter dem Begriff verstandene Erwerbsarbeit, lässt sich schon am Titel des von Seidl und Zahrnt herausgegebenen WerkesTätigsein in der Postwachstumsgesellschaft“ erkennen. Mit der Wahl des Terminus Tätigsein sollen neben der klassischen Erwerbstätigkeit auch freiwilliges Engagement, Pflegearbeit und selbstversorgende Tätigkeiten bewusst inkludiert werden, die gesellschaftlich immer noch zu wenig Anerkennung finden. Gleich zu Beginn wird auch nochmals auf den engen Zusammenhang von Wachstumswirtschaft und Arbeit und die inhärenten Widersprüche der kapitalistischen Wachstumspolitik eingegangen. Auf der einen Seite rationalisiert der Kapitalismus durch Produktivitätssteigerungen Arbeitsplätze weg, gleichzeitig wird eine wachstumsfördernde Wirtschaftspolitik propagiert, durch welche wiederum mehr Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, da Kapitalismus ohne konsumierende – und dadurch das Wachstum ankurbelnde – Arbeitnehmer*innen nicht überleben kann.

Ausgehend von dieser Erkenntnis gliedert sich das Buch in vier Teile. Der erste Teil widmet sich den grundlegenden Verständnissen von Arbeit, wobei Komlosy mit einem geschichtlichen Abriss die Entwicklung von Arbeit darstellt und Fritz-Schubert die Bedeutung von Werten hervorhebt. Letzterer argumentiert, dass sogenanntes Wertewissen – worunter er Wissen versteht, das auf „allgemeinen und personalen Werten“ aufbaut – als Basis dafür dienen kann, das Primat der Wachstumswirtschaft zu überwinden. Daraufhin widmet sich Gerold Praxismodellen der heutigen Arbeitswelt, die Postwachstumsansätze aufweisen. Diese reichen von Konzepten wie ein Recht auf Arbeitszeitverkürzung, über das bedingungslose Grundeinkommen bis hin zu Modellen, die es ermöglichen, zwischen einer Lohnerhöhung oder mehr Freizeit zu wählen.

Ein genauerer Blick wird im zweiten Teil auf Akteure und deren Bedeutung für Arbeit gelegt. Die Erkenntnis, dass das Konsumniveau der Industrieländer verheerende ökologische Folgen hat, ist mittlerweile bekannt, doch dass Konsum auch soziale Funktionen erfüllt, wird oftmals außer Acht gelassen. Davon ausgehend erkunden Fischer und Stieß alternative Konsumformen, wie Tausch-, Teil und Leihangebote, aber auch Prosuming und kollaborativen Konsum. Die durch von Jorck und Schrader vorgestellten Konzepte, die die Rolle von Unternehmen bei der sozial-ökologischen Transformation abdecken, schließen gewissermaßen an Gerolds Ausführungen an, führen Thematiken der Arbeitszeitflexibilisierung bzw. -verkürzung aber noch detaillierter aus. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass die Ansätze von Postwachstumsunternehmen, indem sie z. B. Zeitwohlstand fördern, sich positiv auf Erwerbsarbeit auswirkt, indem die Arbeitsproduktivität steigt. Wehner fokussiert sich ferner noch auf „frei-gemeinnütziges Tätigsein“, mithin freiwilliges Engagement, und dessen Bedeutung in einer etwaigen Postwachstumsgesellschaft.

Im dritten Teil des Buches werden konkrete Wirtschaftsbereiche genauer beleuchtet. Zuerst untersucht Hagedorn Sorgearbeit. Zentral ist dabei die Erkenntnis, dass die Arbeit „am Menschen“ aus inhärent moralischen Werten nicht beliebig produktiver gestaltet werden kann, auch wenn der Kapitalismus gerade das verlangt. Postwachstum könnte den Menschen in diesem Kontext wieder in den Mittelpunkt stellen. Daraufhin stellen Gottwald und die beiden Herausgeberinnen mit dem Fokus auf Landwirtschaft das Konzept der Agrarkultur vor und präsentieren sie – samt Ideen einer Weiterentwicklung – als einen Ansatz, wie Tätigsein in der Postwachstumslandwirtschaft aussehen könnte. Zentral ist dabei, dass dieses Konzept deutlich arbeitsintensiver ist, also mehr menschliche Arbeitskraft benötigt als die heutige industrielle Landwirtschaft. Die Autor*innen sehen das aber keinesfalls als problematisch an, würden in einer Postwachstumsökonomie doch zahlreiche andere Stellen wegfallen, die so ausgeglichen würden. Daraufhin argumentieren Nierling und Krings in ihrer Analyse, bei der sie sich auf Digitalisierung fokussieren, dass deren Effekte positiv ausgestaltet werden können, wenn bspw. durch Technik gewonnene Zeit anderweitig genutzt wird, z. B. für ein Ehrenamt. Dafür sei es aber notwendig, technische Entwicklung nicht einfach geschehen zu lassen, sondern von menschlichen Bedürfnissen her zu denken.

Im letzten Teil wird der sozioökonomische Rahmen gespannt, bei dem sich Kubon-Gilke mit der sozialen Sicherung in einer Postwachstumsgesellschaft einem sehr relevanten Thema widmet, ist diese bisher doch inhärent auf eine wachsende Wirtschaft angewiesen. Köppl und Schratzensteller argumentieren im darauffolgenden Beitrag, dass Erwerbsarbeit steuerlich weniger belastet, dafür aber mehr Umweltsteuern genutzt werden sollten. Ein großer Pluspunkt des Buches ist es schließlich auch, dass es schafft, den westlich zentrierten Blick insoweit zu lösen, dass auch Arbeit im Kontext des Globalen Südens betrachtet wird; dabei geht ganz zum Schluss Stoll auf die Bedeutung von Wirtschaftswachstum für die Arbeitswelt in Entwicklungs- und Schwellenländer ein.

Diese Veröffentlichung – welche nach dem 2010 erschienenen Buch „Postwachstumsgesellschaft: Konzepte für die Zukunft“ bereits Seidl und Zahrnts zweites Herausgeberinnenwerk ist – trägt zu einer äußerst wichtigen Debatte über das Verhältnis von Arbeit und Wachstum bei und es ist zu hoffen, dass es dabei als Anregung dient, diese Thematik weiter zu erforschen. Gleichwohl hängt die Frage, ob sich eine Postwachstumswirtschaft mit Kapitalismus verträgt, wie ein Damoklesschwert über den Buchbeiträgen. Schließlich argumentieren viele wachstumskritische Ökonom*innen, dass Kapitalismus ohne Wachstum nicht möglich ist, wie Friedrich Engels bereits 1892 – in „Die arbeitende Klasse in England“ – feststellte: „Die kapitalistische Produktion kann nicht stabil werden, sie muss wachsen und sich ausdehnen, oder sie muss sterben.“ Auch Mathias Binswanger hat erst 2019 in „Der Wachstumszwang“ anschaulich dargelegt, dass ein kapitalistisches System ohne Wachstum nicht funktioniert. Anlehnend daran stellt sich die Frage, ob die in dem Buch diskutierten Ansätze also zu einer Wirtschaftsordnung führen würden, die letztlich nicht mehr kapitalistisch ist – was wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt hätte. Doch auch wenn diese Thematik in diesem Band keinen Eingang mehr gefunden hat, schmälert dies weder seine Relevanz noch Qualität, liefern die Beiträge doch anregende und praxisbezogene Analysen, wie Erwerbsarbeit, aber auch andere Tätigkeiten in einer Gesellschaft ohne Wachstum organisiert werden können. Das Verhältnis von Arbeit, Wachstum und Kapitalismus könnten Seidl und Zahrnt dann allenfalls in einem weiteren Band aufgreifen – ihrem dritten Herausgeberinnenwerk?

 

Irmi Seidl und Angelika Zahrnt (Hrsg.): Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft. Marburg: Metropolis-Verlag, 2019.

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