Standpunkte

Einkommens- & Vermögensgrenzen aus Degrowth-Sicht

Kommentare 2

Vor dem Hintergrund eines drohenden ökologischen Zusammenbruchs und extremer sozioökonomischer Ungleichheit debattieren wachstumskritische Wissenschaftler/innen und Aktivist/innen verschiedene Strategien, die den Übergang zu wirklich ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Gesellschaften erleichtern können. Zu diesen Maßnahmen gehören unter anderem Arbeitsteilung, Zeitbanken, Arbeitsplatzgarantien, Komplementärwährungen und Mindesteinkommensregelungen. Eine Politik, die häufig in der wachstumskritischen Literatur erwähnt, jedoch selten tiefergehend diskutiert wird, sind Höchstgrenzen für Vermögen und Einkommen. Aus einer Degrowth-Perspektive betrachtet, bestehen die Vorteile solcher „Caps“ nicht nur darin, dass sie möglicherweise den Weg ebnen für gerechtere Gesellschaften, sondern sie könnten auch die ökologisch schädlichen Lebensstile der reichsten Menschen erschweren, indem diese wirtschaftlich schlechter gestellt werden. Letzteres ist von Bedeutung, da laut einer Oxfam-Studie die reichsten 1% 30-mal mehr emittieren können als die ärmsten 50% und 175-mal mehr als die ärmsten 10% [1].

Aber wie können solche „Caps“ gestaltet werden und was sind aus Sicht der Degrowth-Debatte die kritischen Punkte?

Arten von Vermögen und Einkommensbegrenzungen

In einer kürzlich erschienenen Publikation [2] überprüfen wir verschiedene Vorschläge zur Festlegung von Höchstgrenzen für Vermögen und/oder Einkommen. Dabei haben wir vier übergreifende Ansätze identifiziert:

  1. Eine Höchstgrenze sowohl für Vermögen als auch für Einkommen. Dieser Vorschlag beinhaltet, dass der Wert aller Vermögenswerte, die sich im Besitz einer Person befinden, abzüglich aller Verbindlichkeiten (Vermögen) sowie der Ertragsstrom, der sich aus Arbeit, Investitionen und Land (Einkommen) speist, maximal begrenzt wird. Oberhalb bestimmter Schwellenwerte werden Vermögen und Einkommen zu 100 % besteuert.
  2. Eine absolute Obergrenze für Einkommen. Bei diesem Vorschlag wird eine Einkommensteuer von 100 % auf den Teil des Einkommens erhoben, der einen bestimmten Betrag übersteigt. In Großbritannien hat beispielsweise Jeremy Corbyn von der Labour-Partei eine Einkommenshöchstgrenze befürwortet.
  3. Höchstgrenzen für Einkommen, die an eine Einkommensuntergrenze gebunden sind. Dieser Vorschlag kann beispielsweise beinhalten, dass jedes Einkommen, das zehnmal höher ist als ein Mindesteinkommen, zu 100% besteuert wird [3]. Wenn die jährliche Einkommensuntergrenze beispielsweise bei 50.000 Euro liegt, würde die Einkommensobergrenze bei 500.000 Euro liegen.
  4. Einkommensgrenzen, die eine „Wohlstandsgrenze“ (affluence line) überschreiten, die an eine „Bedürfnisbefriedigungslinie“ (need satisfaction line) gebunden ist. Die Bedürfnisbefriedigung stellt das Mindesteinkommen dar, das der/die Einzelne benötigt, um an der Gesellschaft teilzunehmen. Die Wohlstandsgrenze ist dann der Punkt, ab dem alle Einkommen von den reichsten zu den ärmsten transferiert werden, um sicherzustellen, dass diese in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen und an der Gesellschaft teilzunehmen [4]. Aufgrund seiner Grundlage in der Theorie der Bedürfnisse (theory of human needs) kann dieser Ansatz mit der bestehenden Degrowth-Forschung verbunden werden [5].

Diese Vorschläge, die größtenteils außerhalb der Degrowth-Forschungsgemeinschaft entwickelt wurden, haben jeweils ihre Stärken und Mängel. Eine Obergrenze für Wohlstand und Einkommen ist beispielsweise der direkteste Weg, um die derzeitige ungleiche Ressourcenverteilung anzugehen. Dieser Ansatz leidet jedoch auch unter verschiedenen Problemen, unter anderem darunter, dass es eine schwierige Aufgabe wäre, den Wert des Vermögens ständig einzuschätzen, da Vermögenswerte teilweise nicht-monetäre Formen annehmen (beispielsweise in Form von Schmuck und Kunstartefakten). Vorschläge, die ausschließlich auf Einkommen oder Entgelt abzielen, wären leichter umzusetzen, da das Einkommen / Entgelt typischerweise eine monetäre Form hat.

Während die Befürworter/innen von Vermögens- und / oder Einkommensobergrenzen dies als eine Politik verstehen, die auf reiche Einzelpersonen abzielt, besteht keine Einigkeit darüber, wie der Wert der Obergrenze oder das Verhältnis idealerweise festgelegt werden sollte. Dies ist verständlich, da letztendlich jedes Verhältnis beliebig ist. Nur der in die Theorie der Bedürfnisse eingebettete Ansatz der „Wohlstandslinie“ liefert Parameter, auf deren Grundlage ein nicht willkürliches maximales Einkommensniveau festgelegt werden kann. Wie bei den anderen Vorschlägen bleibt auch hier die Frage nach ökologischen Grenzen noch unbeantwortet. Aus einer Degrowth-Perspektive betrachtet, wäre es sicherlich notwendig, bei der Bestimmung der Wohlstandslinien nicht nur die Bedürfnisse des Menschen, sondern auch die ökologischen Grenzen zu berücksichtigen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Einkommensgrenzen auf einem niedrigeren Niveau festgelegt werden müssten, als in der bisherigen Debatte normalerweise geschätzt wird. Infolgedessen müssten die “ Bedürfnisbefriedigungslinie “ und die „Wohlstandslinie“ (sowie die Mindest- und Höchsteinkommensgrenzen) näher aneinanderrücken.

Offene Diskussionspunkte

Kapital- und Einkommensbegrenzungen könnten eine wichtige Rolle beim Übergang in Postwachstums-Gesellschaften spielen. Eine Reihe kritischer Fragen sollte dabei jedoch in Betracht gezogen werden:

Die Existenz aktiver und „interventionistischer“ Staaten und internationaler Organisationen scheint für die Einführung von Wohlstands- und / oder Einkommensbegrenzungen unabdingbar. Dies ist insofern ein Problem, als dass viele Degrowth-Befürworter/innen dazu neigen, den Staat als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung zu betrachten. Nichtsdestotrotz sind viele der konkreten Politikvorschläge, die von wachstumskritischen Wissenschaftler/innen vorgebracht werden, stark von einer staatlichen Beteiligung abhängig. Im Falle von Einkommens- und / oder Wohlstandsobergrenzen ist es schwer vorstellbar, wie Problemen wie Emigration und Kapitalflucht wirksam begegnet werden kann, ohne dass ein funktionierender Staatsapparat auf lokaler, nationaler und transnationaler Ebene existiert. In Europa könnte die EU eine entscheidende Koordinierungsrolle spielen. Natürlich würden wir es begrüßen, wenn einige der „progressiven“ politischen Parteien die Forderung der politischen Einkommens- und / oder Wohlstandsbegrenzungen bis zur nächsten Wahl des EU-Parlaments aufnehmen würden.

Eine weitere Frage ergibt sich daraus, dass Einkommensobergrenzen das Wirtschaftswachstum nicht per se verhindern. In der Tat sehen einige Befürworter/innen solcher Obergrenzen darin sogar eine Möglichkeit, das Wachstum anzuregen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erkennen, dass die Art der wirtschaftlichen Auswirkungen, die sich aus solchen Begrenzungen ergäben, vollständig von dem „Policy-Mix“ abhängen, zu dem sie gehören. Ein „Degrowth-Mix“ könnte beispielsweise die verschiedenen im ersten Absatz genannten ökologisch-sozialen Maßnahmen einschließen.

Zuletzt soll noch einmal die bereits erwähnte Frage thematisiert werden, wie ökologische Grenzen in der Debatte um Vermögens- und / oder Einkommensgrenzen angegangen werden können. Eine Möglichkeit, sich mit den ökologischen Grenzen innerhalb der Debatte um Wohlstands- und Einkommensgrenzen demokratisch zu befassen, besteht darin, das kodifizierte Wissen von Expert/innen und das experimentelle Wissen derjenigen zu kombinieren, deren Bedürfnisse Gegenstand der Debatte sind. Diskussionsforen und örtliche Bürger/innenforen zur Bedürfnisbefriedigung könnten soziale und ökologische Grenzen nicht nur für den Mindestkonsum, sondern auch für den maximalen Verbrauch diskutieren und definieren sowie Wege vorschlagen, diese in Geldbeträge für Einzelpersonen oder Haushalte als Grundlage für Besteuerung und / oder Obergrenzen umzusetzen.

 

[1] Oxfam (2015): Extreme carbon inequality, Oxfam Media Briefing, p. 4.

[2] Buch-Hansen, H. and Koch, M. (2019): Degrowth Through Income and Wealth Caps? Ecological Economics 160: 264-271. Auf Wunsch schicken wir gerne eine Kopie des Artikels zu.

[3] Pizzigati, S. (2018): The Case for a Maximum Wage, Cambridge: Polity.

[4] Concialdi, P. (2018): What does it Mean to be Rich? European Journal of Social Security, 20(1): 3–20.

[5] Koch, M., Buch-Hansen, H. and Fritz, M. (2017): Shifting Priorities in Degrowth Research: An Argument for the Centrality of Human Needs Ecological Economics 138: 74-81.

 

Hinweis: Dieser Artikel wurde in englischer Sprache auf dem Blog im Degrowth-Webportal des Konzeptwerk Neue Ökonomie erstveröffentlicht.

Max Koch ist Professor für Sozialpolitik an der Universität Lund. Er beschäftigt sich mit Fragen der Postwachstumsgesellschaft, politischen Ökonomie sowie Sozial- und Umweltpolitik. Frühere Bücher zum Thema: Capitalism and Climate Change. Theoretical Discussion, Historical Development and Policy Responses, London: Palgrave MacMillan, und Sustainability and the Political Economy of Welfare, London: Routledge (Mitherausgeber mit Oksana Mont). // Hubert Buch-Hansen is an Associate Professor at the Department of Organization, Copenhagen Business School. His research inter alia focuses on degrowth transitions from a political economy perspective.

2 Kommentare

  1. […] Die Aufwertung und gerechte Umverteilung von – unbezahlter und bezahlter – Care-Arbeit, verbunden mit einer Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit – bei niedrigeren und mittleren Einkommen bei vollem Lohnausgleich – stellt aus Wachstumswende-Perspektive einen gelungenen Umgang mit den Themen Arbeit und Sorge dar. Wenn bei weiterhin zu erwartenden Produktivitätsgewinnen zugleich weniger produziert werden soll, dann ist weniger Lohnarbeit der einzig sinnvolle Ausweg. Dass es sich bei Degrowth um ein soziales genauso wie um ein ökologisches Projekt handelt, zeigen Vorschläge wie die Verbindung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) mit einem Maximaleinkommen. […]

  2. Alfred Reimann sagt am 7. Juni 2019

    Warum einfach, wenn es auch umständlich geht.

    Eine simple Co2-Steuer und eine Rückverteilung pro Kopf als Umwelt-BGE ist wohl zu einfach?
    Keine zusätzlichen Bürokraten und damit Einkommensplätze, keine plitische Macht über Mitmenschen, schon schade?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.