Rezensionen

Die Gesellschaft muss zusammenrücken

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Suffizienz, besonders im Bauwesen, erfährt unverändert nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Wohnflächenverbräuche pro Person stiegen laut dem Umweltbundesamt zwischen 2000 und 2014 von 39,5m² auf 46,5m²- auch wenn sich verschiedene Personengruppen tapfer und unermüdlich an dem Thema abarbeiten: Umweltverbände und Wachstumskritiker/innen informieren über die Notwendigkeiten, haben Lösungsschlagworte parat und hoffen, dass aufgeklärte Bürger/innen die Umsetzung voranbringen. Es gibt theoretisch durchaus weitreichende Lösungskonzepte, die nachhaltigkeitsbewegte Planer/innen anbieten. Doch obwohl das Bauen von Tinyhouses, Clusterwohnungen oder Shared spaces durchdacht ist, nimmt der Markt diese Impulse bisher nur an seinen Rändern auf.

Andere Intentionen hat Daniel Fuhrhop. Erst mit seiner (von ihm so bezeichneten) Streitschrift und dem gleichnamigen und von mir immer gerne gelesenen Blog ‚Verbietet das Bauen’. Das hat ihn zu einem respektierten Vertreter einer radikalen Position auf vielen Podien in Deutschland gemacht. Denn seine Haltung ist klar und nachvollziehbar, aber eben auch etwas wunderlich in einer Gesellschaft, die ungebremst ihr Land mit Neubauten versiegelt.

Jetzt legt er ein neues Buch vor: „EINFACH ANDERS WOHNEN. Über 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte“.

Das klingt erst einmal wie ein Wandel vom Fundi zum Realo und überrascht. Nicht mehr Nichtbauen steht im Vordergrund, sondern es werden Vorschläge gemacht zum Weniger-schädlich-Bauen. Aber … warum nicht? Wenn man eine Kerze an zwei Seiten anzündet, brennt sie schneller. Denn die Stoßrichtung beider Bücher zielt letztendlich auf die inhaltlich miteinander verknüpften Phänomene: nicht suffizienter Flächenverbrauch, örtliche Wohnraumknappheit, steigende Wohnkosten und entsprechender Ressourcenverbrauch für Erstellung und Betrieb.

Während Fuhrhop in der Streitschrift Missstände aufdeckt, die in vielen Fällen nur regulativ behoben werden könnten, versucht der Autor mit den Raumwundergeschichten und –beispielen wie den Umbauten von Gerd Streng, uns, den Wohnflächenbenutzer/innen, Lust zu machen auf das Entschlacken und Verschlanken unserer gewachsenen Ansprüche und Gewohnheiten.

Ob man die Vorschläge und Beispiele als Appelle versteht oder als Chancen, das bleibt dem/der Leser/in überlassen. Es sind eben keine abstrakten und theoretischen Ideen, keine ideologischen Forderungen an die unverantwortlichen Konsument/innen, sondern liebevoll recherchierte Themenangebote. Positive Bilder, eine fröhliche Farbgebung, ein lebendig abwechslungsreiches Layout versuchen den Nutzen der vorgeschlagenen Maßnahmen zu vermitteln. Statt Zeigefinger oder Angst auszulösen, versucht Fuhrhop Lust zu machen auf die Raumdiät.

Interaktiv mit einem Fragebogen, ob man ein/e Entrümpler/in ist (für mich ergab der Fragebogen die Mittelklasse auf der Entrümpler/innen-Skala), mit innovativen Konzepten zum gemeinschaftlichen Wohnen, mit Planungen vom Einbreiter- (statt Ausbreiter-) Architekten Gerd Streng oder platzsparenden Möbeln, wie Betten, unter denen sich tagsüber ein Arbeitsplatz befindet und die man abends von der Decke herunterlässt.

Doch Fuhrhop bebildert und berichtet eben nicht nur über den (im Übrigen auch schon von Möbelhäusern vor einigen Jahren aufgegriffenen) Trend zu Raumsparmöbeln, sondern er erweitert das Thema über die vier Wände, in denen wir leben, hinaus.

Er regt an, zu prüfen, ob nicht ein Zusammenrücken in der eigenen Wohnung (meist mit kleinen Umbaumaßnahmen verbunden) möglich ist, berichtet über die flexibleren Raumnutzungsmöglichkeiten in innovativen Konzepten zum gemeinschaftlichen Wohnen und weitet seine Vorschläge in die Nachbarschaft aus. Wenn die häufig herrschende Anonymität von Wohnumfeldern aufgelöst wird, wenn eine Nachbarschaft gut vernetzt ist, dann kann ein Teil der ins Private verlagerten Konsumbedürfnisse reduziert werden. Man kann sich Rasenmäher teilen, Werkzeuge gegenseitig verleihen, Nichtgebrauchtes findet neue Nutzer/innen und die dadurch intensiveren sozialen Kontakte lassen einen am Ende sicherer, vertrauter, wohler und gemeinsamer in der nahen Umgebung fühlen. Nicht immer in Quadratmetern messbare, aber durchaus relevante Nachhaltigkeitsaspekte.

Mit dem Kapitel Häuser neu nutzen schließt er den Bogen zu seinem ersten Buch und bleibt sich ganz treu: Neubau vermeiden.

Nun wird vermutlich leider eine wichtige Reduktion von Wohnfläche nicht durch schillernde Baukonzepte oder unterhaltsame Geschichten in dem Maße erreicht werden, wie es notwendig ist. Da sind – absurderweise – die so immens gestiegenen Wohnkosten in den gefragten Ballungsräumen viel wirkmächtiger. Man wohnt wieder kleiner, weil größer nicht bezahlbar ist. Doch zusätzlich zu dieser flächenmäßigen Nachfragereduktion durch die Preissteigerungen werden gesetzgebende Beschränkungen erforderlich werden.

Aber solange die nicht beschlossen sind, helfen nur positive, Nutzen vermittelnde und anregende Beispielgeschichten. Die hat Fuhrhop geliefert und dabei weit in einer umfassenden Ganzheit der Themen gedacht.

 

Fuhrhop, Daniel. 2018. Einfach anders wohnen. 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte. München: oekom Verlag.

Dipl.-Ing. Architekt, MBA. Geschäftsführender Partner in werk.um architekten, Darmstadt. Abschluss des Architekturstudiums an der TU Darmstadt im Jahre 1992. Nach verschiedenen freiberuflichen Stationen 1995 Gründung von werk.um architekten, seitdem geschäftsführender Partner. 2010 Abschluss des Studiums ‚Sustainability Management‘ an der Leuphana Universität Lüneburg als MBA. Initiator und – mit der db deutschen bauzeitung sowie dem Wuppertal Institut – Veranstalter der ersten beiden Bau-Suffizienztagungen (2014 und 2015) in Deutschland. Rege Autoren- und Vortragstätigkeit.

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