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Das Gute Leben in der Stadt für Alle

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In der Stadtplanung und Raumentwicklung geht es vor allem um eines: Wirtschaftswachstum organisieren. Oder? Angesichts der multiplen Krise, in der sich Stadtgesellschaften befinden, wird es Zeit, Vorstellungen von vermeintlich ewigem Wachstum und unbegrenzten natürlichen Ressourcen zu hinterfragen, zu kritisieren, sich auf den Weg zu neuen Horizonten zu machen. Denn klar ist: Städtische Räume und Gesellschaften werden sich in den nächsten Jahren radikal verändern – die entscheidende Frage lautet aber: Wollen und können wir diesen städtischen Wandel aktiv gestalten?

Auf der Konferenz „Postwachstumsstadt. Perspektiven des sozial-ökologischen Wandels der Stadtgesellschaft“ (10. und 11. Mai 2019, Weimar) haben wir einige Konturen der Postwachstumsstadt skizziert, freigestellt, neu- und nachgezeichnet. Wir begreifen dabei Städte als Orte hohen Ressourcenverbrauchs – und gleichzeitig als Räume des Widerständigen und der Hoffnung. Im Zentrum der Diskussionen auf der Konferenz in Weimar standen dabei nicht nur städtische soziale Bewegungen und selbstorganisierte Räume sowie die Rolle städtischer Institutionen (Verwaltungsstruktur, Kommunalpolitik, Planungsdezernate) in der Transformation. Einen hohen Stellenwert nahm auch der Austausch über neue Narrative und Leitbilder ein, die auf die Realisierung des „Guten Lebens für Alle“ abzielen (I.L.A. Kollektiv 2019).

Konturen der solidarischen Postwachstumsstadt

Unter dem Begriff Postwachstumsstadt kann dreierlei gefasst werden: Erstens eine kritische Diagnose gegenwärtigen Stadtmachens. Diese Kritik speist sich aus der Analyse eines neoliberalisierenden Stadtregimes, das maßgeblich auf unternehmerischer Governance (beispielsweise Public-Private-Partnerships), Privatisierungsprozessen und interkommunalen Wettbewerbssituationen beruht (Mayer 2013: 155-168). Die Problemdiagnose stadtpolitischer Prozesse als ausgerichtet an der Generierung von Wirtschaftswachstum unter Konkurrenzdruck kann als „Wachstumsstadt“ konzeptualisiert werden: Der tief verankerte Imperativ des kapitalistischen Wirtschaftswachstums und der Kapitalakkumulation wird als „Destabilisator sozialer Verhältnisse und als Ursache von Krisen“ (Brand/Krams 2019) herausgestellt.

Zweitens kann mit dem Begriff der Einfluss stadträumlicher und -gesellschaftlicher Gegen-Entwürfe zur „Stadt als Wachstumsmaschine“ (Kirchberg 2017) analysiert und als Transformationsfeld begriffen werden. Hierunter werden allerdings nicht nur Handlungsspielräume städtischer sozialer Bewegungen und counter-hegemonic spaces subsummiert, auch wenn dies auf ein zentrales Momentum gegenwärtiger Politisierungen und Mobilisierungen abzielt (Purcell 2009; Miller/Nicholls 2013). Vielmehr fallen auch Anknüpfungspunkte an die Diskussionen um kommunale Suffizienz (Brischke et al. 2015), aktive Liegenschaftspolitik oder gleichwertige Lebensverhältnisse (vgl. Call for Papers zum Jungen Forum) in diese zweite Bedeutungsebene des Begriffs: Städtische Transformationspfade analysieren und -perspektiven entwerfen.

Drittens und letztens erlaubt der Begriff Postwachstumsstadt die Öffnung neuer Möglichkeitsräume und Horizonte für die Planungsdisziplinen. „Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“, konstatiert Fisher (2013) und stellt dabei auf die scheinbare Alternativlosigkeit des Wachstums- und (nachhaltige) Entwicklungsparadigmas ab. Besonders für die zukünftige Gestaltung städtischer Lebensräume erscheint im Kontext der Degrowth-Debatten sowohl eine Zuwendung zu Utopien im Bloch’schen Sinne als konkrete und reale Möglichkeiten (Bloch 1918) als auch die kollektive und kontinuierliche Arbeit an solidarischen Zukunftsentwürfen sinnvoll.

Gemeinsam auf dem Weg zu einem Manifest für das Gute Leben in der Stadt für Alle

Im Rahmen der Nachbereitung der Konferenz arbeiten wir nun mit diesem Poster (hier zum freien Download). Es soll zeigen, dass wir praktisch werden können: Durch Denken – Fühlen – Machen beschreiten wir Wege, die uns zur Postwachstumsstadt führen können. Lasst uns dort nicht aufhören, sondern weiterdenken und –diskutieren! Welche Bedeutung haben Wachstumsimperative für die Stadt- und Raumplanung? An welche Grenzen stößt die „Wachstumsstadt“ – und wofür kann das Konzept der „Postwachstumsstadt“ dann ganz konkret stehen? Welche Rolle nehmen wir als Stadtbewohnende und –schaffende, als Lernende und Lehrende, als Planende und Praktizierende in der sozial-ökologischen Transformation ein? Und welche könnten wir einnehmen?

 

Eine Weiterführung der Diskussion soll auch auf der nächsten internationalen Degrowth-Konferenz 2020 in Manchester unter dem Titel „Towards urban degrowth: Spatial planning and the future of cities“ stattfinden. Der Call for Contributions dazu findet sich hier.
Weiterdenken, weiterfühlen, weitermachen: http://postwachstumsstadt.de/

 

Referenzen

Bloch, Ernst (2018 [1918]): Geist der Utopie. Suhrkamp, München.

Brand, Ulrich & Krams, Matthias (2019): Zehn Jahre Degrowth: Potenziale und Hürden. Blog Postwachstum. Online abrufbar unter https://www.postwachstum.de/zehn-jahre-degrowth-potenziale-und-huerden-20190218 (letzter Zugriff 17.05.2019).

Brischke, L. A., Leuser, L., Duscha, M., Thomas, S., Thema, J., Spitzner, M., … & Beeh, M. (2016): Energiesuffizienz: Strategien und Instrumente für eine technische, systemische und kulturelle Transformation zur nachhaltigen Begrenzung des Energiebedarfs im Konsumfeld Bauen/Wohnen: Endbericht.

Fisher, Mark (2013): Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? VSA Verlag, Hamburg.

I.L.A.-Kollektiv (2019): Das Gute Leben für Alle. Wege in die solidarische Lebensweise. Oekom-Verlag, München.

Kirchberg, Volker (2017): Die Stadt als Wachstumsmaschine. 10 Minuten Soziologie. Vorlesungsreihe an der Leuphana Universität Lüneburg, transcript Verlag. Video abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=36VzXA2uRqY (letzter Zugriff 17.05.2019).

Mayer, Mayer (2013): Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt. sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung, 1(1), 155-168.

Miller, Byron & Nicholls, Walter (2013): Social movements in urban society: The city as a space of politicization. Urban Geography, 34(4), 452-473.

Purcell, Marc (2009): Resisting neoliberalization: communicative planning or counter-hegemonic movements?. Planning theory, 8(2), 140-165.

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