Standpunkte

Wenn Fluggesellschaften überleben wollen

Kommentare 1

In ihrem Kurzkommentar auf diesem Blog diskutiert Maike Gossen die Rolle von “suffizienzorientiertem Marketing” am Beispiel der aktuellen Werbekampagne “Flying responsibly” der Fluggesellschaft KLM. Potenzielle Kund*innen werden darin aufgefordert, sich einer “gemeinsamen Verantwortung” bewusst zu werden, und “verantwortungsvoll” zu fliegen oder sogar den einen oder anderen Flug durch eine Zugreise oder eine Telefonkonferenz zu ersetzen. Maike Gossen argumentiert, dass neben wirtschaftlichen Interessen hinter dieser Kampagne auch “eher altruistisch geprägte Gründe dieser Unternehmen” stünden und dass es KLM unter anderem darum ginge, die Zahl der Flüge zu reduzieren. Wenn das Werbevideo zu suffizientem Reiseverhalten beitrage, sei es daher begrüßenswert. Diese Einschätzung teile ich nicht.

Mit Greenwashing den notwendigen Rückbau vermeiden

Großunternehmen im kapitalistischen System sind keine moralischen Wesen mit “altruistischen” Motiven, sondern alleinig dem Überleben im Wettbewerb durch Profitsteigerung und Wachstum verpflichtet. Die raison d’être von KLM ist es, den Gewinn der (Anteils-)Eigner*innen zu steigern (wie das Unternehmen selbst klarstellt) und das Geschäftsmodell, das dieses Ziel erreichen soll, beinhaltet in seinem Kern die Zerstörung des Klimas. KLM wird nach eigener Aussage weiterhin das Fliegen promoten und stellt sich explizit gegen wirksame Maßnahmen zur Reduktion der Flugbewegungen, etwa eine effektive Besteuerung. Statt eine Reduzierung der Flüge und damit die schrittweise Selbstabschaffung verfolgt die Kampagne vielmehr das Ziel, effektive politische Maßnahmen wie einen Subventionsabbau, gerechte Besteuerung, Indlandsflugverbote oder Vielflieger*innenabgaben zu verhindern, indem suggeriert wird, man sei bereits Teil der Lösung. Ein fossiles Unternehmen kann jedoch niemals Klimaretter sein.

Rückzugsgefechte der fossilen Industrie

Die Märchen von “grünen” Treibstoffen und technologischen Innovationen, die stets in greifbarer Nähe scheinen, aber auch neokoloniale Kompensationsprogramme, sind mächtige Mittel im Kampf gegen echten Klimaschutz. Mit Erfolg: Vom Paris-Abkommen ist der Flugverkehr, wie auch die Schifffahrt, ausgenommen. In der zuständigen UN-Behörde ICAO (s. hier Infobox 1 auf S. 6, sowie Text S. 6-7), aber auch innerhalb Deutschlands, wie zuletzt bei der “Nationalen Luftfahrtkonferenz”, schreibt die Industrie sich ihre Ziele und Regeln selbst und verhindert dadurch die notwendige Begrenzung des Flugverkehrs. Dabei steht der Luft- und Raumfahrtindustrie, wenn das 1,5°-Ziel erreicht werden soll, der Rückbau bevor. Den wollen fossile Unternehmen logischerweise verhindern oder zumindest verzögern. Die neue Werbekampagne von KLM ist damit einer von vielen Schauplätzen fossiler Rückzugsgefechte, die weltweit in vollem Gange sind.

Der Mythos von der individuellen Verantwortung

KLMs Strategie der “suffizienzorientierten Kommunikation” ist besonders perfide, weil sie die Verantwortung für die Klimakrise und ihre Lösung auf die oder den Einzelne*n abschiebt. Verantwortung liege demnach in gleichem Maße bei jeder*m von uns. Als “bewusste Konsument*innen” hätten wir die meiste Macht und im Supermarkt gestalteten wir die Welt, nicht etwa auf der Straße, in der Grube oder in den Parlamenten. Denn am Markt seien alle gleichberechtigt (außer man hat nicht genug Geld) und Konzerne produzierten stets nur das, was wir nachfragen. Ein Konzern, der seinen enormen Profit auf Kosten der Zukunft der Menschheit verdient, wiederholt nun diese mächtige, neoliberale Erzählung, indem er “uns alle” zu “verantwortungsvollem Reisen” aufruft.

Dabei sind weltweit nur 100 Konzerne für 71% der Emissionen verantwortlich. Die Verantwortung bei den Konsument*innen zu verorten, ist für diese (fossilen) Unternehmen sehr gemütlich. Eine Verringerung ihrer Gewinnmargen oder gar eine Veränderung des Systems soll damit um jeden Preis verhindert werden. Tatsächlich lenkt der Aufruf zu bewusstem oder “nachhaltigem” Konsum Menschen von den radikalen – an die Wurzeln gehenden – politischen Veränderungen ab, die notwendig sind. Aufgeklärte und mutige Bürger*innen werden mit 1001 Klimatipps und schlechtem Gewissen beschäftigt und zu “bewussten Konsument*innen” degradiert, die zudem noch ob der Fülle und Widersprüchlichkeit der Anweisungen ständig scheitern und verzweifeln müssen: Immer noch nicht die Welt gerettet! Schon wieder versagt!

Dass darüber hinaus suggeriert wird, wir alle säßen “im selben Boot”, was die Klimakrise angeht, ist schlicht falsch. 80-90% der Menschen sind noch nie geflogen (aber häufig am stärksten von den Folgen betroffen) und auch in Deutschland sind wenige wohlhabende Vielflieger*innen für einen riesigen Anteil der Emissionen verantwortlich.

Klimagerechtigkeit ist politisch

Es spricht nichts dagegen, so wenig wie möglich auf Kosten anderer zu leben. Wo möglich, ist es gut, auf Auto, Fleisch und Flugzeug zu verzichten. Die Illusion eines individuellen Ausstiegs aus diesem ungerechten System ist aber genauso gefährlich, wie der Versuch, alleine im Supermarkt oder Reisebüro die Welt zu retten. Wir werden frustriert und geshamed während die privaten Milliardengewinne der Hauptverantwortlichen unangetastet bleiben. Schlimmer noch: ein Teil der Klimabewegung droht, entpolitisiert und damit ungefährlich für KLM & Co zu werden, wenn nur über individuelles Konsumverhalten gesprochen wird, wie KLM, aber auch die Flugschamdebatte, nahelegen. Für Veränderung braucht es Organisierung von unten, politischen Druck und ein Ende des Verständnisses für Regierungen, die meinen, man könne da leider nichts machen, wo „Wirtschaftsinteressen“ in Frage stehen. Denn zum Nicht-Handeln ist es zu spät. Entweder die fossile Industrie hat eine Zukunft – oder die Menschheit!

Von dieser Tatsache will KLM ablenken, indem es die Verantwortung abschiebt und sich zudem als wohlwollenden Verbündeten stilisiert. Doch viele Menschen haben keine Lust mehr, nur als Konsument*innen betrachtet zu werden, fühlen sich vom Greenwashing veräppelt, erkennen in den großen profitgetriebenen Fossilunternehmen die Verursacher der Klimakrise und verbünden sich. Wenn KLM mit ihrer absurden Kampagne dazu beiträgt, ist das in der Tat begrüßenswert.

 

Illustration: © Paola Reyes – Stay Grounded

Weitere Artikel zur aktuellen Debatte sind hier zu finden.

1 Kommentare

  1. Joachim sagt am 21. Oktober 2019

    Ganz genau so ist es!

    Wenn Leute einem Heuchelei vorwerfen, nur weil man nicht perfekt ist und „trotzdem“ auf eine Klimademo geht, dann ist das nicht nur ein billiges Ad-hominem-Argument.

    Ich kenne selbst eine umweltfreundliche Person, die diese Denkweise übernommen hat. Das ist einfach nur schrecklich. Will nicht auf Klimademos, weil die Leute dort auch Müll produzieren und nicht perfekte Klimavorbilder sind.

    Nach der Logik dieser „Kritiker“ muss man ihnen selbst Heuchelei vorwerfen, weil sie nur privat (wenn überhaupt) handeln, aber die andere Seite des Klimaschutzes völlig außer acht lasen: nämlich politischen Druck ausüben.

    Es ist eben nicht immer bequem, auf Demos zu gehen oder an Blockaden teilzunehmen. Ich gehe jeden Freitag zur FFF-Demo in Berlin. Auch wenn ich mal keinen Bock habe. Das kostet Zeit, Aufwand und ist oft mit finanziellen und persönlichen Risiken (im Falle von Blockaden usw.) verbunden. Dabei ist diese Form von Klimaaktivismus viel, viel effektiver als persönliches Handlen. Dutzende Millionen Menschen machen sich verdammt viele Gedanken, wie sie umweltfreundlicher leben können und stecken z.T. großen Aufwand da rein. Aber nur eine Minderheit von diesen Millionen geht für Umwelt- und Klimaschutz auf die Straße.

    Den Leuten muss endlich klar werden, dass Jahrzehnte an „Selbstverantwortung“ nichts gebracht hat. Auch weil nicht alle mitspielen. Das System muss verändert werden. Und das geht nur politisch. Jeder, der Müll trennt (wohl die Mehrheit der dt. Bevölkerung) sollte auf der Straße für Umwelt- und Klimaschutz demonstrieren!

    „Am Boden bleiben“ hat noch viel, viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Und zwar nicht nur auf Seiten wie dieser hier. Sondern auf Seiten, die von der Mitte der Gesellschaft gelesen werden (1 solchen Artikel habe ich bereits mal gelesen). Fliegen hat einen schlechten Ruf, aber die Wirklichkeit ist noch viel krasser. Es ist ein Erfolg der Flugindustrie-PR und des Greenwashings, dass nicht extrem viele Menschen gegen diese klimazerstörerische Form der Mobilität protestieren.

    Ich war jedenfalls tief enttäuscht, dass Extinction Rebellion in der „Rebellion Week“ keine Aktion an einem Flughafen gemacht hat. Obwohl alle Medien fast schon danach gebettelt haben, indem sie danach fragten.

    Bei der Automobilindustrie weiß fast jeder, wie klimaschädlich sie ist. Zehntausende haben bei der IAA protestiert. Die Flugindustrie verdient exakt dieselbe Aufmerksamkeit und denselben Protest! Denn was da so alles abläuft, ist in vielen Fällen noch krasser.

    Zum letzten Absatz aber etwas Kritik: dass Konsumentinnen sich verbünden, reicht noch nicht. „Am Boden bleiben“ sollte auf allen Kanälen Werbung für die Aktionen machen und sich gut mit allen anderen Klimabewegungen vernetzen, auch mit FFF, XR, usw. FFF zum Beispiel entgeht praktisch keine Aktion, weil sie überall ihre „Boten“ haben, die bei Treffen anderer Gruppen oft dabei sind (kommt mir jedenfalls so vor). Jede Gruppe sollte solche Boten haben, damit geplante Aktionen unter den Klimabewegungen besser verbreitet werden können, damit wirklich jede/r mitmacht, wer Interesse hat!

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