Neues aus der Wissenschaft

Von der Energiekrise zur Energiewende

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Wie Energiegenossenschaften das „Energiespar-Momentum“ auf dem Pfad in die Postwachstumsgesellschaft nutzen können. 

 

Mit Sorge sah man dem aktuellen Winter entgegen, man erwartete hohe Energiepreise, vielleicht sogar Engpässe in der Energieversorgung. Der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine hat deutlich vor Augen geführt, wie wichtig unabhängige und stabile Energieinfrastrukturen sind. Nun hat die Energiewende plötzlich Hochkonjunktur: Nachdem der Ausbau erneuerbarer Energiequellen jahrelang nur schleppend voranging, wird nun ein richtiger Boom in Solar-, Wind- und Wasserkraft erwartet (IEA, 2022). Auch das Energiesparen erfreut sich neuerdings Beliebtheit: Um die Versorgung in der Krise decken zu können, sollen laut Bundesregierung Unternehmen weniger Bürofläche beheizen, im öffentlichen Raum werden Denkmäler weniger lang belichtet, und auch die Bürger*innen sollen ihren Beitrag leisten (Bundesregierung, 2022). Kürzer duschen, die Heizung herunterdrehen, Energiesparen liegt voll im Trend. 

Was im Umwelt- und Klimaschutz längst gefordert wird, konnte die aktuelle Energiekrise nun endlich ins Rollen bringen: die Reduktion des (fossilen) Energieverbrauchs. Technologischer Fortschritt – Effizienz – und alternative Energieträger – Konsistenz – allein werden es allerdings nicht richten: insbesondere die Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz muss gefördert werden. Energiesuffizienz wird nicht nur als Schlüssel zur Energiewende, sondern auch zur Energiesicherheit betrachtet (Best et al., 2022). Doch wie überzeugt man die Menschen in Deutschland vom Energiesparen und der Verbrauchsreduktion? 

Energiegenossenschaften als Multiplikatoren 

Energiegenossenschaften gehören zu den wichtigsten Akteuren, wenn es darum geht, die Energiewende sozial gerecht umzusetzen. Im BMWK-geförderten Projekt „Energiegenossenschaften als Multiplikatoren für Energiesuffizienz“ wurde daher in einer Studie untersucht, wie Energiegenossenschaften neben dem Umstieg auf Erneuerbare auch die Energiesuffizienz voranbringen können. Für die Förderung von Suffizienz bei ihren Mitgliedern und Kund*innen sind sie aus den folgenden Gründen besonders geeignet:  

1. Genossenschaften können authentisch für Suffizienz und für Postwachstum einstehen. 

Für wirksame Kommunikation ist eine glaubwürdige Quelle entscheidend. Suffizienz knüpft an Kernthemen der Energiegenossenschaften an: Die Idee, eine dezentrale, demokratisierte und dekarbonisierte Versorgung mit erneuerbaren Energien für möglichst viele Menschen ist kompatibel mit der Suffizienzstrategie. Somit können die Genossenschaften Suffizienz und Postwachstum glaubhafter vertreten als etwa profitorientierte Energieunternehmen. 

2. Mitglieder der Energiegenossenschaften haben oft bereits ein hohes Umweltbewusstsein. 

An dieses Bewusstsein können Kommunikationsmaßnahmen anknüpfen, um die eigene Verbrauchsreduktion der Mitglieder, aber auch ihr Engagement und ihre Partizipation bei Suffizienzmaßnahmen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene zu fördern. 

3. In Gemeinschaft ist der Wandel zur Suffizienz einfacher. 

Gemeinschaftliche Strukturen begünstigen langfristige Verhaltensänderungen durch soziale Unterstützung und gemeinsame Normen. Wenn Mitglieder erleben, dass in ihrer Energiegenossenschaft ein suffizientes Leben zur Norm wird, erleichtert es beispielsweise die Konsumreduktion. Gleichzeitig bietet die Gemeinschaft Unterstützung durch sozialen Austausch zu dem Thema. 

Wie (nicht nur) Energiegenossenschaften wirksam Suffizienz fördern 

In der Studie wurde zudem betrachtet, inwieweit Energiegenossenschaften in ihrer Kommunikation bereits Suffizienz thematisieren. Eine Analyse von über 500 Webseiten von Energiegenossenschaften in Deutschland zeigte, dass Suffizienz bislang nur von sehr wenigen Energiegenossenschaften konkret benannt wurde, das Konzept wurde jedoch von etwa jeder sechsten Energiegenossenschaft aufgegriffen. Dies geschah beispielsweise in der Form von Energiespartipps oder Beiträgen zu Energieberatung, E-Car-Sharing oder Repaircafés sowie Aufrufen zu Klimastreiks. 

Anhand einer systematischen Literaturanalyse wurden in der Studie zudem Handlungsanleitungen entwickelt, wie Energiegenossenschaften und andere Organisationen, welche die Energiewende voranbringen möchten, Suffizienz in Haushalten fördern können. Dabei wird vor allem auf die Wahl des Suffizienzbereichs, die Art der Kampagne oder Intervention, die Zielgruppe, das Kommunikationsformat und die Besonderheiten von Energiegenossenschaften als Sender eingegangen.  

Den Trend zum Energiesparen nutzen und Suffizienz gesellschaftlich verankern 

Studien zeigen, dass Menschen in sogenannten „windows of opportunity“ – also günstigen Zeitfenstern – besonders offen dafür sind, sich aus Routinen zu lösen und neues Verhalten zu erlernen (u.a. Jaeger-Erben et al., 2012). So kann beispielsweise ein Umzug oder Berufswechsel ein Gelegenheitsfenster sein, um vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen, oder die Familiengründung kann eine Motivation sein, sich nachhaltiger und gesünder zu ernähren und somit auch ein Vorbild für die Kinder zu sein.  

Auch die Energiekrise kann als ein solches Gelegenheitsfenster fungieren. Dieses Zeitfenster gilt es im Rahmen der Energiewende zu nutzen. Energie zu sparen sollte nicht nur als momentane Notwendigkeit gesehen, sondern dauerhaft politisch und gesellschaftlich verankert werden.  

Acht Energiegenossenschaften organisierten daher gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen am IÖW im Januar 2023 die Aktionswoche „Energiewende plus“ für ihre Mitglieder. Fast 300 Mitglieder nahmen daran teil. In der Woche bekamen die Teilnehmer*innen nicht nur Hilfestellungen, um ihren eigenen Verbrauch zu senken, sondern auch zum gemeinschaftlichen Engagement für eine suffiziente Gesellschaft. Durch ihr Engagement können sich Menschen dafür einsetzen, dass sich Rahmenbedingungen in Politik und Wirtschaft so verändern, dass ein suffizientes Leben für alle einfacher wird. Erste Ergebnisse zeigen: Die Energiegenossenschaften schätzten die Aktionswoche als eine wertvolle Möglichkeit, vermehrt mit ihren Mitgliedern in Austausch zu kommen. Die Mitglieder wiederum nahmen den Einsatz der Genossenschaften für Suffizienz sehr positiv auf. 

Als Vorreiter tragen Energiegenossenschaften bereits jetzt zur Demokratisierung, Dezentralisierung und Dekarbonisierung der Energieversorgung bei. Ihre gemeinschaftlichen und partizipativen Strukturen bieten jedoch darüber hinaus das Potential, dass sozial und ökologisch nachhaltige Werte der Suffizienz gelebt und aktiv gefördert werden. So kann der aktuelle Diskurs rund ums Energiesparen letztlich auch genutzt werden, um zu einer Postwachstumsgesellschaft beizutragen. Einer Gesellschaft, in der suffiziente Lebensstile der gesellschaftliche Standard sind. 

 

Weitere Infos zum Projekt: https://www.ioew.de/projekt/energiegenossenschaften_als_multiplikatorinnen_fuer_energiesuffizienz 

 

Literatur 

Best, B.; Bierwirth, A.; Bonhage, A.; Bradke, H.; Breil, K.; Brischke, L.-A.; Deffner, J.; Dütschke, E.; Ehmler, H.; Eichhammer, W.; Fischedick, M.; Fischer, C.; Fuchs, D.; Gensch, C.-O.; Götz, K.; Gran, C.; Grießhammer, R.; Heiland, S.; Hennicke, P.; … Zschiesche, M. (2022). Energiesparen als Schlüssel zur Energiesicherheit – Suffizienz als Strategie. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.6419202 

Bundesregierung (2022). Energiesparen: Jeder Beitrag zählt. Unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/bmwk-kampagne-energiewechsel-2050744, zuletzt abgerufen am 22.02.2023. 

International Energy Agency (IEA) (2022). Renewables 2022, IEA, Paris. Unter: https://www.iea.org/reports/renewables-2022, zuletzt abgerufen am 22.02.2023 

Schäfer, M., Jaeger-Erben, M., & Bamberg, S. (2012). Life events as windows of opportunity for changing towards sustainable consumption patterns? Results from an intervention study. Journal of Consumer Policy, 35, 65-84. 

Vivian Frick hat Sozialpsychologie mit Nebenfach Politikwissenschaft an der Universität Zürich studiert. Danach arbeitete sie zunächst am Institut für Nachhaltige Entwicklung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zur Förderung suffizienten Energieverhaltens. Derzeit ist sie am IÖW als wissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt.

Julia Hauser hat Psychologie studiert und war ehemals Praktikantin am IÖW im Themenfeld Nachhaltiger Konsum.

Hannah Schnee hat Geographische Wissenschaften an der FU Berlin studiert und ist seit Dezember 2021 studentische Mitarbeiterin am IÖW im Forschungsfeld „Unternehmen, Wertschöpfungsketten und Konsum“. Dort unterstützt sie Projekte zur Erhebung von Umweltbewusstsein und zur Suffizienzförderung durch Energiegenossenschaften.

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