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Zusammenhang von Wachstumszwang und Autoritarismus

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Seit Ende des Zweiten Weltkrieges fand in der westlichen Welt ein enormes ökonomisches Wachstum statt. Der Wachstumszwang hat zu einem Anstieg des Konsums und der Produktion von Waren und Dienstleistungen geführt, was wiederum zu einer höheren Belastung der Umwelt und Ressourcenverknappung geführt hat.  

Bereits in den 1950er Jahren hat Erich Fromm soziologische Studien zu den psychoanalytischen Bedingungen des Kapitalismus geforscht, und insbesondere den „autoritären Charakter“ beschrieben.  

In diesem Artikel werde ich mich näher mit der Beziehung zwischen Wirtschaftswachstum und autoritärem Charakter befassen und untersuchen, wie die Postwachstumsökonomie helfen kann, unsere Gesellschaften zu transformieren. 

Erich Fromm spricht von einer pathologischen Neigung des modernen Menschen, seine Selbstverantwortung abzugeben und dem Bedürfnis, sein Leben durch andere leben zu lassen. Der autoritäre Charakter ist laut Erich Fromm ein sadistisch-masochistischer Charaktertypus. Er neigt dazu, andere Lebewesen zu beherrschen und diejenigen zu bewundern, die stärker sind als er selbst. Das „Buckeln nach oben und Treten nach unten“ ist eine typische Eigenschaft des autoritären Charakters. Diese Eigenschaft zeigt sich oft in abwertenden Äußerungen gegenüber Arbeitslosen und Geflüchteten, während reiche Steuerhinterzieher oder Bankenrettungspakete nicht kritisiert werden.  

Dieser Charaktertypus wird durch Faktoren begünstigt, die die Ohnmacht des Menschen, seine Unfähigkeit zu handeln und kritisch zu denken, verstärken. Der moderne Kapitalismus beruht auf Leistungsdruck und dem ständigen Streben nach mehr. Die kapitalistische Wirtschaftsweise ist zudem hierarchisch gegliedert – es gibt Vorstände, Direktoren und einfache Mitarbeitende. Genau dieser Mechanismus begünstigt die Entstehung der autoritären Charakterstruktur. Ein einfaches Beispiel ist der Radfahrer, der Kolleg*innen beim Vorgesetzten anschwärzt und dadurch zugleich seine Bewunderung für den Höherstehenden ausdrückt (vgl. Fromm 2005, S. 76ff.).  

Die hemmungslose Gier nach immer mehr Konsum ist Folge und Symptom zugleich: In einer Welt, in der Konsum als die ultimative Form der Selbstverwirklichung gepredigt wird, sind viele Menschen bereit, Werte und Ethik zu opfern, um das neueste Gadget, das schicke Kleidungsstück oder das teure Auto zu besitzen.  

Ganz wie von Fromm beschrieben, haben heute viele Menschen vergessen, was es bedeutet, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und sich selbst zu verwirklichen. Stattdessen sind sie bereit, ihr Glück in den Händen von Werbeagenturen zu legen, die sie dazu verleiten, immer mehr zu konsumieren.  

Herbert Renz-Polster, ein Kinderarzt und Autor, bestätigt diese Theorie. Er argumentiert, dass die autoritäre Persönlichkeit durch Liebesentzug und eine strenge, nicht-responsive Erziehung und Gewalt in der Kindheit entsteht. Er stellt in seinem Werk fest, dass Donald Trump überall dort hohe Zustimmungswerte erreichte, wo relativ viele Erwachsene Gewalt als Erziehungsmittel erlebten. In Bundesstaaten hingegen, wo Gewalt gegen Kinder verpönt ist und eher selten Anwendung findet, fand Trump wenig Anhänger*innenschaft (vgl. Renz-Polster 2019, S. 64ff.).  

Renz-Polster weist darauf hin, dass die Art und Weise, wie Kinder erzogen werden, eine enorme Auswirkung auf ihre spätere Persönlichkeitsentwicklung hat. Eine Erziehung, die auf Liebe, Respekt und Empathie basiert, kann dazu beitragen, die Entwicklung autoritärer Charakterzüge zu verhindern. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft erkennen, wie unsere Erziehungsmethoden unsere Kinder beeinflussen und wie wir dabei sicherstellen können, dass sie in einer Umgebung aufwachsen, die sie unterstützt und fördert, ohne sie zu unterdrücken oder zu traumatisieren. 

Insgesamt zeigt die Diskussion über den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstumszwang, Postwachstumsökonomie und dem Konzept des autoritären Charakters, wie tiefgreifend unsere Gesellschaften von psychosozialen und psychohistorischen Bedingungen beeinflusst werden. Die Ideologie des unendlichen Wirtschaftswachstums hat nicht nur negative Auswirkungen auf unsere Umwelt, sondern beeinflusst auch unsere Persönlichkeitsentwicklung und unser Sozialverhalten. Die Postwachstumsökonomie bietet eine Alternative, die auf Nachhaltigkeit, Gemeinwohl und sozialer Gerechtigkeit basiert.   

Autoritäre Einstellungen gedeihen in kapitalistischen Verwertungslogiken, aber umgekehrt können Individuen ebenfalls den Übergang zur Postwachstumsökonomie erschweren. Menschen mit autoritärem Charakter sind oftmals skeptisch gegenüber Veränderungen und fürchten den Verlust von Macht und Kontrolle. Sie tendieren dazu, Kritik an denen zu üben, die gegen das bestehende System sind, und fürchten um ihre eigene Position und Macht (vgl. Fromm, S. 28ff.). 

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass autoritäre Einstellungen nicht unveränderlich sind. Durch Bildung, Reflexion und Dialog können Menschen lernen, ihre Denkmuster zu hinterfragen und sich für neue Ideen und Ansätze zu öffnen. Der Übergang zur Postwachstumsökonomie ist somit nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein psychologisches und soziologisches Problem, das tief in unserem Denken und Verhalten verankert ist. Wenn wir jedoch bereit sind, unsere Denkweise zu hinterfragen und uns für neue Ideen und Ansätze zu öffnen, können wir den Übergang zur Postwachstumsökonomie erfolgreich bewältigen und eine nachhaltige und gerechte Gesellschaft schaffen. 

Die Konzepte der Postwachstumsökonomie wirken als frische Brise, die uns von dem permanenten Wettbewerbsdruck befreit. Unter den vielen Konzepten stehe ich einer postkapitalistischen Konzeption am nächsten, wie ich es in meinem Buch „Die partizipative Marktwirtschaft“ vorstelle.  

Die Hinwendung zu Gemeinwohl, Zeitwohlstand und materieller Sicherheit ohne suchtartigen Konsum bietet eine Alternative zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem, das auf einem endlosen Wachstum basiert. Indem wir uns von einem reinen Wachstumsdenken lösen und uns auf eine nachhaltigere, sozialere und gerechtere Wirtschaftsordnung konzentrieren, können wir autoritäre Tendenzen entgegenwirken und eine bessere Zukunft für uns alle schaffen, die von Kooperation, Frieden und Gerechtigkeit geprägt ist. 

 

Quellen 

  • Felber, Christian (2018): Gemeinwohlökonomie. Komplett aktualisierte und erweiterte Ausgabe. München: Piper. 
  • Fromm, Erich (2005): Haben oder Sein: die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. München: Dtv. 
  • Mayer, Jens (2020). Die partizipative Marktwirtschaft. Hamburg: Tredition. 
  • Miller, Alice (1983): Am Anfang war Erziehung. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 
  • Renz-Polster, Herbert (2019): Erziehung prägt Gesinnung: wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte – und wie wir ihn aufhalten können. München: Kösel. 

Jens Mayer (*1988) lebt in Ingolstadt. Er studierte von 2009 bis 2012 Politik und Gesellschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und arbeitet derzeit als Betreuer in einer Unterkunft für Geflüchtete. Politisch engagiert er sich für Klimagerechtigkeit und setzt sich für ein Grundeinkommen ein. In seiner Freizeit unternimmt er gern etwas mit Freunden und in der Natur. Die Partizipatorische Marktwirtschaft ist sein erstes Buch. Jens Mayer ist erreichbar unter kontakt@hausarbeiten-lektorat.de.

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