Rezension: Jana Flemming, Industrielle Naturverhältnisse: Politisch-kulturelle Orientierungen gewerkschaftlicher Akteure in sozial-ökologischen Transformationsprozessen
Die Rolle von Gewerkschaften in der sozial-ökologischen Transformation und der sich zuspitzenden Klimakrise ist politisch und akademisch so relevant wie umstritten. In Industrielle Naturverhältnisse: Politisch-kulturelle Orientierungen gewerkschaftlicher Akteure in sozial-ökologischen Transformationsprozessen geht Jana Flemming diesem Themenkomplex aus kultursoziologischer Perspektive nach. Sie untersucht am Beispiel der IG Metall „in welchem praktischen Verhältnis Gewerkschafter_innen zu einer Produktions- und Lebensweise unter sozial-ökologischen Gesichtspunkten stehen“ (Flemming, 2022, S.16). Die gewonnenen Einsichten sollen dazu beitragen, Potentiale für gesamtgesellschaftlich tragfähige Transformationsprozesse zu eruieren.
Der theoretische Teil des Buchs ist besonders für Leser*innen interessant, die eine Übersicht über den Forschungsstand im Feld Arbeit und Ökologie suchen, bietet aber auch für mit der Materie vertraute Leser*innen neue Blickwinkel. Die ersten beiden Kapitel führen in die Thematik ein, erläutern die Zielsetzungen des Projekts und verorten sie in der kritischen Gesellschaftsforschung. Kapitel drei fasst den Forschungsstand zusammen und führt analytische Schlüsselbegriffe, z.B. Produktions- und Lebensweise, ein. Die theoretischen Grundlagen der Forschung werden in Kapitel vier bis sechs vertieft behandelt und miteinander verknüpft. Ab Kapitel 7 stellt Flemming Methodologie und Ergebnisse ihrer empirischen Analyse vor, die politisch-kulturelle Orientierungen gewerkschaftlicher Akteure im sozial-ökologischen Feld herausarbeitet (Kapitel 8) und in den gewerkschaftlichen Transformationsdiskurs einordnet (Kapitel 9). Auf Basis dessen entwickelt Flemming in Kapitel 10 Überlegungen zu den spezifischen politisch-kulturellen Verordnungen der Gewerkschaften und institutionellen Logiken in Bezug auf ökologische Fragen. Sie setzt die in der Klimagerechtigkeitsbewegung prominente Forderung nach dem guten Leben für alle mit gewerkschaftlichen Kernforderungen und -aufgaben in Beziehung. Im abschließenden Kapitel entwickelt Flemming Empfehlungen für gewerkschaftliche Politiken, die stärker an die Realitäten der Industriearbeiter/innen anknüpfen.
Flemmings Forschungsergebnisse sind essenziell, um die komplexe Beziehung zwischen Gewerkschaften und ökologischen Fragen besser zu durchdringen. Jedoch ist der theoretisch dichte und voraussetzungsvoll geschriebene Band eher für Student*innen und Forscher*innen geeignet. Um dem postulierten gesellschaftspolitischen Anspruch der Arbeit Rechnung zu tragen wäre eine populärwissenschaftliche, zielgruppengerechte Aufarbeitung begrüßenswert. Zudem stößt die Arbeit methodologisch bedingt an Grenzen, wenn etwa auf S. 225 aus den Gesprächen mit Gewerkschafter*innen Rückschlüsse auf die Einstellungen von Industriearbeiter*innen und „working class environmentalism“ geschlossen werden. Hier hätte eine ausführlichere Bezugnahme auf Forschungsarbeiten, deren Untersuchungen in Betrieben oder im Dialog mit Industriearbeiter*innen durchgeführt wurden, erlaubt, die Wahrnehmung der Gewerkschafter*innen kritisch zu kontextualisieren, was besonders für die Erarbeitung politischer Strategien in Transformationsprozessen relevant ist. Insgesamt leistet Flemming in ihrem Buch insbesondere durch die Verknüpfung von Forschungsergebnissen und gesellschaftspolitischen Überlegungen einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte.