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Transformieren wir die Wissenschaft der Transformation?!

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Eine solidarische Kritik der Jenaer Postwachstumskonferenz*

Die Abschlusskonferenz des Postwachstumskollegs Jena und die Regionalkonferenz der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zeichnete sich, wie schon in verschiedenen Beiträgen geteilt, durch ein vielfältiges Angebot zu Transformation und den Zukünften moderner Gesellschaften aus. Das beeindruckende Programm deckte nicht nur breite Themenspektren zur Great Transformation ab. Die Gleichzeitigkeit und der Umfang der Panels, Diskussionen und Buchvorstellungen passte sich perfekt in gegenwärtige Beschleunigungs- und Wettbewerbslogiken ein.

Als Vertreter*innen des I.L.A. Kollektivs führten wir den Workshop zu „Konturen der solidarischen Lebensweise – Potentiale des Konzepts der Lebens- und Produktionsweise für Postwachstumsdebatten“ durch. Der Fokus unseres Workshops, den wir methodisch als interaktiven Workshop gestalteten und damit wohl ein eher marginales Format auf der Konferenz bedienten, lag auf der Auseinandersetzung mit gegenwärtiger wissenschaftlicher Praxis und ihrer Verwobenheit mit der imperialen Lebens- und Produktionsweise (Brand/Wissen 2017; I.L.A. Kollektiv 2017).

Die Frage, die uns umtrieb und immer noch umtreibt, ist wie hegemoniale Wissenschaftsverständnisse und -praktiken dazu beitragen, die imperiale Lebens- und Produktionsweise zu reproduzieren. In der Kürze der Zeit arbeiteten wir mit den Teilnehmer*innen des Workshops Aspekte wie Expert*innenstatus von Wissenschaftler*innen, Dominanz westlicher Wissens- und Vermittlungsformen, Mobilität in Verbindung mit Konferenzen (akademisches Flugverhalten), prekäre und unsichere Arbeitsverhältnisse im Mittelbau (die oft an Laufzeiten von Drittmitteln geknüpft sind, wie auch im Fall des Postwachstumskollegs), Zugangshürden zu Universitäten und zu Mitteln für Forschungsprojekte (bspw. Teilnahmebeitrag der Konferenz), Umgang mit Sorgetätigkeiten, Normalvorstellungen bezüglich Konkurrenz und Leistungsdruck, dominantes Redeverhalten und vieles mehr heraus.

Allein an diesen Schlagwörtern wird deutlich, wie der hegemoniale Wissenschaftsbetrieb mit Logiken der Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft und Natur, Exklusivität und Intensivierung im Sinne einer globalen Ausbreitung dieser hegemonialen Wissenschaft und der Auslagerung von Kosten in Raum und Zeit verknüpft ist. Der wissenschaftliche Alltag, Wissen und Wünsche (mentale Infrastrukturen), physisch-materielle Infrastrukturen und institutionelle Zusammenhänge im Kontext Wissenschaft stabilisieren und reproduzieren diese Charakteristika.

Eine Reflexion dieser eigenen Verwobenheit von hegemonialer Wissenschaft mit der Hervorbringung bestehender Krisen und Fragen zur Transformation fanden wir auf der Konferenz erstaunlich wenig präsent. Ein schneller Snack in der dreißigminütigen Mittagspause, um anschließend wieder produktiv zu sein: Auch Ernährung war nur ein Randthema. Eine KüFa (Küche für alle/Volxküche) wie sie in zahlreichen bewegungsnahen Kontexten praktiziert wird, hätte dem Reden über Transformation eine erlebbare Dimension hinzugefügt – denn ja, Reproduktion heißt auch essen, sogar für Wissenschaftler*innen. Auch zum Beispiel die Kinderbetreuung hätte es verdient, sichtbarer zu sein. Das Sichtbarmachen von Sorgetätigkeiten und die Integration dieser in den Konferenzalltag wäre eine angemessene und notwendige Postwachstumspraktik gewesen und eine wichtige Ergänzung zu den zahlreichen theoretischen Debatten um Care, Feminismus und Arbeit.

Das Praktizieren von Alternativen aus den Kontexten der Postwachstumsbewegung erschöpft sich nicht darin, Sorgetätigkeiten sichtbar zu machen. Alternative, transformative Praktiken aus dem Wissenschaftsbetrieb hätten einen anderen Raum verdient gehabt – auch jenseits des Festivalprogramms zur Konferenz. Gerade weil die Frage nach dem „Wie?“ der Transformation auf der Konferenz immer wieder im Zentrum der Debatten stand. Das fängt dabei an, zum Beispiel Redeverhalten und -zeiten zu hinterfragen und durch entsprechende Podiumsbesetzung, Methoden und Moderation zu verändern. Es bedeutet aber auch grundsätzlicher neu zu denken, wer wann welches Wissen schafft.

Wir sagen hiermit nicht, dass die solidarischen Alternativen für Wissenschaft schon heute auf der Hand liegen. Auch im I.L.A. Kollektiv stehen wir hier am Anfang (I.L.A. Kollektiv 2019). Vieles von dem, was wir hier kritisch anmerken, war auf der Konferenz spürbar. Wir sind dankbar dafür, dass sich Menschen im Rahmen der Konferenz für alternative Praktiken und Denkweisen eingesetzt haben und für die Gespräche in diesem Sinne in den Veranstaltungen und am Rande der Konferenz. Nicht zuletzt hat uns der Workshop mit den Teilnehmer*innen in Jena, ihre Kritik und ihre Ideen für einen anderen wissenschaftlichen Alltag, Mut gemacht für das Weiterdenken an transformativen Wissenschaften, die sich selbst nicht aus den Augen verlieren.

Allerdings möchten wir sagen (und das klingt im Sinne des Postwachstumsgedanken vielleicht ironisch): Gerne mehr davon! Zum Beispiel mehr Sichtbarkeit von Sorgetätigkeiten, mehr Beiträge von Sprecher*innen marginalisierter Gruppen, mehr Raum für Reflektion und Kritik. In der Überwindung der eigenen imperialen Lebensweise geht es nicht weiter ohne die Frage nach dem „Wie?“. Dabei sollte jedoch auch die Selbstverortung und -reflexion „der“ Wissenschaft und derer, die Wissenschaft machen, einen angemessenen Platz bekommen – auf der Konferenz und in der Wissenschaftspraxis. Sozial- und Geisteswissenschaften sollten wir als weltschaffende Praktiken verstehen – wir sind involviert, also lasst es uns auch sein.

 

* Wie jeder andere Text kann auch dieser nicht unser alleiniges Werk sein: Der Artikel beruht auf Diskussionen während der Konferenz sowohl mit den Teilnehmenden des genannten I.L.A.-Workshops als auch vielen anderen Konferenzteilnehmenden. Diesen Menschen danken wir genauso wie dem I.L.A. Kollektiv, mit dem wir Themen und Methoden unserer Bildungsarbeit ausgearbeitet haben.

 

Literatur

Brand, Ulrich; Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus. München: oekom verlag.

I.L.A. Kollektiv (2017): Auf Kosten Anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert. München: oekom verlag.

I.L.A. Kollektiv (2019): Das Gute Leben für Alle. Wege in die solidarische Lebensweise. München: oekom verlag.

 

Illustration: Sarah Katharina Heuzeroth

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