Suffizienzpolitik, im Sinne einer Politik des „Weniger“, begibt sich auf ein noch selten bestelltes, eher gemiedenes Feld. Während Effizienz und Konsistenz breite Zustimmung finden, weil sie Verbesserungen ohne Verzicht und sogar Wirtschaftswachstum versprechen, begegnet die Suffizienz deutlicher Reserve.
Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Wuppertal Spezial, das Suffizienz ins Zentrum stellt und in dem viele Beispiele vorgestellt werden, in denen sich diese als politische Praxis verwirklichen lässt. Die bearbeiteten 30 Politiken sind dabei keine erschöpfende Aufstellung. Es sind Beispiele, Stellvertreter, ein Strauß von Möglichkeiten sehr unterschiedlicher Reichweite.
Suffiziente Ernährung
Das gegenwärtige System der intensiven, weitgehend auf der Basis fossiler Energien betriebenen Landwirtschaft mit ihren zunehmend industriellen Agrarbetrieben ist nicht zukunftsfähig. Es stößt schon heute an seine Grenzen und verursacht schwere Schäden. Die Fruchtbarkeit der Böden schwindet, die Wasserreserven schrumpfen, ebenso Mineralöl und Düngerrohstoffe, Monokulturen gefährden die Sicherheit der Ernten, die industrielle Methode der Landbewirtschaftung trägt massiv zur Klimabelastung bei, während der Klimawandel seinerseits zunehmend die Ernten bedroht. Dass Fleisch zu einem billigen Nahrungsmittel geworden ist und bei der Mehrheit der Bevölkerung in den Industrieländern auf dem täglichen Speisezettel steht, hängt unmittelbar mit der Weise zusammen, welche ökologischen Auswirkungen unsere Ernährungsgewohnheiten haben und auch wie Tiere gehalten, gefüttert und geschlachtet werden.
Damit haben die Art und Weise unserer Ernährung und Anbaumethoden einen unmittelbaren Bezug zur Suffizienz. Einmal darin, dass der Verderb von Lebensmitteln in Produktion, Handel und Haushalten Energie und Ressourcen vergeudet und darüber hinaus die weltweite Ernährungsgrundlage massiv schädigt.
No Waste!
Hier ist eine Mischung aus politischen Vorschriften, Aufklärung, Anregung und Förderung gefragt: so auch bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Da der Kampf gegen den Lebensmittelverderb eine der Grundstrategien im Kampf gegen den Welthunger ist, bleibt die Aufklärung und Ermutigung der Produzenten, Händler und Verbraucher eine wichtige Aufgabe auch der Politik. Auch durch Konsultationen (Runde Tische) auf nationaler wie auf regionaler Ebene, durch Einrichten bzw. Begleiten von Netzen zur Beratung und zum Austausch (Beispiel: No Waste Network) wie durch die Sammlung von Best Practice lassen sich Kenntnis und Bereitschaft zum Handeln fördern, sicher auch durch Zuschüsse zu klug angelegten Unternehmungen.
Dies ist notwendig, denn nach Einschätzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gehen weltweit rund ein Drittel der für den menschlichen Verbrauch produzierten Lebensmittel verloren oder werden weggeworfen, während rund 925 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung leiden. Allein in Deutschland werden einer Studie der Universität Stuttgart zufolge in Haushalten, Handel und Lebensmittelindustrie und bei Großverbrauchern pro Jahr 11 Millionen t Lebensmittel fortgeworfen, 81 kg pro Kopf der Bevölkerung, wobei 47 Prozent davon vermeidbar und weitere 18 Prozent teilweise vermeidbar wären.
Urban Gardening ist weit mehr als urbanes Hobbygärtnern
Eine andere Art der Lebensmittelwertschätzung bietet auch an anderer Stelle Chancen für Suffizienz, so zum Beispiel beim Urban Gardening. Dieser gebräuchliche Begriff verniedlicht allerdings die Entwicklung und Herausforderung, weil er nur einen kleinen Teil dessen benennt, worum es geht, nämlich um eine städtische Landwirtschaft, die einen substantiellen Teil der Ernährung der Einwohner übernehmen kann. Denn im Jahr 2050 werden aller Voraussicht nach zwei Drittel der Menschen in Städten leben. Es werden Millionenstädte sein, zum größten Teil nicht aus stabilen Häusern und mit gepflasterten Straßen gebaut sondern als Favelas mit Hütten aus Blech, Holz oder Plastik. Den darin lebenden Menschen eine leidlich ausreichende Ernährung zu ermöglichen, auch durch Landbau innerhalb der Städte selbst, ist eine Herkulesaufgabe, die zunehmend ins Bewusstsein rückt und für deren Lösung es erste bescheidene Ansätze gibt. Damit ist Urban Gardening weit mehr als die Spielwiese von urbanen Hobbygärtnern, sie kann zu einem tragenden Teil gesunder Ernährung werden. In Deutschland ist es nicht die bittere Not, die die Landwirtschaft in den Städten vorantreibt; es sind eher das Ungenügen einer konfektionierten Versorgung und der Wunsch nach einer größeren Nähe zur eigenen Ernährung wie nach mehr Versorgungssicherheit mit gesunder Nahrung, möglichst aus der Region.
Mit ökologischer Landwirtschaft in die Postwachstumsgesellschaft
Doch nicht nur in der Stadt liegen Potentiale, sondern auch in der ökologischen Landwirtschaft. Diese orientiert sich an einer organischen Kreislaufwirtschaft, die auf vielfältige Fruchtfolge achtet und Ackerbau und Viehzucht miteinander verbindet wie aufeinander abstimmt. Sie verzichtet im Ackerbau ganz oder doch weitgehend auf chemische Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger und vollständig auf Gentechnik. In der Viehzucht sind industrielle und gentechnisch veränderte Importfuttermittel verboten und es gilt artgerechte Tierhaltung. Ökologische Landwirtschaft hat mit der Erhaltung und dem Schutz des Bodens und einem sparsamen Wasserhaushalt eine hohe Bedeutung für Suffizienz. Ökologisch bearbeiteter Acker braucht keinen synthetischen Stickstoff, dessen Produktion mit hohem Einsatz von Erdöl verbunden ist. Er verhindert Bodenerosion, erhält die Vielfalt der Arten und der Landschaften und bildet als organischer Boden eine wichtige Klimasenke. Ökologische Viehzucht verursacht weniger Arzneimittelrückstände, braucht kein Importfutter und spart damit Transport.
Im Gegensatz dazu steht die Intensivtierhaltung. Diese ist eine durch Technik (Automatisierung, Überwachung) ermöglichte Viehhaltung, bei der meistens nur eine Tierart auf engem Raum in Großbetrieben mit dem Ziel eines maximalen wirtschaftlichen Ertrages gehalten wird. Intensive Systeme benötigen im Vergleich zur Weidehaltung hohe Mengen an energiereichen Futtermitteln wie Mais und Soja. Zur Herstellung einer Fleisch-Kalorie werden fünf und mehr pflanzliche Kalorien verfüttert. Sie werden ihrerseits wieder unter hohem Einsatz von fossiler Energie für Stickstoffdünger und Treibstoffe hergestellt. Auch hat die Intensivhaltung selbst einen stärkeren Energie- und Wasserverbrauch als ökologische Systeme. Hinzukommen stallbedingte Krankheiten, deren Vermeidung hohe Gaben von Tierarzneimitteln wie Antibiotika erfordern.
Fleisch muss teurer werden
Da jedoch drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands zu den „unbekümmerten Fleischessern“ gehören, die ihren Verzehr nicht aus eigenem Entschluss verringern werden, kann erst eine Besteuerung die Nachfrage nach Fleischprodukten wirksam senken und damit die industrielle Produktion einschränken. Die Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO) plädiert schon in ihrem Jahresbericht 2009 „Livestock in the Balance“ für Preisaufschläge und Subventionskürzungen, um Umweltschäden der Industrialized Lifestock Production zu verringern. Der Nachteil der Fleischsteuer ist, dass sie auch das Fleisch aus biologischer bäuerlicher Produktion belastet, dessen Erzeugung ohnehin kostspieliger ist. Die Alternative zur Fleischsteuer ist darum eine Steuer auf Stickstoff. Er wird für die Erzeugung von Mastfuttermitteln und mineralischem Dünger benötigt. Durch die Besteuerung ließe sich Massentierhaltung weniger rentabel macht.
Genug Land für Biolandbau?
Doch gibt es weltweit genug Boden für eine extensive Landwirtschaft? Als Ergebnis mehrerer Studien wird in Entwicklungsländern die Umstellung von traditioneller auf biologische Landwirtschaft keine zusätzlichen Flächen in Anspruch nehmen, da sich durch den Wechsel die Erträge gegenüber der gegenwärtigen Landbewirtschaftung deutlich erhöhen. In Ländern mit intensiver Landwirtschaft wird die Produktivität durch den ökologischen Landbau leicht sinken. Für diese Länder wie für die Erde insgesamt sind aber der Anbau von Energiepflanzen und der steigende Fleischkonsum die entscheidende Bedrohung der Ernährungssicherheit.
Mit Hilfe dieser Maßnahmen ließen sich die von der industriellen Lebensmittelproduktion verursachten Defekte abmildern, wenn diese Hand in Hand mit einem geringeren Fleischkonsum, dem Vorrang saisonaler Produkte und einem Ende der Wegwerfmentalität gingen – alles ebenfalls Suffizienz-Elemente, die, um wirksam zu werden, eine verbindliche Regulierung benötigen. Es lohnt sich also weiter darüber nachzudenken und die verschiedenen Möglichkeiten in der politischen Praxis weiter auszuprobieren. Weitere Beispiele für den Bereich Landwirtschaft und Ernährung und andere Bereiche des Lebens mit unterschiedlicher Eingriffstiefe sind zu finden unter „Suffizienz als Politische Praxis“.