Standpunkte

Jenseits des Wachstums und der Geschlechterordnung

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Die Frage nach Alternativen für eine Gesellschaft jenseits des Wachstums ist auch die nach einer Gesellschaft jenseits tradierter Geschlechterverhältnisse. Damit im Kern verbunden ist eine alternative Sicht auf die Ökonomie. Die Feministische Politische Ökologie (FPE)[1] kann dazu einen Beitrag leisten, indem sie den Blick auf ökonomische Praxen lenkt, die bereits aktuell – wenn auch unter den erschwerten Bedingungen des kapitalistischen Wachstumsimperativs – gelebt werden, sich dieser Logik aber weitgehend entziehen. Hierzu zählen alle Formen ökonomischen Handelns, die nicht auf Eigennutz, Profitmaximierung oder Kapitalakkumulation abzielen.

Die Kernkategorie der FPE ist das in der feministischen Kapitalismuskritik formulierte Konzept „Care“ oder „Lebenssorge“. Diese notwendige Voraussetzung jeglicher Form von Ökonomie wird im Kapitalismus als Arbeit von Frauen und symbolisch weiblich definiert, in die Sphäre des privaten Haushalts verwiesen und gesellschaftlich minderbewertet. Dies umfasst die unbezahlt verrichtete, alltägliche Haus- und Sorgearbeit für Menschen, die noch nicht oder nicht mehr für sich selbst sorgen können ebenso wie die vergeschlechtlichten Segmente des Arbeitsmarkts, bei denen die Sorge um das Wohlergehen anderer im Mittelpunkt steht.

Mit einer feministischen Analyse gesellschaftlicher Naturverhältnisse lässt sich herausarbeiten, dass die Arbeit von Frauen in der Care-Ökonomie im Kapitalismus eine ähnliche Behandlung erfährt wie die natürlichen Ressourcen Boden, Wasser oder Luft: Sie werden stillschweigend als unendlich verfügbar vorausgesetzt, ihre tatsächliche Bedeutung für die Lebensschaffung und -erhaltung wird systematisch unterschätzt und ihre Bewertung entzieht sich rein monetären Kriterien. Die Minderbewertung der von Frauen geleisteten Arbeit im Kapitalismus und ihre gesellschaftliche Aneignung als kostengünstige quasi-natürliche Ressource sind der Ausgangspunkt für die Fragestellungen der FPE: Wie kann die Care-Arbeit in ihrer Bedeutung für das „Gute Leben“ in der Postwachstumsgesellschaft einerseits gestärkt und andererseits entfeminisiert werden? Wie können sowohl die Geschlechterordnung als auch die gesellschaftlichen Naturverhältnisse in emanzipatorischer Weise transformiert werden? Und wie soll das alles vonstattengehen, ohne in eine Romantisierung vorindustrieller und vormoderner Verhältnisse zu verfallen?

Die Feministische Politische Ökologie gibt darauf versuchsweise Antworten. Im Rückbezug auf die Erkenntnisse der Queer Ecologies[2] lässt sich darüber nachdenken, inwiefern sich die normative Zuweisung von Care-Arbeit an Frauen und die potentielle ReProduktivität des Frauenkörpers – mancher Frauenkörper in begrenzten Lebensphasen – voneinander trennen lassen. Das Problem besteht ja darin, dass die Materialität von Schwangerschaft und Geburt, also die reale Mutterschaft, und die symbolische Mütterlichkeit, die bei Care-Verantwortung mitschwingt und von prinzipiell allen Frauen erwartet wird, gesellschaftlich zusammengedacht werden.

Dies ist einer der Gründe, warum die Entfeminisierung von Care leicht zu fordern, aber schwer zu realisieren ist. Die symbolisch-normative „Natürlichkeit“ des Nexus von „Frau-Mutter-Natur“ wird bis in weite Kreise der Postwachstumstheoretiker*innen implizit geteilt. Oder anders gesagt: Hier liegt die Schwierigkeit einer männlichkeitskritischen Perspektive. Wir finden zwar auf der Ebene der Praxen (hin und wieder) Sorgearbeit von Männern, aber auf der symbolischen Ebene gibt es keine Entsprechung zur gesellschaftlichen Konstruktion von Mütterlichkeit. Ein normatives Leitbild symbolischer „Väterlichkeit“ wäre eine notwendige, wenn auch kaum hinreichende Voraussetzung für die emanzipatorische Transformation des hierarchischen Geschlechterverhältnisses. Da aber unsere Vorstellungen von Natur, Geschlecht, ReProduktivität und Care so eng miteinander verwoben sind, bedarf es einer intensiven Begriffsarbeit und der tatsächlichen Veränderung sowohl materieller Praxen und als auch der symbolischen Ordnung.

 

Weiterführende Literatur:

Bauhardt, Christine & Harcourt, Wendy (eds.)(2019): Feminist Political Ecology and the Economics of Care. In Search of Economic Alternatives. London/New York. Routledge

 

[1] FPE steht hier als Abkürzung für die im Englischen gebräuchliche Bezeichnung Feminist Political Ecology. Die Abkürzung der deutschen Begrifflichkeit würde eine unpassende Assoziation hervorrufen.

[2] Queer Ecologies dekonstruieren die unterstellte Natürlichkeit heteronormativer Reproduktionsverhältnisse bei menschlichen und nicht-menschlichen Körpern.

 

Dieser Artikel ist Teil der Kooperation des Blog Postwachstum mit der Konferenz „Great Transformation: Die Zukunft moderner Gesellschaften“, die vom 23. bis 27. September 2019 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena stattfinden wird. Alle Artikel zur Konferenz finden Sie unter dem Schlagwort Great Transformation Jena.

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