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Feminismus & Degrowth in Zeiten der Pandemie

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Gemeinschaftliche Reflexionen der „Feminisms and Degrowth Alliance (FaDA)“ zur Covid-19 Pandemie und den Politiken der sozialen Reproduktion

Die durch die Covid-19 Pandemie ausgelöste Krise hat für alle offensichtlich gemacht, was viele schon lange wussten: Die Sphäre der sozialen Reproduktion und dabei insbesondere (bezahlte und unbezahlte) Sorgearbeit sind das Fundament für gesamtgesellschaftlichen Wohlstand. Diese Arbeit wird in erster Linie von Frauen und Menschen geleistet, deren Arbeit und Leben durch sexistische, rassistische, klassistische, homophobe und ableistische Ideologien und Institutionen abgewertet und marginalisiert werden.

In den letzten Wochen haben Regierungen auf der ganzen Welt die schwere Last, die öffentliche Gesundheit zu sichern, auf diejenigen Menschen umgelegt, deren Aufgabe es ist, für andere zu sorgen. In vielen Ländern wird das öffentliche Gesundheitssystem (wenn es ein solches überhaupt je gegeben hat) seit Jahrzehnten durch neoliberale Sparmaßnahmen und strukturelle Anpassungen kaputtgespart. Durch die Privatisierung von Bildung, Gesundheitsversorgung und öffentlicher Daseinsvorsorge wurde die gesellschaftliche Handlungsmacht, auf die Pandemie zu reagieren, stark eingeschränkt. Gleichzeitig trifft sie Frauen, Kinder, Arbeitsmigrant*innen, Geflüchtete, Wohnungslose und Pflegekräfte mit Migrationshintergrund besonders hart.

Die patriarchale und krisenanfällige Weltwirtschaft befeuert durch ihre Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum aber auch die Zerstörung der Natur. In der letzten Wirtschaftskrise war unser Motto: „Eure Sparmaßnahmen sind nicht unser Degrowth“. Dieses Motto gilt damals wie heute, denn der wirtschaftliche Abschwung in Zeiten der Pandemie ist ebenfalls nicht unser Degrowth. Aktuell sehen immer mehr Menschen ein, dass die Produktion von Wohlstand, Leben, Gesundheit und Glück nur durch bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit (soziale Reproduktion) und die Regeneration der Natur (ökologische Reproduktion) möglich ist. Als Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen des Netzwerkes Feminisms and Degrowth Alliance (FaDA) halten wir fest, dass die Krise, mit der wir als globale Gemeinschaft konfrontiert sind, einer feministischen Degrowth-Transformation bedarf, um sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Zukunftspfade beschreiten zu können.

Eine „Rückkehr zur Normalität“ nach der Pandemie kann nicht die Lösung sein, da diese Normalität Teil des Problems ist. Die durch die Covid-19 Pandemie erzwungene Unterbrechung dieser Normalität eröffnet neue Wege und Möglichkeitsfenster für eine Emanzipation von einer wachstumsbasierten Wirtschaftsweise, welche die Erdatmosphäre erwärmt, die Biosphäre zerstört und sozioökonomische Ungleichheiten immer weiter verschärft. Die Krise bietet dabei eine Chance, unsere Gesellschaften so umzugestalten, dass sie an den Prinzipien der Geschlechtergerechtigkeit und der Nachhaltigkeit des Lebens ausgerichtet sind. Zu diesem Zweck fordern wir

  1. die Anerkennung und Stärkung der Sphären der sozialen und ökologischen Reproduktion;
  2. die Abschaffung des heteronormativen Verwandtschaftsbegriffes, die Unterstützung bestehender gemeinschaftlicher Strukturen und die Förderung von Haushalten, die in sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Gemeinschaften eingebettet sind;
  3. ein vorsorgendes Wirtschaften, das eine Demokratisierung aller Dimensionen des Lebens fördert, Existenzsicherung und Lohnarbeit entkoppelt, bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit gesellschaftlich aufwertet und (z.B. durch ein Care-Einkommen) ihre geschlechtergerechte Verteilung fördert;
  4. Nord-Süd-Solidarität, die Umsetzung von UNDRIP, einen globalen Green New Deal und Widerstand gegen Austeritätspolitik und neoliberale Strukturanpassungsprogramme.

Ein feministisch-kritischer Degrowth-Ansatz strebt gerechte, nachhaltige und konviviale Gesellschaftsformen an, die durch freiwillige Transformationsprozesse von unten herbeigeführt werden. Diese wurzeln in kollektiven Aushandlungen über Produktion, Reproduktion und darüber, was gesamtgesellschaftlichen Wohlstand eigentlich ausmacht. Die Krise erfordert, dass wir über die Prioritäten unserer globalen Wirtschaftsweise nachdenken, aber auch über Alltagspraxen und darüber, was post-kapitalistische Alternativen zu einer „Rückkehr zur Normalität“ sein könnten: mehr Zeit für Gemeinschaft, soziales Miteinander, und Sorge für den Planeten und füreinander.

 

Dieser Text wurde von ca. 40 Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen des internationalen Netzwerkes Feminisms and Degrowth Alliance (FaDA) gemeinschaftlich verfasst. Die englische Originalfassung dieser Stellungnahme ist hier zu finden. Die Langfassung – ebenfalls in englischer Sprache – findet sich hier.

Die Feminisms and Degrowth Alliance (FaDA) ist ein internationales Netzwerk, das 2016 auf der 5. Internationalen Degrowth-Konferenz gegründet wurde. FaDA-Wissenschaftler*innen und -Aktivist*innen sind darum bemüht, feministische Theorie und Praxis zum integralen Bestandteil von Diskussionen um Degrowth/Postwachstum zu machen. Die FaDA-Mailingliste lässt sich abonnieren, indem man eine leere E-Mail an fada-subscribe@lists.riseup.net schreibt. Die FaDA-Koordinationsgruppe ist unter fada-feminismsanddegrowth@riseup.net zu erreichen und twittert auch unter https://twitter.com/fem_degrowth.

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