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Das Ende des Kapitalismus

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Die Wirtschaft muss schrumpfen

In einer endlichen Welt kann man nicht unendlich wachsen. Dieser Satz ist alt, aber trotzdem wahr. Die Europäer/innen hinterlassen einen ökologischen Fußabdruck, als könnten sie drei Planeten verbrauchen, doch bekanntlich gibt es nur die eine Erde.

Bisher hoffen die Regierungen, dass sie Wirtschaft und Umwelt versöhnen könnten. Die Stichworte heißen «Green New Deal» oder «Entkopplung» von Wachstum und Energie.  Zentraler Baustein aller Ideen ist, die gesamte Wirtschaft auf Ökostrom umzustellen  – auf dass dann das Wachstum ungestört weitergehen kann.

Doch dieses „grüne Wachstum“ gibt es nicht, weil Ökostrom immer knapp bleiben wird. Diese Aussage mag zunächst seltsam wirken, denn die Sonne schickt 10.000 Mal mehr Energie zur Erde, als die sieben Milliarden Menschen benötigen würden, wenn sie alle den Lebensstandard der Europäer/innen genießen könnten. An physikalischer Energie fehlt es also nicht.

Doch Sonnenenergie allein nutzt gar nichts; sie muss erst eingefangen werden. Solarpanele und Windräder sind jedoch technisch aufwändig – jedenfalls deutlich aufwändiger, als Kohle, Öl oder Gas zu fördern und zu verbrennen. Momentan wirkt der Ökostrom konkurrenzfähig, weil damit „nur“ fossiler Strom ersetzt wird – und zwar im laufenden Betrieb. Die Bilanz wird sofort schlechter, wenn der Ökostrom gespeichert und in der gesamten Wirtschaft eingesetzt werden soll.

Erhellend ist der «Erntefaktor» EROI, der misst, wie viele Energie-Einheiten investiert werden müssen, um neue Energie-Einheiten zu gewinnen. Dabei stellt sich dann heraus, dass Ökostrom maximal die Hälfte der Netto-Energie liefern kann, die sich mit fossilen Varianten erzeugen lässt. Das ist bitter. Denn damit ist klar, dass Ökostrom teuer ist und sich die Effizienz halbieren würde. Sobald aber die Produktivität sinkt, kann es kein Wachstum mehr geben. Die Wirtschaft muss schrumpfen, wenn man sie allein mit Ökostrom antreiben will.

Aber wie soll man sich dieses Schrumpfen vorstellen? Es hilft, vom Ende her zu denken. Wenn Öko-Strom knapp bleibt, dann ist eine klimaneutrale Wirtschaft nur denkbar, wenn man auf sämtliche Flugreisen und das private Auto verzichtet. Denn auch E-Autos  verbrauchen zu viel Strom, und für Flugzeuge gibt es gar keinen Öko-Antrieb, der sich mit überschaubaren Energiemengen herstellen ließe.  Banken und Versicherungen  sind ebenfalls weitgehend überflüssig, wenn eine Wirtschaft schrumpft. Die meisten Kredite lassen sich nur zurückzahlen, wenn die Wirtschaft wächst, und auch das Prämiensparen basiert auf der Idee, dass man später deutlich mehr ausgezahlt bekommt, als jemals eingezahlt wurde.

In einer klimaneutralen Wirtschaft würde in Deutschland niemand hungern – aber Millionen von Arbeitnehmer/innen müssten sich umorientieren. Zum Beispiel würden sehr viel mehr Menschen in der Landwirtschaft und auch in den Wäldern benötigt, um die Folgen des Klimawandels zu lindern.

Diese Sicht auf die Zukunft mag radikal erscheinen, aber sie ist im wahrsten Sinne des Wortes „alternativlos“. Wenn wir unseren CO2-Ausstoß nicht auf netto Null reduzieren, geraten wir in eine „Heißzeit“, die von selbst dafür sorgt, dass die Wirtschaft schrumpft. In diesem ungeplanten Chaos käme es wahrscheinlich zu einem Kampf aller gegen aller, den die Demokratie nicht überleben würde.

Kapitalismus ohne Markt: die britische Kriegswirtschaft

Der Rückbau des Kapitalismus muss geordnet vonstatten gehen. Zum Glück gibt es bereits ein historisches Schrumpfungsmodell, an dem man sich orientieren könnte: die britische Kriegswirtschaft ab 1940.  Damals standen die Briten vor einer monströsen Herausforderung. Sie hatten den Zweiten Weltkrieg nicht kommen sehen und mussten nun in kürzester Zeit ihre Friedenswirtschaft auf den Krieg umstellen, ohne dass die Bevölkerung hungerte.

Das erste Ergebnis war eine statistische Revolution: es entstand die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die bis heute ein Standardwerkzeug aller Ökonom/innen ist. Mit diesem neuen Instrument ließ sich ausrechnen, wie viele Fabriken man nutzen konnte, um Militärausrüstung herzustellen, ohne die zivile Versorgung zu gefährden.

Es entstand ein Kapitalismus ohne Markt, der bemerkenswert gut funktioniert hat. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber die Produktionsziele von Waffen und Konsumgütern wurden staatlich vorgegeben – und die Verteilung der Lebensmittel öffentlich organisiert. Es gab keinen Mangel, aber es wurde rationiert. Die Briten erfanden also eine private und demokratische Planwirtschaft, die mit dem dysfunktionalen Sozialismus in der Sowjetunion nichts zu tun hatte.

Die staatliche Lenkung war ungemein populär. Wie die britische Regierung bereits 1941 feststellen konnte, war das Rationierungsprogramm «einer der größten Erfolge an der Heimatfront». Denn die verordnete Gleichmacherei erwies sich als ein Segen: ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. Zu Friedenszeiten hatte ein Drittel der Briten täglich nicht genug Kalorien erhalten, weitere zwanzig Prozent waren zumindest teilweise mangelernährt. Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung so gesund wie nie.

Heute herrscht zum Glück Frieden, aber die gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist beim Klimawandel ähnlich groß. Wieder geht es ums Überleben der Menschheit.

3 Kommentare

  1. Dietmar Philipp sagt am 19. Oktober 2022

    ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
    Die gegenwärtige sehr bewegende Situation in unserer Welt veranlasst mich, diese etwas näher zu untersuchen und zu Schlussfolgerungen zu kommen. Selbst habe ich keinerlei politische Neigungen zu schwarz, rot, gelb und braun. Auch möchte ich mit den Inhalten meiner Zeilen nicht als Feind dastehen, nur weil ich kritisch auf starke Unzulänglichkeiten hinweise.
    Eine neue freie demokratische Grundordnung, die nicht unbedingt auf den Beinen des Kapitalismus stehen muss, ist auch künftig möglich und entwicklungsfähig.
    Aus unterschiedlichen Gründen wird auch eine Gesellschaftsordnung von einer anderen folgerichtig abgelöst. Vor rund 30 Jahren haben wir die Ablösung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der DDR durch eine kapitalistische Gesellschaftsordnung mit sozialer Marktwirtschaft erlebt. Seitdem ist schon wieder eine neue Generation herangewachsen. In dieser Zeit fand auch unter dem Begriff „Globalisierung“ eine Annäherung vieler Länder in unserer Welt statt. Handel und Wandel traten ein, Grenzen konnten komplikationslos durch Reisen überwunden werden und noch vieles mehr. Wir hatten relativ eine heile Welt.
    Mit der Entwicklung des Industriekapitalismus um 1750 bis jetzt sind rund 270 Jahre vergangen. Diese Zeit war mit ständig wachsendem Wohlstand bei den Bevölkerungen und Supergewinnen bei den Groß Unternehmungen verbunden. Anfänglich erfolgte ein steiler Anstieg der Volkswirtschaften, indes jetzt kaum noch Anstiege zu verzeichnen sind. In dieser Situation sind wir jetzt. Das ist auch funktionierender, oder besser bezeichnet nicht mehr funktionierender Kapitalismus. Dabei spielt der gegenwärtige Ukrainekrieg kaum eine Rolle.
    Aus meiner Sicht ist hier große Vorsicht notwendig, denn eine Vermischung von Folgen des Krieges und der Gesellschaft ist eingetreten. Der Westen vertritt seinen großen politischen Willen, hat damit weltweit eine selbstorganisierte Energiekriese geschaffen und versucht mit umfangreichen Hilfen der Situation zu begegnen. Die betroffenen Menschen des Westens sind verunsichert, wütend und fürchten ihrer Existenz.
    Die Vermischung von Gesellschaft und Ukrainekrieg macht es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, neue Wahrheiten zu finden. Man könnte auch zu dem Schluss kommen, das ist von den jetzt in Verantwortung stehenden Politikern so gewollt.
    Die vorhandenen Strukturen entsprechen einfach nicht mehr den Erfordernissen. Eine dominierende neue Rolle nimmt dabei der weltumgreifende Klimaschutz ein. So müssen für die Menschheit lebensnotwendige Grundstoffe/Bodenschätze wie Wasser, Öl, Gas, Energie, … neu verteilt werden. Beispielsweise könnte über die UNO diese Regulierung in Preis, Verteilung, Anwendung erfolgen. Gegenwärtige Preistreiberei, Korruption, wirkungslos zwischengeschaltete Einrichtungen würden ausgeschaltet und der Preis könnte wieder den Wert der Ware widerspiegeln. Die enorm vorhandenen Mittel von Großunternehmen und Privatleuten sollten dem Verwendungszweck zur Finanzierung des weltlichen Klimaschutzes herangezogen werden. Denn alle, Obdachlose, Arbeitnehmer, Großunternehmer, private Milliardäre sitzen im gleichen Boot das droht mit ihnen unterzugehen, wenn der Mensch den Klimaschutz nicht beherrscht. Dazu bedarf es einer neuen Qualität, die sicherlich nichts mehr mit dem jetzt vorhandenen Kapitalismus zu tun hat. Die eilig und gegenwärtig einberufene Zusammenkunft von Verantwortlichen Politikern der 27 EU und 17 anderen Staaten in Europa in Prag sind erste geringe Anzeichen von weltumgreifenden Veränderungen.

    Während dieser Zusammenkunft zeigen sich bereits Widersprüche, die darin liegen, dass Fremdprobleme (von Deutschland der Doppel-Wumms=eine Vermischung durch den Ukrainekrieg) hier gar nicht relevant sind. Der gegenwärtige Zustand unserer Welt zeigt, dass diese nahezu aus den Angeln gehoben ist. Unglücklicherweise fällt in diese Situation der Ausbruch des Ukrainekrieges mit hinein. Es sind aber bereits Zeichen des Umbruchs der Entwicklungsgeschichte. Aus meiner Sicht wäre es falsch, die Zusammenkunft und noch künftig weitere für einen neu angepassten Kapitalismus zu bewerten. Neue Arbeitsweisen und Justierungen müssen bei der EU, bei der UNO und dem Verhältnis zu den USA mit der NATO erfolgen. Mit einer neuen Globalisierung geht auch eine neue Kommunikation mit den größten Ländern der Erde China und Russland künftig einher. Ohne Kommunikation kann eine Weltordnung nicht existieren.

    Ziel ist, das zeigt auch die Entwicklungsgeschichte, dass der über 270 Jahre alte Kapitalismus mit den Strukturen ausgedient hat und etwas NEUES (vielleicht zwischen Sozialismus und Kapitalismus) mit einer neuen funktionierenden weltweiten Friedensordnung für alle Menschen Gültigkeit haben muss. Die treibende Kraft dafür ist die Realisierung des weltweiten Klimaschutzes. Damit tritt auch eine unbedingt erforderlich gewordene Neuordnung der Welt ein.
    Dietmar Philipp/19.10.2022

  2. Anders Denken sagt am 21. Mai 2021

    Liebe Frau Herrmann!
    Herzlichen Dank für diesen Artikel, Ihre Veröffentlichungen und Bücher.
    Es ist einleuchtend, dass die Wirtschaft zur Rettung der Erde schrumpfen muss und ebenso, dass der Staat bei der Umstellung von der Wachstumswirtschaft auf eine Nachhaltigkeitsökonomie regulierend eingreifen muss. Im Gegensatz zu anderen Postwachstums-Experten betonen Sie ja auch immer wieder die Vorteile des Kapitalismus (Bildung, freie Wahl von Beruf und Partner etc.) und äußern die Sorge vor sozialen Verwerfungen in Folge eines Schrumpfens. Ich finde das wichtig, weil es sonst zu einer zu romantischen Verklärung des „Guten Lebens“ mit weniger Konsum kommt. Sie sprechen von notwendiger Forschung, um herauszufinden, wie man eine Brücke in die Kreislaufwirtschaft bauen kann. Ich frage mich, ob man die wertvolle Zeit, bis es diese Studien gibt, sinnvoll nutzen kann??
    Zum Beispiel durch einen freiwilligen, persönlichen Beitrag der Bürger durch Suffizienz, Müllreduktion, Fleischreduktion, Unverpackt, Second Hand, Sharing Economy, Reparieren, Selbermachen- als kleine Schritte in Richtung Kreislaufwirtschaft? Da kann jeder etwas beitragen und das, was Sie als ökonomisches System-Ziel formulieren, bereits im Kleinen beginnen. Die Leute müssen sich früher oder später doch eh umstellen und die Krise könnte so vielleicht abgefedert und die Resilienz gefördert werden. Immer mehr Menschen sehen im Verzicht eine Chance.
    Können sich ökologische Verantwortung der Einzelnen und die von Ihnen beschriebene Regulierung durch den Staat „von oben“ nicht gut ergänzen?

  3. Helmut Schmidt soll einst gesagt haben: „Visionäre müssen zum Arzt.“ Heute sind wir ein paar Schritte weiter, wir ahnen, dass die Macher oft keine wirkliche Ahnung haben und wir es vergeben sollten. Nicht nur die Macher haben uns in die Irre geführt, nein, es war unser eigener Glaube an die Machbarkeit. Frau Herrmann malt eine Zukunft von einem anderen Verständnis der Rationalität, einem visionären. Ich kann da ja sagen. Am Anfang meiner Ausbildung zum Landwirt gab es die Milchmengenkontingentierung – wegen Übermengen, Butterbergen und Milchseen, hohen Lagerkosten. Heute lehrt der Mangel an Energie und Rohstoffen die Begrenzung auf das Notwendige. Wenn wir das nicht lernen wollen, werden wir versagen.
    Die erreichbare preisbezogene Energiedichte bei Wasserstoff- oder Akkumulatorentechnik ist bei 0,01 kwh/ 1€, die von Öl bei 6 kwh/1€. (wikipedia, peak-oil, Folgen)
    Warum ist die CO2-Abgabe erst bei 40 €/ to und nicht mindestens bei 100 mit berechtigter Steigerung um 10 € mindestens jährlich, um einen Rahmen zu haben und einen Planungshorizont? Und wie wird sie umgelegt? Stellt euch vor, Mercedes plant den ersten vollelektrischen SUV für das Jahr 2039, ein Jahr nach dem jetzt vertraglich angestrebten Kohleausstieg. Wer zahlt denn die Beiträge für die verbilligten E-Mobile? Wenn das keine verfehlte Planwirtschaft ist. Auch der Kapitalismus ist vor Irrtümern nicht gefeit. Irren ist menschlich. Irrtümer eingestehen ebenso.
    Vielen Dank, Frau Herrmann. Der „Kampf aller gegen alle“ ist nicht als Ziel zu setzen für die Zukunft. Lieber heute mehr Solidarität, Suffizienz.

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