Die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen einer sich zunehmend verschärfenden Klima- und Biodiversitätskrise sind enorm – und weit mehr als ein umweltpolitisches Projekt. Was ökologisch unumgänglich und auf unterschiedlichen Ebenen mittlerweile auch politisch verankert wurde, erfordert nichts weniger als tiefgreifende Transformationen der Strukturen von Wirtschaft und Gesellschaft. Die ökologische Frage wird damit untrennbar auch zur sozialen Frage: Wie können die sozialen Strukturen unserer Gesellschaft so gestaltet werden, dass durch das Erreichen dessen, was ökologisch notwendig ist ein Mehr und nicht ein Weniger an Gerechtigkeit entsteht? Wie kann eine „Just Transition“ gelingen?
Die Gestaltung gerechter Transformationen übersteigt dabei die Möglichkeiten reiner politischer Steuerung. Als gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe erfordert sie weitreichende gesellschaftliche Verständigungsprozesse, um unterschiedliche Interessenlagen auszutarieren und neue Handlungsansätze zu entwickeln. Insbesondere den zivilgesellschaftlichen Verbänden als „Mittler“ zwischen Staat und Gesellschaft und Vertreter der sozialen (Gewerkschaften, Sozial-, Wohlfahrtsverbände) und ökologischen (Umweltverbände) Interessen kommt eine wichtige Rolle zu. Sie können gesellschaftliche Verständigung vorantreiben, wobei jedoch neue Handlungsansätze über die Grenzen von Politikfeldern hinweg und in neuen Konstellationen erforderlich werden: Lösungsorientierte Aushandlung dort, wo sozial-ökologische Konflikte in bedrohliche Blockaden münden, Gestaltungsallianzen dort, wo Synergien genutzt werden können.
In einem vom Umweltbundesamt geförderten, transdisziplinären Projekt wurde daher in einem engen Austausch mit der Praxis gefragt, wie „Neue Allianzen“ zwischen sozial- und umweltpolitischen Verbänden notwendige Transformationsprozesse voranbringen können, welche Potenziale zu heben und welche Hemmnisse zu überwinden sind.
Geteilte Perspektiven, spezifische Handlungslogiken, neue Zukunftsstrategien
Im Rahmen der Analysen des Projekts konnten einige zentrale Aspekte zu Ausgangslage, Potenzialen sowie Hemmnissen identifiziert werden (vgl. Sharp et al., 2020).
Es gibt geteilte Perspektiven zwischen den Verbänden. So werden etwa die Kernanliegen des jeweils Anderen (soziale Gerechtigkeit bzw. Klima-/Umweltschutz) mittlerweile nicht nur übergreifend akzeptiert, sondern auch öffentlich in der eigenen Programmatik aufgegriffen. In der Verbandspraxis scheint dies jedoch bislang nur bedingt zu konkreten Aktivitäten zu führen (vgl. Petschow et al., 2019). Die Gründe hierfür sind vielfältig, jedoch nicht ohne Weiteres (so der gelegentliche Vorwurf) mit politischem Opportunismus zu begründen. Es finden im Gegenteil erste Such- und Öffnungsprozesse in den Verbänden statt, welche jedoch u.a. aufgrund existierender Spannungsfelder (z.B. Perspektive auf Wirtschaftswachstum), aber auch organisatorischer und mentaler Pfadabhängigkeiten mit Herausforderungen konfrontiert sind, was wiederum gemeinsame Aktivitäten erschweren kann.
Zudem ist vielfach festzustellen, dass die Fokussierung auf die jeweiligen Kernaufgaben (z.B. Tarife, Sozialrechtsvertretung, Umwelt-/ Naturschutz,…) insbesondere in Krisenzeiten verhindert, dass auch neue Themen und Perspektiven entwickelt werden. Aber: In den Organisationen wird zunehmend anerkannt, dass umfassende Neuorientierungen erforderlich sind. „Neue Allianzen“ (gemeinsame Projekte und antizipierende Konfliktbearbeitung) werden dabei als wichtiger Hebel gesehen, um die eigenen Interessen auch langfristig gesellschaftlich vertreten zu können, um durch Impulse „von außen“ notwendige Neuorientierungsprozesse in den Organisationen anzustoßen und gleichzeitig ein besseres Verständnis über die Handlungsmöglichkeiten- aber auch Zwänge des Gegenübers zu entwickeln, Vertrauen aufzubauen und gestalterische Spielräume zu erkennen (vgl. Petschow et al., i.E.).
Handlungsansätze: Was brauchen die „neuen Allianzen“ für sozial-ökologische Transformationen?
Im Rahmen des Projekts wurden drei übergeordnete Handlungsansätze entwickelt, über die die Verbände selbst, aber auch staatliche Akteure die Potenziale neuer Allianzen entfalten und Hemmnisse überwinden können:
- Austausch stärken und institutionell verankern, um bestehende Verbindungen zu stärken und neue, langfristige Austauschprozesse anzustoßen und bestehende Spannungsfelder (z.B. Wirtschaftswachstum) bearbeitbar zu machen. Dabei sollten drei Ebenen im Sinne einer institutionellen Gesamtarchitektur zusammengedacht werden: Austauschstrukturen für zivilgesellschaftliche Selbstverständigungs- und Lernprozesse (z.B. ein „Forum Umwelt & Soziales), Strukturen für ressortübergreifenden Austausch auf Ebene staatlicher Politik (z.B. Weiterentwicklung von Klimakabinett, Staatssekretärsausschuss für Nachhaltige Entwicklung u.Ä.) und Austauschstrukturen für die konkrete politische Entscheidungsvorbereitung und -begleitung zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren (Ko-Kreation transformativer Politikansätze, z.B. Transformationskommissionen).
- Potenziale regionaler und lokaler Kooperation heben und entwickeln, um a) Strukturwandel in konkreten regionalen/lokalen Kontexten gemeinsam zu gestalten, b) die Verbandsarbeit und damit auch gesellschaftliche Verankerung sozial-ökologischer Transformationsprozesse vor Ort zu stärken und c) lokale/regionale Kooperationsinitiativen als Experimentierräume für Transformation zu nutzen.
- Die Dynamik gesellschaftlicher Veränderungsprozesse in der Organisationsentwicklung berücksichtigen und das Umdenken in konkrete Verbandspolitik übersetzen, z.B. durch: personelles und fachliches „Capacity Building“ für neue, übergreifende Themen; alternative Rekrutierungsstrategien, um neue Mitglieder/neue Zielgruppen zu mobilisieren (z.B. Ansätze des „community organizing“); bestehendes Engagement zu sozial-ökologischer Transformation in den Verbänden stärken/öffnen/neu ausrichten und neue Formen von Engagement erproben; Kooperationspotenziale mit anderen Verbänden sowie sozialen Bewegungen stärker nutzen.
Die Transformationsanforderungen sind immens und die existierenden institutionellen Strukturen erweisen sich gegenwärtig an vielen Stellen als dysfunktional. Die zivilgesellschaftlichen Verbände sollten diese Herausforderung annehmen und proaktiv die sozial-ökologische Transformation voranbringen. Die im Projekt entworfene Blaupause stellt einen Impuls dar, der jedoch handlungsorientiert weiterentwickelt werden muss.
Literatur:
Petschow, U.; Riousset, P.; Sharp, H.; Jacob, K.; Guske, A.-L.; Schipperges, M.; Arlt, H.-J. (2019). Identifizierung neuer gesellschaftspolitischer Bündnispartner und Kooperationsstrategien für Umweltpolitik. Hypothesen zum Verhältnis von Umwelt- und Sozialpolitik – eine erste Bestandsaufnahme. UBA-Schriftenreihe. Dessau: Umweltbundesamt.
Petschow, U.; Sharp, H.; Riousset, P.; Jacob, K.; Guske, A.-K.; Kalt, G.; Schipperges, M.; Arlt, H.-J. (im Erscheinen). Kontexte, Logiken, Zukünfte: Kooperationsperspektiven zwischen umwelt-, gewerkschafts- und sozialpolitischen Akteuren. Abschlussbericht. UBA-Schriftenreihe. Dessau: Umweltbundesamt.
Sharp, H.; Petschow, U.; Arlt, H.-J.; Jacob, K.; Kalt, G.; Schipperges, M. (2020). Neue Allianzen für sozial-ökologische Transformationen. UBA-Broschüren. Dessau: Umweltbundesamt.