Kleinteiligkeit statt Gigantismus, Stärkung der Lokalökonomie, Steigerung des Glücks statt des Bruttosozialproduktes. Bereits vor fast 50 Jahren hielt Ernst F. Schumacher in seinem Buch Small is beautiful ein Plädoyer für die Rückkehr zum menschlichen Maß. Sein Weltbestseller ist heute aktueller denn je – 2019 legte oekom ihn in seiner Reihe »Bibliothek der Nachhaltigkeit« neu auf.
Ein Jahr später erschien im selben Verlag nun Abschied vom Größenwahn – Wie wir zum menschlichen Maß finden. Die Publizistin Ute Scheub und Christian Küttner, Bürgeraktivist und IT-Berater, stellen sich zwar bereits im Untertitel ihres Buchs in die Tradition von Schumacher und dessen Lehrer Leopold Kohr, aber sie finden: So fortschrittlich die Vordenker für ihre Zeit auch waren, an manchen Stellen dachten sie zu kurz. Scheub und Küttner wollen darüber hinausgehen. Ihr Fokus: der Mensch, sein Körper, sein Wohlbefinden.
In fünf Kapiteln arbeiten sie heraus, was „menschliches Maß“ bedeutet – für Ernährung, Lebensorte, Wirtschaft, Gesundheitswesen und Demokratie. Leidenschaftlich zeichnen sie die Vision einer Gesellschaft, die auf Regeneration setzt: Die Menschen ernähren sich regional und biologisch. Sie leben an klimafreundlichen Orten, die eine Verbindung mit anderen Menschen fördern. Ihre Wirtschaftsweise ist auf das Gemeinwohl bedacht, frei von Abfall. Regionen streben nach Eigenversorgung und kurzen Wegen – „Wertschätzungsketten“ gelten genauso viel wie Wertschöpfungsketten. Gesundheit zählt nicht länger als Ware, sondern es geht darum, sich fürsorglich vor Ort darum zu kümmern, dass das Leben der Menschen bis zum Ende stärker selbstbestimmt verläuft. Und die Demokratie schließlich ist näher an die Menschen gerückt – aufgewertet mit direkten und konsultativen Elementen wie Volksabstimmungen oder Bürgerräten sowie selbstbestimmteren Kommunen und Regionen.
Klingt realitätsfern? Mit dem heutigen Tunnelblick mag das sein. Allerdings: Scheubs und Küttners Visionen beruhen auf zahlreichen gelebten Beispielen und Ideen aus dem Hier und Jetzt. Längst engagieren sich an vielen Orten Menschen für eine bessere Welt. Indem es solche realen Geschichten vom guten Umgang mit der Welt erzählt, erinnert das Buch streckenweise an die Futurzwei Zukunftsalmanache (für die Ute Scheub auch zahlreiche Beiträge beisteuerte). Neue Horizonte statt apokalyptischer Schockstarre!
Abschied vom Größenwahn ist visionär, inspirierend und motivierend – hochrelevant in Anbetracht der Herausforderungen, denen die Menschheit gegenübersteht. Unverhofft gibt die Corona-Gesundheitskrise dem Buch reichlich Wasser auf seine Argumentenmühle. Es ist allerdings keine Blaupause, die minutiös aufzeigt, wie die Visionen in den nächsten Jahren erreicht werden können. Kein Buch könnte das leisten. „Wir alle sind aufgerufen, liebevolle Sterbebegleitung für das alte System zu leisten“, heißt es im Klappentext. Indem es dazu einlädt, out of the box zu denken, ist das Buch wie eine bunte Samenbombe – auf fruchtbarem Boden kann eine blühende Wandelideenwiese daraus erwachsen. Mit über 300 Referenzen liefert es eine wahre Fundgrube um weiterzulesen, Themen zu vertiefen und selbst aktiv werden. Fazit: Klug, mutig, lesenswert! Damit die Gegenwartskrise als Möglichkeitsfenster für eine Zeitenwende hin zu einem menschlichen Maß genutzt wird.
Ute Scheub, Christian Küttner: Abschied vom Größenwahn. Wie wir zu einem menschlichen Maß finden. Oekom, 2020. 288 Seiten, 22,– Euro, ISBN 978-3-96238-205-6
Diese Rezension ist zuvor bereits in der Ausgabe 1/2021 der ÖkologischesWirtschaften erschienen.