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Countdown 2030: Zukunft der Raumplanung? Teil 2

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Der erste Teil dieses Artikels zeigt, wie wenig die Schweizer Raumplanung bisher auf die Klimakrise reagiert hat und wie groß der Handlungsbedarf ist. Es wird eine nachhaltige Mobilität vorgeschlagen, welche die „Stadt der kurzen Wege“ und den Langsamverkehr fördert. Beim Bauen solle zudem möglichst umgenutzt und umgebaut statt neu gebaut werden.

Der zweite Teil geht auf die Funktion des Bodens als Lebensgrundlage ein. Folgerichtig müssten die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion nachhaltiger und lokaler werden. Da der Markt die Nutzung des Bodens steuert, sind Lösungen jenseits des Wachstums gefragt, wie z.B. eine Lenkungsabgabe auf nicht erneuerbare Ressourcen oder eine Bodenwertsteuer. Allem zu Grunde liegt die Forderung nach einem Kulturwandel in Planung, Bauen und Wirtschaft, der die Erhaltung unseres natürlichen Lebensraumes ins Zentrum stellt.

Boden ist Leben

Der Boden ist unsere Lebensgrundlage. Das betrifft nicht nur seine Eigenschaften als Fläche, sondern auch seine Qualität. Viele Böden in der Schweiz sind von Monokulturen und Pestizideintrag derart geschädigt, dass ihre Regeneration Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Zudem verhindert die heute gebräuchliche Landwirtschaft die natürliche Funktion des Bodens als CO2-Speicher.

Für einen Wandel der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit spielt die Nahrungsmittelproduktion eine entscheidende Rolle und auch sozialräumlich hat sie großen Einfluss. Unsere Ernährungssysteme werden weitgehend von global agierenden Akteur*innen gesteuert und überspielen saisonale Verfügbarkeiten. Wenn wir die Landwirtschaft konsequent am örtlichen Bedarf und einer nachhaltigen Bodennutzung ausrichten, ermöglichen wir lokale Wertschöpfungsketten, kurze Transportwege, frische Lebensmittel und funktionierende Ökosysteme. Auch hier ist der volkswirtschaftliche Umbau natürlich von Risiken begleitet und benötigt eine sorgfältige, föderalistisch abgestützte Umsetzung.

Gemeinwohl ist das neue BIP

Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts führt unter den heutigen Rahmenbedingungen zu mehr Land- und Ressourcenverbrauch, ohne dass für breite Bevölkerungsschichten ein Gewinn daraus resultiert. So sucht auch die OECD Lösungen “Jenseits des Wachstums”, die dem Gemeinwohl Priorität einräumen. Sie empfiehlt unter anderem Maßnahmen im Bereich der Landrechte und der Wohnungsmärkte, um ökologische Nachhaltigkeit mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden.

Um diese Ziele in der Raumplanung umzusetzen ist Kostenwahrheit nötig, die auch von der Allgemeinheit erbrachte Leistungen, bzw. von ihr zu tragende Einbußen abbildet. Dies kann durch eine staatliche Lenkungsabgabe auf nicht-erneuerbare Ressourcen – dazu zählt auch der Boden – erreicht werden, so dass deren Verbrauch auf das erforderliche Niveau abgesenkt wird. Ein mögliches Modell hierfür ist “cap and trade”, also limitierte handelbare Kontingente. Diese werden jährlich versteigert und sind für eine bestimmte Menge einer Ressource in einem bestimmten Zeitraum gültig. Da eine solche Veränderung sich auf die Preise niederschlägt und somit die ärmere Bevölkerung am härtesten trifft, sind die Einnahmen aus diesen Kontingenten in Form eines ökologischen Grundeinkommens an die Bevölkerung zu verteilen – also “cap and dividend”.

Ebenfalls zielführend sind Lenkungsabgaben mit 100% Rückverteilung, deren Höhe sich an einem Absenkpfad orientiert und jährlich justiert wird. Werden gesetzte Ziele erreicht, bleiben die Abgaben unverändert. Werden Ziele verfehlt, müssen Abgaben entsprechend erhöht werden, um die Lenkungswirkung zu verstärken. Eine weitere Möglichkeit wäre die Bodenwertsteuer, um den leistungslosen Profit von Grundeigentümer*innen aus öffentlichen Investitionen einzudämmen. Damit würde die Nutzflächeneffizienz gesteigert, die Zersiedlung reduziert und der Mietpreis gesenkt.

Raum gestalten!

Ein gesellschaftlicher Wandel kann nur gelingen, wenn er auf mehreren Ebenen geschieht. Auf politischer und planerischer Ebene kann viel bewirkt werden, aber es braucht auch eine aktive Zivilbevölkerung. Diese kann Projekte anstoßen, welche passgenau auf die spezifischen Probleme und Ressourcen eines Ortes zugeschnitten sind. In der Pflicht stehen wir alle, konsequent zur Umsetzung zu schreiten. Für Raumplanende bedeutet das die Schaffung von Lebensraum, das heißt Raum, in dem gelebt und etwas erlebt wird.

Ein neues Raumkonzept, dessen zentrale Anliegen ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind, könnte dazu beitragen, dass klima- und biodiversitätsfreundliches Planen und Bauen Teil unserer Kultur werden. Was der Natur nützt, nützt auch uns Menschen und ermöglicht uns Selbstermächtigung in Form von gesunder Ernährung, größerer Unabhängigkeit von global agierenden Konzernen, mehr Kontrolle über den eigenen Lebensraum und mehr Zeit.

Dies ist der zweite Teil eines zweiteiligen Artikels. Zum ersten Teil gelangen Sie hier.

 

Literatur:

Heinrich-Böll-Stiftung (2021): Jenseits des Wachstums. Auf dem Weg zu einem neuen ökonomischen Ansatz. In: Schriften zu Wirtschaft und Soziales, Band 24. Online verfügbar unter: https://www.boell.de/sites/default/files/2021-02/Boell-Stiftung_Jenseits-des-Wachstums_V01_kommentierbar.pdf

NABU und ZBF-UCB (2018): Grundsteuer: Zeitgemäß! Ein bundesweiter Aufruf zur Grundsteuerreform. Unter: https://www.grundsteuerreform.net/hintergrund/.

Nachhaltige Raumplanung für die große Transformation (2021): Herausforderungen, Barrieren und Perspektiven für Raumwissenschaften und Raumplanung. Sabine Hofmeister, Barbara Warner, Zora Ott (Hrsg.) Hannover: Akademie für Raumentwicklung in der Leibnitz-Gemeinschaft.

Stüssi, Ulrich (2021): Nicht ganz dicht. Auf: espazium.ch. Online verfügbar unter: https://www.espazium.ch/de/aktuelles/nicht-ganz-dicht-verkehrsplanung-astra.

Autor*innen: Andreas Haug und Isabel Borner.

Co-Autor*innen: Jakob Schneider, Dirk Lohaus, Anke Domschky, Florian Moser, Isabel Zelger.

 

 

 

Wir sind eine stetig wachsende Zahl von Architekturschaffenden, die unter dem Namen «Countdown 2030» die Auswirkungen unseres beruflichen Handelns auf den Klimawandel einer grossen Zahl von Planer*innen und Architekt*innen bewusst machen möchten. Wir setzen uns für eine hohe Baukultur ein, die Zukunft hat – und schon heute ein gutes Leben ermöglicht. Dafür braucht es klimapositive Städte, Gebäude und Infrastrukturen sowie eine grosse Biodiversität: diese Voraussetzungen wollen wir aktiv mitgestalten. Mehr Informationen unter: https://countdown2030.ch/. Gruppenbild der Autor*innen © Juliette Fong.

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