Die Gestaltung unseres Lebensraumes wird von Mechanismen geprägt, welche die natürlichen Ressourcen zerstören und somit die Lebensgrundlage kommender Generationen bedrohen. Aufgrund der kurzen Zeitspanne, die uns zum Handeln bleibt, ist ein Paradigmenwechsel nötig. Ein neues Raumkonzept Schweiz muss daher den Schutz und die Förderung der natürlichen Ressourcen ins Zentrum stellen. Mögliche Strategien für die nachhaltige Umsetzung eines solchen Wandels sind die regionale Organisation von Leben und Produktion sowie eine Mobilität, die auf den öffentlichen sowie den Fahrrad- und Fußverkehr fokussiert.
Status quo: Klima- und Biodiversitätskrise
Das Raumkonzept Schweiz von 2012 ist ein Meilenstein der Schweizer Raumplanung. Es ist ein politisch-föderal fein austariertes Konzept mit dem Ziel, Lebensqualität und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft zu sichern. Weitere enthaltene Punkte, wie Siedlungsqualität und regionale Vielfalt zu fördern, natürliche Ressourcen zu schützen, Mobilität zu steuern, Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, (nationale) Solidarität zu leben sind ebenfalls wichtige, breit abgestützte Anliegen.
Schauen wir uns jedoch in der Schweiz um, so scheinen diese Ansätze kaum umgesetzt zu werden, obwohl das Raumkonzept von Bund und Kantonen bei Planungen und Gesetzen zugrunde gelegt wurde. Zusätzlich haben sich die Klima- und Biodiversitätskrise in den letzten Jahren unübersehbar verschärft. An deren Eindämmung müssen sich sämtliche Maßnahmen messen lassen.
Kleiner Radius, grosse Lebensqualität
Für einen Wandel der Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität sind die Bereiche Bauen, mit einem Anteil von 28.3% an den jährlichen Treibhausgasemissionen der Schweiz, Mobilität (28%), Nahrungsmittelproduktion und Landwirtschaft (20%), privater Konsum der Haushalte (8%) sowie Industrie (14%) die wichtigsten Handlungsfelder.
Der Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen wird mit einem Anteil von fast 80% wesentlich von den Bereichen Bauen und Mobilität getrieben. Zum Arbeiten und Wohnen nutzen wir immer mehr Fläche. Spezialisierte Arbeitsteilung, Freizeitaktivitäten und Wertschöpfungsketten lassen Menschen und Waren immer größere Wege zurücklegen.
Eine mögliche Strategie, um dem entgegenzuwirken ist die Stadt der kurzen Wege. Indem Güter und Tätigkeiten des Alltags in Geh- oder Fahrraddistanz produziert, bzw. ausgeführt werden, lassen sich Auto- und Bahnkilometer reduzieren und die Zersiedlung einschränken. Als positiven Nebeneffekt erhalten wir funktionierende, durchmischte Nachbarschaften.
Das lässt sich auch auf ländliche Regionen übertragen. Die zur Etablierung kurzer Wege nötige Verkleinerung und gleichmäßige Verteilung von Einrichtungen des Alltagslebens kommt der traditionellen dörflichen Struktur entgegen und stärkt diese. Generell fördert eine kleinräumige Wirtschaft lokale Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätze.
Eine nachhaltige Raumplanung könnte den Verkehr über weite Strecken minimieren, durch die Verfügbarkeit der wichtigsten Bereiche des täglichen Lebens (Wohnen, Gewerbe, Arbeit usw.) in kurzer Distanz. Dies würde die Lebensqualität steigern, indem räumliche und zeitliche Freiräume entstünden, die bisher durch den Verkehr besetzt waren.
Die Schweiz ist gebaut
Wir stehen also vor einem grundlegenden Strukturwandel, welcher primär auf der Nutzungsebene erfolgen sollte. Die Prämisse lautet: Umnutzen, Umbauen, Anbauen, wo immer möglich und neu bauen, nur wenn unbedingt nötig. Sanierungen sind weiterhin sinnvoll. Das gilt nicht nur für das Wohnen, sondern auch für Infrastrukturbauten, Lagerhallen usw.
Qualitativ heißt das, dass wir die natürlichen Ressourcen und Gegebenheiten ins Zentrum rücken und sie in unseren Alltag integrieren sollten. Und zwar als vernetzte Ökosysteme, die Menschen, Tieren und Pflanzen als Lebensraum dienen. In Zeiten der Klimaerwärmung können diese Grünräume und -korridore in den Städten der Kühlung dienen und zur Vermeidung von Hitzeinseln beitragen.
Eine Bauwirtschaft der kreativen Umnutzungen und minimalen Eingriffe würde auch finanzschwachen Akteur*innen die Gestaltung ihrer Lebensräume ermöglichen und den Investitionsdruck der „Großen“ vermindern. Voraussetzung dafür wäre eine Bodenpolitik, die den Grund nicht länger als reproduzierbare Handelsware missversteht.
Dies ist der erste Teil eines zweiteiligen Artikels. Zur Fortsetzung, in der es unter anderem um die Bedeutung von Boden als Lebensgrundlage geht, gelangen Sie hier.
Autor*innen des Artikels: Isabel Borner und Andreas Haug.
Co-Autor*innen: Jakob Schneider, Dirk Lohaus, Anke Domschky, Florian Moser, Isabel Zelger.
Dieser Artikel ist am 11.11.2021 bereits auf der Onlineplattform der Schweizer Zeitschrift Hochparterre erschienen, unter der Rubrik: Agenda Raum Schweiz 2040. Mit Agenda Raum Schweiz 2040 stiftet Hochparterre die Erneuerung des «Raumkonzept Schweiz» an. Redaktion: Hans-Georg Ba?chtold und Ko?bi Gantenbein. Hier gelangen Sie zu der Erstveröffentlichung.