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Zeit für einen Wandel im Tourismus?

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Beobachtungen aus Barcelona während der Covid19 – Pandemie

Die meisten können sich wahrscheinlich gut an die Tage im Frühjahr 2020 erinnern, als unsere Lebensrealität sich schlagartig veränderte und es beinahe schien, als würde unsere globalisierte Gesellschaft zum Stillstand kommen. Aus sozio-ökonomischer Sicht eröffnete sich damals die Frage, ob neben der Tragik der pandemischen Situation der Moment genutzt werden könnte, die notwendige sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft einzuläuten.

Fast zwei Jahre später fragt man sich, was von diesem Gefühl einer Chance beziehungsweise eines Aufbruchs geblieben ist. Es lohnt sich, einen Blick auf den Tourismussektor zu werfen. Kaum ein Sektor wird so von der kapitalistischen Wachstumslogik getrieben und stand schon vor der Pandemie bezüglich sozialer und ökologischer Verfehlungen so stark im Fokus. Kaum ein Sektor war ein derartiger Pandemietreiber und dementsprechend heftig betroffen in der Krise. Doch auch kaum ein Gefühl wurde in den letzten zwei Jahren so vermisst, wie endlich wieder unbeschwert verreisen zu können. Nie zuvor stand die Tourismusbranche so sehr auf dem Prüfstand wie aktuell.

Um einen Eindruck zu bekommen, ob ein Umdenken im Tourismus durch die Pandemie eingeläutet wurde, macht es Sinn, eine in vielerlei Hinsicht ikonische Stadt im Tourismus genauer zu betrachten: Barcelona.

Eine Stadt zwischen touristischen Erfolgen und zivilgesellschaftlicher Gegenwehr

Barcelona hat sich speziell seit den Olympischen Spielen 1992 zu einem der touristischen Hot-Spots weltweit entwickelt. Tourismus wurde in der jungen Demokratie Spaniens in der post-Franco-Zeit als elementarer Entwicklungsmotor der Wirtschaft angesehen. Dementsprechend wurde die Entwicklung des Tourismus im Land durch neoliberale Gesetzgebungen geebnet. Ideale Rahmenbedingungen also, um Jahr für Jahr tourismusspezifische Indikatoren wie Ankünfte oder Übernachtungen stets aufs Neue zu übertreffen. Dieser Wachstumspfad wurde in Barcelona, aus ökonomischer Sicht sehr erfolgreich, über fast drei Jahrzehnte hinweg bestritten.

An dieser Stelle sei jedoch explizit erwähnt, dass die rasante Ausbreitung des Tourismus keinesfalls als natürliche Entwicklung angesehen werden sollte, sondern durch die politischen/gesetzlichen Rahmenbedingungen, beeinflusst von mächtigen ökonomischen Interessen in der Stadt, erst möglich gemacht wurde. Somit verzeichnete die Stadt im letzten Jahr vor der Pandemie (2019) fast 14 Millionen touristische Ankünfte bei einer Einwohnerzahl von 1,6 Millionen.

Der enorme soziale und ökologische Druck, der auf der Stadt durch den Tourismus lastete, rief jedoch auch Proteste auf den Plan. Speziell in den Jahren nach der Finanz- und Eurokrise formierte sich in der Stadtbevölkerung erheblicher Widerstand gegen das dominante Tourismusmodell. Verschiedene soziale Bewegungen, allen voran die ABDT entstanden, die Kritik am wachstumsorientierten Wirtschaften im Tourismus übten und aktiv forderten, die Rolle und das Gewicht des Tourismus in der Stadt zu überdenken. Kurz gesagt, Barcelona wurde in den letzten drei Jahrzehnten nicht nur ein Paradebeispiel für ökonomischen Erfolg im Tourismus, sondern auch Zentrum des Widerstands gegen die Auswüchse des Massentourismus.

Reaktionen auf die Corona-Pandemie: Festhalten am Status Quo statt Umdenken

Nun war im Frühjahr 2020 wie erwähnt und von uns allen erlebt aber auf einmal alles anders. Wie begegnete man der neuen Situation in Barcelona?

Auf den Schock des auf einmal fast inexistenten Tourismus, von dem so viele in der Stadt abhängig sind, wurde mit einem öffentlichen Rettungsschirm für Tourismusunternehmen reagiert. Die Fokussierung darauf, den Status Quo des Tourismus in der Stadt beizubehalten verdeutlichte sich im Vorhaben eines Ausbaus des zu dieser Zeit beinahe komplett stillstehenden Flughafens. Durch massiven öffentlichen Druck konnte die Erweiterung jedoch verhindert werden.

Von den Stakeholdern im Tourismus wird häufig betont, dass die Pandemie natürlich eine Trendwende bedeutet und man, wie schon vor Covid erläutert, fortan auf Qualitätstourismus setzen wolle. Die Zeiten, in denen man sich dem Massentourismus in Barcelona hingab, seien vorbei und nach der Pandemie soll alles anders, kultureller und nachhaltiger werden.

Obwohl der Terminus nicht eindeutig definiert ist, wird auf Nachfrage deutlicher, was im Endeffekt gemeint ist: wohlhabende Tourist*innen mit hoher Ausgabenbereitschaft und mit Interesse an hochwertigen kulturellen und gastronomischen Angeboten, vorzugsweise aus dem nordamerikanischen oder asiatischen Quellmarkt. An dieser Stelle schließt sich dementsprechend der Kreis zum gewünschten Ausbau des Flughafens. Wenn die absolute Menge an Tourist*innen, zumindest vorerst nicht mehr erreicht werden kann, aber man zukünftig die Ausgaben pro Tourist*in erhöht, sodass der Profit in der Branche bald wieder wachsen kann, bedeutet das keine Transformation des Tourismusmodells, sondern schlicht eine neue Vermarktungsstrategie der Stadt als touristisches Zielgebiet.

„Qualitätstourismus“ anstatt regionaler und dekarbonisierter Tourismusformen

Durch die Abhängigkeit der Stadt vom Tourismus schwindet zudem die Unterstützung der Bevölkerung am tourismuskritischen Diskurs. Dies liegt unter anderem an der Alternativlosigkeit, außerhalb des Tourismus eine Erwerbstätigkeit zu finden. Ab dem Moment, in dem die Schar an Tourist*innen ausbleibt, ist der Tourismus mit all den negativen Begleiterscheinungen (u.a. Anstieg der Preise auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt, Spezialisierung bestimmter Viertel rein auf die Tourismuswirtschaft, Kaufkraftverlust der Einwohner*innen) nicht mehr das primäre Problem, sondern hauptsächlich die wegbrechenden Arbeitsplätze. Durch den eingangs erwähnten öffentlichen Rettungsschirm wurden zwar die Tourismusunternehmen vorerst gerettet, andererseits blieb es leider aus, mit den aufgewendeten finanziellen Mitteln Wege für die im Tourismus Beschäftigten aus ihrer Abhängigkeit von diesem Sektor zu schaffen. Umschulungsmaßnahmen gepaart mit Garantien sozialer Absicherung für die Zeit der beruflichen Umorientierung hätten für viele Beschäftigte eine Aussicht bedeuten können, aus den oftmals prekären Arbeitsverhältnissen im Tourismus zu entkommen.

Die Touristiker*innen haben das Credo des Qualitätstourismus für sich entdeckt und der Bevölkerung, vor allem den Tourismus-Beschäftigten, können keine wirklichen Alternativen geboten werden. Postwachstums-Tourismus würde ein Tourismussystem bedeuten, welches in eine lokalisierte und diversifizierte urbane Ökonomie eingebettet ist, und eine „langsame“ Form des Reisens, basierend auf dekarbonisierter Mobilität, priorisiert. Es wäre ein System in dem sowohl faire Arbeitsbedingungen als auch Entlohnung für die Arbeitnehmer*innen geschaffen werden und welches die Profite in der Destination gerecht verteilt. Kurzum repräsentiert es ein Ausmaß an Tourismus, welches nicht zulasten der lokalen Umwelt und Bevölkerung agiert. Es scheint als könne man in Barcelona die einzigartige Chance, den Tourismus zu reformieren, nicht nutzen, denn dringend notwendige Schritte in die beschriebene Richtung wurden nicht im ausreichenden Maße forciert.

Die bisher ergriffenen Maßnahmen für einen nachhaltigeren Tourismus Post-Covid sind hauptsächlich technischer Natur (Apps für die Lenkung von Besucherströmen; strategische Vermarktung, um Massentourismus zu vermeiden) und haben nicht die benötigte systemisch-transformative Komponente. Es besteht demnach Grund zur Annahme, dass nach der Pandemie eine Rückkehr zum wachstumsorientierten Tourismusmodell in der Stadt mehrheitlich priorisiert wird und bisher keine Indizien auf eine Postwachstums-Wende hindeuten.

 

Literatur:

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Moritz Langer studierte an der LMU München und der University of Amsterdam Geographie mit einem Schwerpunkt auf dem Themenfeld der Wirtschaftsgeographie. Aktuell ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Lehr- und Forschungseinheit Wirtschaftsgeographie an der LMU. Allgemeiner Forschungsschwerpunkt seiner Promotion sind die Transformationspfade hin zu umwelt- und sozialverträglichen Tourismusformen einer Post-Wachstumsgesellschaft. Das hierfür zugrundliegende theoretische Framework bietet der Degrowth-Diskurs. Sein aktuelles Forschungsvorhaben beschäftigt sich mit dem Einfluss der Covid-Pandemie auf tourismuskritische Strömungen und die damit verbundenen Vorhaben, die Postwachstums-Wende im Tourismus in Barcelona einzuleiten.

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