Vor gut einem Jahr haben die Grünen ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet. Über das Thema Postwachstum hatte die Basis vorab kontrovers diskutiert. Im veröffentlichten Programm hieß es dann, dass in der sozial-ökologischen Transformation manche Bereiche wachsen und manche schrumpfen werden. Weiter steht dort, dass Wachstum an sich nicht das Problem sei, sondern der durch Wachstumszwänge ausgelöste Ressourcenverbrauch. Ein Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im Jahr zuvor ging dagegen tiefer an die Wurzel und benannte die Notwendigkeit wachstumsunabhängiger Systeme für eine zukunftsfähige Wirtschaft.
Im Wahlprogramm der Grünen hieß es – vage und abstrakt formuliert –, dass unbegrenztes Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht möglich sei, und dass Wohlstand sich nicht allein durch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts definiere. Auch wenn nie grundsätzlich infrage gestellt wurde, dass eine ausreichende Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch möglich sei, so fand sich in diesen Beschlüssen und Programmen ein Nachdenken über Wachstum und Spuren einer wachstumskritischen Haltung. Doch wie viel davon ist übrig geblieben im Koalitionsvertrag, wieviel im Jahreswirtschaftsbericht des neuen grünen Wirtschafts- und Klimaministers?
Innovation und Wettbewerb vor ökologischen Zielen
Es fällt zunächst auf, dass der neue Koalitionsvertrag der Ampel Wachstum nur vereinzelt als Ziel und noch seltener als Ziel an sich beschwört. Viel häufiger werden die Schlagwörter Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit genannt, die dem Untertitel des Koalitionsvertrags entsprechen. Zum Vergleich: Im letzten Vertrag der Großen Koalition taucht der Begriff Wachstum mehr als doppelt so oft auf. Der neue Koalitionsvertrag behandelt Wirtschafts- und Klimapolitik erstmals in einem gemeinsamen Kapitel. Im zentralen Teil zur Wirtschaftspolitik wird trotzdem klar: Es geht vorrangig um ein Mehr an Innovationen und ein Mehr an Wettbewerbsfähigkeit. Gute Arbeit und klimaneutraler Wohlstand werden nachrangig aufgezählt. Auch für die neue Regierung scheinen soziale und ökologische Ziele weiterhin unter dem Vorbehalt der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu stehen.
Wie sieht es aber aus mit Politiken, die eine absolute Senkung des Ressourcen-, Energie und Flächenverbrauchs voranbringen sollen? Hierzu wird im Kapitel zur Kreislaufwirtschaft das Ziel benannt, den primären Rohstoffverbrauch zu senken. Der gesetzliche Rahmen soll angepasst und es sollen klare Ziele definiert werden. Bestehende rohstoffpolitische Strategien sollen gebündelt werden. Es bleibt zu hoffen, dass dies endlich dazu führt, die Rohstoffpolitik des Wirtschaftsministeriums radikal zu verändern. Denn diese ist bisher auf die Sicherung des steigenden Rohstoffbedarfs der Wirtschaft ausgelegt, statt dem wachsenden Verbrauch sowie Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in globalen Lieferketten etwas entgegenzusetzen. Die Notwendigkeit von Energieeffizienz fällt im Koalitionsvertrag in zwei Nebensätzen. Allerdings kündigte das Wirtschafts- und Klimaministerium in seiner Eröffnungsbilanz im Januar 2022 an, dass bis 2030 der Endenergieverbrauch um 20-25 Prozent gesenkt werden müsse. Eine systemische Senkung des Energieverbrauchs, beispielsweise durch ein Senken der Produktion von schädlichen, energieintensiven Produkten wie Düngemitteln und Pestiziden, wird nicht genannt.
Der Koalitionsvertrag wiederholt das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie, die Inanspruchnahme von neuen Flächen auf unter 30 ha pro Tag bis zum Jahr 2030 zu verringern und spricht davon, Anreize setzen und Fehlanreize vermeiden zu wollen. Diese wenig verbindliche Sprache lässt nicht auf konkrete Maßnahmen hoffen, insbesondere da die Treiber des Flächenverbrauchs wie neue Gewerbegebiete und der Ausbau von Straßen nicht genannt und problematisiert werden. Über diese wenigen Ansätze hinaus ist der Koalitionsvertrag weitgehend von verbrauchs- und produktionssteigernden Politiken durchzogen.
Wachstumskritik im Jahreswirtschaftsbericht? Fehlanzeige
Um den neuen Jahreswirtschaftsbericht 2022 spinnt sich eine Kontroverse. Erste Inhalte waren bereits im Dezember an die Presse gelangt. Im Entwurf las sich für einen Jahreswirtschaftsbericht Erstaunliches: So wurde an einer Stelle beispielsweise angezweifelt, ob ein Ansteigen des Pro-Kopf-Konsums der Bevölkerung wichtiger sei als Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. In der Ressortabstimmung wurde diese sehr vage und sehr vorsichtige Wachstumskritik jedoch gekippt. In der veröffentlichten Fassung zeigt sich deutlich die Handschrift der FDP: Es brauche einen Orientierungsrahmen für Wirtschaftswachstum und der Naturverbrauch müsse vom Wachstum entkoppelt werden. Wachstumskritik lässt sich im neuen Jahreswirtschaftsbericht nicht finden. Allerdings gibt es ein Sonderkapitel zu nachhaltigem und inklusivem Wachstum, in dem alternative Wohlstandsindikatoren aufgelistet werden. Die meisten von ihnen wurden aus der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie entnommen und der Jahreswirtschaftsbericht benennt an mehreren Stellen, dass diese lediglich ergänzend aufgeführt werden. Dass diese Indikatoren eine praktische Relevanz für die Wirtschaftspolitik haben werden, bleibt somit zu bezweifeln.
Fazit: Einige Anknüpfungspunkte für den Postwachstumsdiskurs
Explizite Wachstumskritik oder eine Kritik am Wirtschaftssystem tauchen also weder im Koalitionsvertrag noch im Jahreswirtschaftsbericht auf. Es lassen sich jedoch einige Anknüpfungspunkte für Postwachstumsdiskussionen finden. Die Zivilgesellschaft sollte diese nutzen, um noch deutlicher zu machen, dass eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch realistisch nicht möglich ist und wir deshalb eine breitere gesellschaftliche Diskussion über eine wachstumsunabhängige Wirtschaft brauchen. Wir sollten Wirtschaftspolitik dabei zukünftig an zweierlei messen: Erstens, ob sie eine absolute Reduktion von Konsum und Produktion bewirken kann, die sozial gerecht ausgestaltet ist, und zweitens, ob sie ihren Beitrag zu einer demokratisierten Produktion leisten kann, die sich an menschlichen Bedürfnissen statt am Gewinn orientiert. Nur so kann es Wohlstand und ein gutes Leben für alle innerhalb planetarer Grenzen geben.
Literatur:
SPD.de, GRUENE.de, FDP.de (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP. Online verfügbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1.
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): Jahreswirtschaftsbericht 2022. Für eine Sozial-ökologische Marktwirtschaft – Transformation innovativ gestalten. Online verfügbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/jahreswirtschaftsbericht-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=18.
Am 28. Februar war auf
https://taz.de/Klima-Minister-Robert-Habeck/!5835101/
zu lesen:
… Doch geht es nicht um großideologische Fragen, schon gar nicht um wohlfeiles Gerede von der Überwindung der „kapitalistischen Marktwirtschaft“ und dergleichen. Es sei denn selbstverständlich, man möchte die liberale Demokratie loswerden. Es geht auch nicht um Schrumpfung, denn die Expansion der Menschheit ist nichts, worüber man diskutieren kann. Die Weltbevölkerung wird wachsen und den Nationalstaaten des Südens ist das Recht auf Wohlstandszuwachs sicherlich nicht zu verwehren. …
Dazu meine Meinung:
Geschätzte 99,99 Prozent der Menschen (der Parteien, der Medien) mögen eines überhaupt nicht: den Gedanken an Schrumpfung.
Auch wenn ich nun zu den 0,01 Prozent gehören sollte, die allein in der „Schrumpfung“ den Ausweg aus all den Krisen der Jetztzeit sehen, habe ich die Hoffnung, dass gerade in diesem Jahr das Thema „Grenzen des Wachstums” an Bedeutung gewinnen könnte, 50 Jahre nach Erscheinen des aufrüttelnden Berichts.
Zu dem oben Zitierten nur soviel:
Denen es gut geht auf dem Planeten, die üben sich ja bereits im Schrumpfen, leider nur zahlenmäßig. Ginge es allen gut, wäre die weitere Expansion der Menschheit wohl gestoppt.
Geplantes Schrumpfen der Weltwirtschaft ist erträglicher als erzwungenes. Die Erde braucht den Menschen nicht, der Mensch braucht die Erde. Dann sollte er sich entsprechend benehmen.
Wenn weder die „kapitalistische Marktwirtschaft“ oder die „Liberale Demokratie” oder auch der „Kommunistische Kapitalismus” nicht fähig sind, sich vom Wachstumszwang zu befreien, ist das nichts anderes als das Todesurteil für die Menschheit.
Gerade sind wir Zeugen einer weiteren Beschleunigung des Rüstungswettlaufs …