Das westliche Weltbild beruht auf einem Naturverständnis und auf Naturwissenschaften, die die Natur als etwas Äußeres definieren, das wir für unsere Zwecke ohne groß nachzudenken nutzen dürfen. Zwar gibt es in Deutschland Gesetze und Verordnungen, die „die Umwelt“ oder „die Natur“ vor einer Übernutzung schützen sollen, die Begründung der Schutzwürdigkeit erfolgt aber stets aus anthropozentrischer Perspektive. Einen Wert erhält die Natur erst durch den Menschen, soweit er auf sie für sein Überleben oder die Befriedigung seiner Bedürfnisse angewiesen ist. Die heute weltweit aktive Biokratie-Bewegung (www.rechte-der-natur.de; www.therightsofnature.org), an deren Entstehung ich mitwirken durfte, sieht das anders: Sie fordert die Vereinten Nationen auf, die Forderung nach Menschenrechten um die Forderung nach Rechten der Natur zu ergänzen. Die Verfechter/innen des Biokratie-Gedankens in Deutschland gehen noch einen Schritt weiter: Sie halten eine Weiterentwicklung unserer Demokratie zu einer Biokratie für wünschenswert.
Wenn Staaten – wie kürzlich geschehen – Flüssen den Status einer eigenen Rechtsperson verleihen, lässt dies aufhorchen. Die Hintergründe dieser Entscheidungen sind eine Betrachtung wert. Besonders bemerkenswert erscheint mir: Die Begründung mit der diese Entscheidungen von Jurist/innen getroffen wurden, geht über reine Nützlichkeitsbetrachtungen hinaus und berücksichtigt das Naturverständnis mit dem Kulturen der Welt begegnen.
Der Weg dorthin war weit: Seit 140 Jahren kämpfen Ureinwohner Neuseelands für die Anerkennung des Whanganui als eigenständiges, lebendiges Wesen, denn den Whanganui verehren sie als ihren Vorfahren, er ist Teil ihrer Familie. Mit der Anerkennung des Whanganui River als eigenständige Rechtspersönlichkeit respektiert das Neuseeländische Parlament Mitte März 2017 diese Haltung der Maori, obwohl dieses Denken dem instrumentellen Denken des Westens fremd ist. Der für die Beziehungen zu den Ureinwohner/innen zuständige neuseeländische Minister Chris Finlayson erklärte gegenüber der BBC, dass es einer Welt, in der Stiftungen oder Unternehmen Rechtspersonen sein dürften, eigentlich nicht so besonders exotisch sei, dieses Recht auch Flüssen zuzugestehen. Das neue Gesetz sei Ausdruck des Respektes seiner Regierung vor der spirituellen Bindung des Whanganui Iwi – Stamms zum Whanganui. Ganz neu, war das Thema aber nicht: 2013 hatte die Regierung mit dem Te Uewera Act den Te Urewera Nationalpark bereits mit allen Rechten und Pflichten einer Rechtsperson ausgestattet.
Ende März 2017 sprachen die Richter Rajeev Sharma und Alok Singh im nördlichen indischen Bundesstaat Uttarakhand den Flüssen Ganges und Jamuna und allen ihren Nebenflüssen und -strömen den Status von „juristischen/legalen/lebenden Entitäten“ zu. Drei Personen wurden als Vormünder für die Flüsse bestimmt. Außerdem entschieden die Richter, dass innerhalb von drei Monaten ein Managementausschuss für den Fluss funktionsfähig sein muss. Ein mutiger Akt wie es aussieht und wohl auch ein Akt der Verzweiflung, denn der Ganges gilt als einer der am gravierendsten verschmutzen Flüsse.
Sind diese Flüsse damit ein für alle Mal geschützt? Das vermute ich nicht. Der Kampf von „Mutter Ganges“ und ihren Seitenflüssen sowie von Urahn Whanganui um ihre Rechte fängt jetzt erst richtig an. Ich denke: Beide Entscheidungen gehen in die richtige Richtung. Es macht sicherlich einen signifikanten Unterschied, ob der Fluss selber (mit Hilfe seiner Anwälte) sein Recht auf Unversehrtheit aktiv einklagen kann oder nicht. Denn schließlich ist jeder schädliche Eingriff ab sofort genauso zu behandeln, wie ein strafbarer Angriff auf eine Person.
Diese Weiterentwicklung des Rechts wird mit Sicherheit Auswirkungen auf die gesamte Rechtsprechung haben und die Position all derer stärken, die die Natur respektieren und schützen wollen.
Im hinduistisch geprägten Indien, in dem nicht nur der Ganges sondern im Prinzip alle Lebewesen den Menschen heilig sind, dürften es aber vor allem Armut, soziale Ungleichheit, fehlende Bildung, fehlende Infrastruktur und Missmanagement sein, die Mutter Ganges das Leben schwer machen. Die Beseitigung dieser Missstände erfordert staatliches Handeln. Bleibt zu hoffen, dass das neue juristische Statut dazu beiträgt, die notwendigen finanziellen und administrativen Ressourcen für den Schutz dieser Flüsse zu mobilisieren.
Während in Neuseeland also, die Anerkennung des Whanganui tatsächlich als ein Beispiel für einen Paradigmenwechsel in unserem Naturverhältnis angesehen werden kann und vor allem die Natur zu ihrem Recht kommt, wird es in Indien vor allem darauf ankommen, die Menschenrechte auf sauberes Wasser und Infrastruktur zu ihrem Recht kommen zu lassen, damit Mutter Ganges sich erholen kann. Als Pionier umweltorientierten Managements bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Rahmenbedingungen grundlegend geändert und die Rechte der Natur endlich anerkannt werden müssen, wenn wir sicherstellen wollen, dass Nationen und Unternehmen auch in Zukunft noch nachhaltig leben und wirtschaften können.
Die Natur mit Rechten auszustatten ist ein erfolgversprechender Weg, den Kräften Rückenwind zu geben, die in den Grenzen der Natur wirtschaften wollen. Bisher hatte die Natur keinen Preis. Anderseits glaube ich aber auch nicht daran, dass eine Ökonomisierung der Natur der richtige Weg ist. Es geht vielmehr darum, unverrückbare Grenzen zu setzen (Natur first!).
Es ist dann die Aufgabe der Unternehmen ihre Ressourcen und Innovationsfähigkeit dafür einzusetzen, innerhalb dieser Grenzen und an diesen Grenzen zu wachsen und in Symbiose mit der Natur zu wirtschaften.