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Wachstumszwang

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Wachstum – eine Naturnotwendigkeit? Hans-Christoph Binswanger ist sich sicher: wir müssen mindestens 1,8% jährlich wachsen. Sonst bricht die Marktwirtschaft zusammen. Sind wir inzwischen Sklaven unseres Systems und müssen wachsen, weil es nicht anders geht? Liegt Binwanger falsch oder müssen wir unsere Wirtschaftsordnung verändern?

Wir haben keine Wahl. Wir müssen wachsen. Zu diesem Schluss gelangt Hans Christoph Binswanger in seinem Buch über die „Wachstumsspirale“. Der renommierte Ökonomieprofessor aus St. Gallen bezieht sich dabei auf das Wirtschaftswachstum. Das Phänomen, das alle Politiker beschwören, das oft zum Heilsbringer und Multiproblem-Löser stilisiert wird, aber auch das Phänomen auf das Klimawandel-Bekämpfer, Postwachstumsökonomie-Verfechter und Konsumkritiker schimpfen und das sie eliminieren wollen. Und genau in diese kontroverse oft auch hitzige Debatte bringt Binswanger die These ein, dass es eine objektive Tatsache sei, dass die Weltwirtschaft jährlich um wahrscheinlich 1,8% wachsen müsse. Sonst – so die These – bricht sie zusammen. Ist eine  Marktwirtschaft nicht möglich. Binswanger begründet seine provokante und konsequenzenreiche Behauptung unter anderem wie folgt: Mit jedem Kredit den eine Bank Unternehmen einräumt, wird Geld sozusagen „aus dem Nichts“ geschöpft, welches dann mit Zinsen an die Bank zurückgezahlt werden muss. Es muss in Summe also immer mehr Geld zurückgezahlt werden als ursprünglich als Kredit geschöpft wurde. Das ist nur möglich, wenn die Geldmenge (zum Beispiel) durch noch mehr Kreditaufnahme der Unternehmen steigt. Zinsen werden sozusagen durch neue Kredite finanziert. Diese neuen Kredite verursachen aber wiederum neue Zinsen. Die Zinsen zwingen eine Volkswirtschaft also immer mehr Geld zu leihen, also zu schöpfen. Setzt man – wie Binswanger – Geldmengenwachstum mit Wirtschaftswachstum gleich, so bedeutet es, dass das Zinssystem einen systemimmanenten  (Wirtschafts)-Wachstumszwang inne hat. Anders gesagt: wenn die Kapitalbesitzer ihr Geld verleihen wollen und am Ende mehr bei allen sein soll, dann muss die Geldmenge wachsen und mit der Geldmenge wächst die Wirtschaft.

Binswanger verwendet diesen Zusammenhang als Grundlage für ein Modell (das zudem über 20 weitere Annahmen beinhaltet) und kommt zu dem Schluss, dass wir um jährlich 1,8% wachsen müssen.

Viele Ökonomen und Politiker wollen diesen Zusammenhang nicht einfach akzeptieren.  Das zeigt sich z.B. bei der Diskussion in der 7. Sitzung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ und ist leicht zu verstehen. Bedeutet es doch, dass sich das Welt-Bruttosozialprodukt, wie der Ökonom Meinhard Miegel ausführt, bis 2100 verachtfachen müsste. Den Klimawandel aufzuhalten und einen angemessenen Umweltschutz zu gewährleisten ist mit so einer Steigerung nicht machbar. Wenn  Binswangers recht hat, bleibt uns nur die Möglichkeit die Art unseres Wirtschaftens zu ändern um den Wachstumszwang zu entgehen. Gegen Binswangers Modell spricht, dass Geldmengenwachstum und Wirtschaftswachstum nicht zwangsläufig verbunden sein müssen. Den Mainstream-Ökonomen zufolge führt Geldmengenwachstum zu steigenden Preisen und nicht unbedingt zu einer steigenden Wirtschaftsleistung. Das zeigt das Beispiel steigender Häuser- und Bodenpreise: Häuser die auf Pump finanziert werden und dann auf Pump immer teurer weiterverkauft werden, weil alle Markteilnehmer glauben, die Preise werden weiter steigen (siehe Subprime-Krise), führt nicht automatisch zu realer wirtschaftlicher Dynamik. Aber selbst wenn Geldwachstum immer mit Wirtschaftswachstum einher gehen sollte, so heißt das noch lange nicht, dass Wachstum eine „Naturnotwendigkeit“ ist. Denn Wachstum braucht das Binswanger-Modell nur, weil Wirtschafts- und Geldsystem so gestaltet sind, wie sie es heute sind. Aber sind wir nicht selbst Schöpfer dieser Systeme und können Sie verändern? Können wir nicht andere Geldsysteme finden, die mit den Herausforderungen des Wachstums besser umgehen können? Oder werden wir, wenn wir kein Wachstum mehr wollen, auch keine Gewinne mehr brauchen? Binswanger schlussfolgert, dass wir entweder in die Selbstversorgung zurück können, Marktwirtschaft durch Planwirtschaft ersetzen oder mit 1,8% Wachstum fertig werden müssen. Doch sind unsere Optionen wirklich so beschränkt? Können wir wirklich nur zurück, nach rechts oder nach links? Ich glaube nicht. Es gibt bereits viele alternative Ansätze wie z.B. Schwundgeld, Grundeinkommen und alternative Unternehmensformen und es wird mit Sicherheit in Zukunft noch viele neue Ideen geben. Wege, die uns in der Vergangenheit noch verschlossen waren, müssen wir in der Zukunft finden.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „Postwachstumsökonomie“ an der Universität Witten/Herdecke in Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

1 Kommentare

  1. Claude-Alain Perrochet sagt am 29. Dezember 2012

    H. C. Binswanger ist ein Autor, den ich sehr schätze und einige seiner Bücher auch mit Interesse gelesen habe. Wie aber Armin Steuernagel richtig erwähnt, geht Binswanger unter anderem von einem unveränderbaren Geldsystem aus.

    Generell kann die Aussage gemacht werden, dass in einem System, in dem es Voraussetzung ist, Geld verdienen zu können durch Besitz, eine nachhaltige Lösung des Wachstumszwangs kaum möglich ist. Ausser man geht von unrealistischen Annahmen aus, z.B., dass der Besitz an Boden, Rohstoffen usw. gleichmässig verteilt ist.

    Die Überwindung des Wachstumszwang setzt eine Wirtschaft voraus, in der fast keine leistungslosen, besitzabhängigen Einkommen mehr fliessen. H.C. Binswanger untersucht die ursächlichen Rahmenbedingungen kaum, welche die Entstehung von leistungslosen Kapitalerträgen erzwingen. Zumindest stellt er diese nicht in Frage bzw. betrachtet sie als gegeben. Das erzwingen können von leistungslosen Kapitalerträgen beruht hauptsächlich auf folgende Rahmenbedingungen:
    – garantierter Mindestzins von 0% für den Besitz von Tauschmittel
    – Geldschöpfung bei den Geschäftsbanken
    – Boden (u.a. natürliche Ressourcen) als Geldanlage
    – ein Patentrecht, welches hohe Kapitalerträge schützt

    Alle diese Rahmenbedingungen ermöglichen es, aus Besitz Vermögenserträge zu generieren, welche durch keinen Wettbewerb gefährdet werden können. Die genannten Rahmenbedingungen ermöglichen durchaus ein als erpresserisch zu nennendes System.

    Als Folge davon muss der zu verteilende Kuchen exponentiell wachsen – entsprechend des Wachstums der Vermögen durch Kapitalerträge. Sonst wird der Anteil am Kuchen für diejenigen, welche ohne Besitz und nur durch eigene Leistung an Kaufkraft kommen müssen, immer kleiner. Das führt unter anderem auch rasch zu Absatzkrisen, da die Empfänger der Kapitalerträge nicht daran interessiert sind, alles das zu konsumieren, was die Nicht-Kapitalertragsempfänger sich nicht leisten können aber produzieren müssen, um die Kapitalerträge zu finanzieren.

    Also funktioniert das System nicht ohne Wachstum. Dieses ermöglicht, dass sich Unternehmen für Investitionen immer mehr verschulden können und somit in einer ersten Phase mehr konsumieren als produzieren können. Mit dem Vermögenswachstum ohne Konsuminteresse einerseits, muss auf der anderen Seite der Markt immer mehr auf Pump geräumt werden. Dies ist nur nachhaltig, wenn dies für Investitionen geschieht, was aber in Zukunft zu noch mehr Güter und desshalb Kreditbedarf führt, um den Markt zu räumen usw. Es ist ein Schneeballsystem im Dienst des leistungslosen Vermögenswachstums, dem sich alles unterzuordnen hat, da ohne nicht (genügend) investiert wird. Es gibt nur Wachstum oder Krise als Alternativen. Ein Mittelweg ist nicht möglich.

    Die Vermögens- und Schuldenwachstumsspirale funktioniert solange die Wirtschaft wächst. Sobald die Märkte gesättigt sind, stockt das System und droht abzustürzen. Zuerst kann mit Staatskonsum auf Pump und dann mit der Notenpresse nachgeholfen werden. Beides ist nicht nachhaltig. Eine nachhaltige Lösung ist nur möglich, wenn das leistungslose Geldverdienen als Voraussetzung (nicht als Folge!) des Wirtschaftens mit zunehmender Sättigung abnimmt. Und dies bedeutet, dass die Ursachen von leistungslosen Kapitalerträgen erkannt und beseitigt werden müssen.

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