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Ringvorlesung: „Wohlstand ohne Wachstum?“ – Die Erkenntnissumme einer Bilanz

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Immer wieder donnerstags – zum vorletzten Mal hatten die Berliner*innen die Gelegenheit, am 7. Februar 2013 zur Frage „Wohlstand statt Wachstum?“ an der Technischen Universität Berlin zu diskutieren. Moderiert von Wolfgang Neef, stand die Veranstaltung diesmal unter dem Motto „Umweltpolitik Deutschland – eine Leistungsbilanz“. Hubert Weiger und Martin Jänicke präsentierten ihre Thesen zum Thema und stellten sich zwei Stunden lang einer Diskussion mit dem Publikum.

Auch wenn einige bekannte Weisheiten der Wachstumskritik wiederholt wurden, an Aha!-Momenten mangelte es nicht. Eine Bewertung vergangener Leistungen war schnell abgeschlossen, denn die Teilnehmenden verlangten einen Ausblick in die Zukunft.

„Wir haben punktuelle Fortschritte statt einer Systemwende erreicht“

Doch zunächst zum eigentlichen Thema der Vorlesung. Vier Jahrzehnte Umweltpolitik in Deutschland, das bedeutet laut beiden Referenten vor allem Widersprüchlichkeit. Während Luft- und Wasserqualität seit Jahren von technologischen Innovationen profitierten, werde der Schutz von Klima, Boden und Biodiversität auf Kosten des wirtschaftlichen Wachstums vernachlässigt.  Die Anti-AKW-Bewegung wurde gelobt, doch die Kohleverstromung als politisch ignorierter schwarzer Peter der Klimapolitik verurteilt.  Obwohl das Waldsterben auf Druck der Medien, Wissenschaft und Bürger*innen gestoppt wurde, zerstören heute Pestizide Boden und Artenvielfalt durch die Regeln der industriellen Landwirtschaft. Ein erstes Fazit kommt von Hubert Weiger: „Wir haben punktuelle Fortschritte statt einer Systemwende erreicht“.

Was bedeuten diese Kontraste in der Bilanz für die aktuelle Wachstumsdebatte? Was können wir aus 40 Jahren Umweltpolitik lernen?

Die umweltpolitischen Erfolge Deutschlands liegen laut Jänicke in den Bereichen, in denen marktfähige technologische Lösungen verfügbar sind. Die Grenzen des Naturschutzes scheinen nämlich da gezogen zu werden, wo er das Wirtschaftswachstum beschränkt. Dabei stellten gerade die umweltfreundlichen Technologien laut Prognosen einen wahren Wachstumstreiber im „grünen Wirtschaftswunder“ dar. Was an Jobs und Umsätzen in der Branche der grünen Technologien entsteht, solle aber nicht einfach als Ergänzung zum Wachstum der konventionellen Industrie laufen. Es sei stattdessen eine Chance, Deutschlands schmutzigen Wohlstand zu säubern. Schnelles Wachstum umweltfreundlicher Technologie, addiert zum Abbau konventioneller schädlicher Industrie, resultiere in einer moderaten Entwicklung. Davon profitierten letztlich alle – Staat, Bevölkerung, Umwelt. Dies war ein Aha!-Moment für mich. Martin Jänicke plädiert daher dafür, Deutschlands Stärken in der Umwelttechnologie politisch zu fördern, statt an den Schwächen der konventionellen Industrien festzuhalten.

„Man kann Probleme nicht mit dem Denksystem lösen, das sie verursacht hat“

Jänicke präsentierte außerdem eine These, die vom Publikum mit großem Interesse aufgenommen wurde:  In Deutschland sei nicht das moderate Wachstum von 1% das eigentliche Problem der Umwelt, sondern die zugrundeliegenden 100% der Wirtschaftsleistung. Ein weiterer Aha!-Moment für mich. Würde die Produktion nicht steigen, blieben ihre negativen Effekte – Verschmutzungen, Raubbau, Artenrückgang – trotzdem in einer Stärke bestehen, die die Natur nicht dauerhaft kompensieren kann. Nullwachstum bedeutet daher eine zu harmlose Forderung, denn „Kohle ist auch ein Problem, wenn sie nicht wächst“.

Nicht nur Politik und Wirtschaft, auch die akademische Welt musste sich in ihren heiligen Hallen der Universität Kritik von Podium und Publikum gefallen lassen. Statt Zukunftstrends vorherzusehen und zu initiieren, laufe die Wissenschaft der Realität hinterher. Finanzielle Abhängigkeit von Drittmitteln aus der Privatwirtschaft bedeute eine Schwächung ihrer Kritikfähigkeit schwächen.  Das getroffene Fazit: Da konstruktive Kritik der Motor jeder Entwicklung ist, muss eine funktionierende Umweltpolitik daher auf einer nachhaltigen Wissenschaftspolitik aufbauen.

Für Hubert Weiger liegt die Lösung der aktuellen Umweltsorgen nicht in einer Politik ‚von oben‘, sondern im Ausbau der Basisdemokratie. Durch Bürgerbeteiligung könne so manches umweltschädliche Projekt in seine Schranken gewiesen werden. Wo Genossenschaften entstehen, verliere dadurch der kapitalistische Profitdruck seine Macht und nachhaltige Produktion wird Realität. Würden solche Prozesse aus der Basis der Gesellschaft nicht durch Bürokratie und industriepolitische Interessen behindert, hätte die nächste Bilanz einer deutschen Umweltpolitik die Chance auf ein positives Ergebnis für alle, so Weigers These. Mein dritter Aha!-Moment an diesem Abend.

Dazu wurde der Geist Einsteins in den Saal geholt: „Man kann Probleme nicht mit dem Denksystem lösen, das sie verursacht hat“. Wer sich als Konsument*in nicht als Erfinder*in der Ökoprobleme fühlt, findet daher mit ein bisschen Engagement vielleicht genau den richtigen Lösungsansatz. Und zwar dort, wo die Politik blind bleibt. Augen auf! Nicht für den Blick zurück, sondern nach vorn.

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