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Postwachstum is taking over?

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Der letzte Tag der Konferenz „Great Transformation. Die Zukunft moderner Gesellschaften“ bricht an. Am Vorabend wies Nina Treu vom Konzeptwerk Neue Ökonomie in Maybrit Illners Sendung auf die ungerechten und undemokratischen Facetten eines Green Growths hin. Sie betonte, dass aus dem Zusammenhang von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum, ob mit oder ohne grünen Anstrich, kein tragbares und zukunftsfähiges Modell auszumachen ist.

Auch zum Vormittag des Abschlusstages klingt das Interesse an der Großen Transformation nicht ab – gegebenenfalls beflügelt, dass diese Positionen zunehmend in der medialen Öffentlichkeit vertreten sind und (oder auch gerade) durch beste Stimmung während der Abschlussparty am Vorabend.

Die Sessions der vergangenen Tage brachten eine breite Auswahl an Formaten hervor. So erlebte ich Zukunftswerkstätten, Streitgespräche, Buchpräsentationen, Plenen und spannende Diskussionen nach der Vorstellung von Forschungsergebnissen. Der Auswahlprozess der Veranstaltungen ging zugleich als Abbild einer Multioptionsgesellschaft (Peter Gross) stets mit Überforderung einher. An diesem Vormittag probierte ich mich in einer Abschlusssession an einem Open-Space Format zum Thema „Sinnvolle Arbeit – Arbeit neu denken in der Postwachstumsgesellschaft“. Die Organisatorinnen Friederike Hardering und Mascha Will-Zocholl leisteten als Arbeitssoziologinnen bereits mehrere interessante Forschungsbeiträge zu dem Thema Sinn. Die Anekdote, die von den Organisatorinnen zu Beginn angeführt wird, ist bezeichnend für ein problembehaftetes Denken: Studierende wurden in zwei Gruppen aufgeteilt und sollten eine Dystopie oder eine Utopie zur Zukunft der Arbeitswelt entwickeln. Die Dystopie wurde besonders kreativ illustriert. Der Utopie-Gruppe hingegen gelang es nicht, eine gemeinsame Vision zu entwickeln.

In dem dynamischen Format der Zusammenarbeit des Open-Space soll der Gedanke der Utopie nochmals aufgegriffen werden, um positive Aspekte einer wünschenswerten Zukunft der Arbeit herauszuarbeiten. Neun Impulsgeber/innen aus der Forschung geben Anregung in einen Themenparkplatz, aus dem sich zwei Themencluster für den Austausch herausbilden:

  1. Was verstehen wir unter Sinn?
  2. Arbeit jenseits von Erwerbsarbeit

Die erste Gruppe stellt heraus, dass Sinn durch eine Dreistufigkeit geschaffen werden kann: materiell (monetär), affektiv (subjektiv – als Selbstverwirklichung), weltrational (intersubjektiv – als gesellschaftlicher Beitrag). Die Gefahr besteht, dass diese Sinnorientierungen durch die Ökonomisierung vereinnahmt werden und somit zu einer zunehmenden Entfremdung führen. Eine kritische Anmerkung wird zugleich aus der Resonanztheorie Rosas aufgegriffen: Die Antwort auf die Frage, ob einer Arbeit nachgegangen werden muss, ist eine gesellschaftlich vorgegebene. Die Sinnfrage muss nicht gestellt werden, da sie allein schon mit der Notwendigkeit des Geldverdienens beantwortet wird. Wie Tätigsein letztlich begriffen werden soll, ist eine andere Frage: Als obligatorisches Mitmachen, um nur zum Eigennutzen wertvolle Dinge herauszuziehen oder als Beitrag, um an einer gesellschaftlichen Aufgabe teilzuhaben?

Die zweite Gruppe offenbart die zugrunde liegende Diskrepanz, die zwischen der Erwerbsarbeit, der man nachgeht und der, die man gerne praktizieren würde, besteht. Folglich ergeben sich Kompensationsmechanismen für die Zeit außerhalb der Erwerbsarbeit. So engagieren sich viele über Freiwilligenarbeit und Ehrenamt etwa für Projekte aus dem Postwachstumsbereich. Demgegenüber wird verlangt, demokratische Ausgestaltungsprozesse zu verwirklichen, um gesellschaftlich sinnvolle (und notwendige) Tätigkeiten hervorzuheben. Care- und Fürsorgetätigkeiten sollen hierbei die entsprechende Bedeutung beigemessen werden, die in ihrer gesellschaftlichen Sinnstiftung stehen.

Im Anschluss an dieses sehr offene Format, findet die abschließende Frontalveranstaltung mit Klaus Dörre, Hartmut Rosa und Stephan Lessenich statt, die klare Worte zur Transformation finden. Es ist nicht mehr „fünf vor 12“, sondern vielmehr halb eins oder halb zwei.

Unmittelbar nach der Finanzkrise und zu Beginn des DFG-Postwachstumskollegs befand sich die „Soziologie am Puls der Zeit“ (Lessenich). Heute hat sich die Soziologie auch einer Selbstkritik zu stellen: „Wie wollen wir Soziologie betreiben?“ (Rosa). Diese Kritik nimmt Lessenich auf und verlangt „nach vorne zu schauen“ und auszuarbeiten, „was der problembehafteten Analyse eigentlich folgt?“. Ihm zufolge sollte vielmehr in die Beantwortung der Frage investiert werden, wie sich institutionelle Formen verändern lassen und anhand von Praktiken aus dem Postwachstumsbereich deutlich gemacht werden, wie eine Transformation erreicht werden kann. Es sei die Aufgabe, „Reflexionswissen zu produzieren, die in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse Eingang findet“. Neue Praktiken wiederum sollen in neuen Theorien münden. So sei ein „bloß theoretisches Interesse an der Soziologie grundlegend falsch“ (Lessenich).

Dörre betont die Unsicherheit, ob der öffentliche Debattenraum in Zukunft auch in Deutschland bestehen bleiben wird. Mit den anstehenden Wahlen in Thüringen unter dem Vorzeichen eines ansteigenden Rechtspopulismus plädiert er dafür, „den Raum, in dem um Wahrheit gerungen wird, zu verteidigen“. Die Konferenz der letzten Tage stellt er als ein solches Beispiel heraus. Lessenich teilt diesen Eindruck und deutet darauf hin, dass es gesellschaftliche Kämpfe geben wird. Aufgrund des verbreiteten Dogmas des Carpe Diem und der gesellschaftlichen Akzeptanz für ein „Weiter so“, übt er Kritik am Status Quo: Wer kann sich welche Freiheiten auf Kosten anderer noch leisten? Es muss dementsprechend an das Eingemachte gehen, was den Fortschrittsglauben vollständig in Frage stellt.

Rosa vertritt eine Gegenposition. Statt „verbieten und kämpfen als aggressive Weltbeziehung“ plädiert er im Sinne Charles Taylors („Best Account“) für die bestmögliche Deutung unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation. Dies könne mit den Fragen Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Wer können wir sein? ergründet werden – als „globaler, verbindender Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen, Generationen und über die Landesgrenzen hinweg“. Nur so kann in einem Deutungsvorschlag die zentrale „Human Condition“ ausgearbeitet werden.

Eine Vertreterin (Julia) der Students for Future erhält vor der abschließenden Diskussion die Möglichkeit eines Aufrufs: Fridays for Future soll an die Universitäten gebracht werden. In einem gemeinsamen bundesweiten Beschluss der Students for Future sollen vom 2.12. bis zum 6.12. alle deutschen Universitäten bestreikt und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, um eine Public Climate School zu veranstalten. In dem prallgefüllten Raum werden alle Menschen aus der Wissenschaft gebeten, von ihrem Lehrangebot in der ersten Dezemberwoche zurückzutreten, um – im Sinne der Public Sociology – für eine Woche die breite Öffentlichkeit über Themen der Nachhaltigkeit miteinander diskutieren zu lassen.

Für mich bleiben die offenen Fragen, inwiefern es die Soziologie als Selbstverständnis begreift, konstruktiv einen Beitrag für die Praxis einer Transformation zu leisten und wie die Essenzen aus dem DFG-Postwachstumskolleg weiterverarbeitet werden. Während der Konferenz kam mir zu Ohren, dass an der Universität Hamburg das Kolleg „Zukünfte der Nachhaltigkeit“ von der DFG bewilligt wurde. Dort, sowie an anderen Orten der Welt erhoffe ich mir, dass neues Reflexionswissen produziert wird, um neue Praktiken für den Einstieg in eine Postwachstumsgesellschaft zu konkretisieren.

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