Teil 3 von 3
Mehr als die Hälfte der notwendigen Arbeit in Deutschland wird nicht bezahlt und als unentlohnte Sorgearbeit überwiegend von Frauen geleistet (Winker 2021: 21). Lohnarbeitsgesellschaften trennen „zwischen dem Produktiven (der Erwerbsarbeit für den Markt [und Staat]) und dem Un-, bestenfalls Reproduktiven (den zumeist weiblichen Tätigkeiten jenseits des Marktes und den Leistungen der Natur). Als Ökonomie zählt nur der Markt, als Arbeit nur Erwerbsarbeit“ (Biesecker 2014: 1). Dabei wird Natur und Sorgearbeit nicht nur unsichtbar, sondern für sie hat die Gesellschaft weder Zeit noch Ressourcen. „Für die Sorge um ihre Regeneration ist in der ökonomischen Rationalität kein Platz. Daher wirkt diese Ausgrenzung so zerstörerisch“ (Biesecker 2014:1). Die Natur hat keine Zeit das CO2 zu absorbieren, die Fischbestände keine Zeit sich zu erholen, Eltern keine Zeit für ihre Kinder und die Pfleger*innen keine Zeit für gute Pflege. Feministischen Ökonom*innen geht es deshalb „nicht einfach um die Aufwertung oder Integration des Pflegesektors […][,] Care wird vielmehr zum Kriterium für alles Wirtschaften“ (Praetorius/Grünefelder 2018: 17). „Um der Abwertung und Überbeanspruchung der untentlohnten Sorgearbeit sowie der Stoffkreisläufe im Kapitalismus zu begegnen, muss die Trennung der gesellschaftlichen Arbeit in entlohnte und unentlohnte Arbeit beendet werden“, sollte „entlohnte Arbeit zurückgedrängt und […] unentlohnte Arbeit verallgemeinert werden“ (Winker 2021: 92).
Auch die Praxis von Commons bricht mit Lohnarbeit und einer Güterverteilung nach Geld und ‚Arbeitsleistung‘ – wo sich immer die Frage stellt, was als Arbeit gilt und wer körperlich und qua Erziehung zu welcher Leistung fähig ist. Forschte Elinor Ostrom vor allem zur kollektiven Nutzung von offenen Ressourcen wie Weiden, Wäldern und Seen (Ostrom 1990), untersuchen Commonsforscher*innen heute wie auch Produktions- und Konsumptionsmittel in Wikipedia, solidarischen Landwirtschaften oder sozialen Bewegungen kollektiv genutzt werden. Für die Menschheit war die kollektive Nutzung von Gütern über zehntausende Jahre wahrscheinlich eher Standard als Ausnahme.
Viele Jäger- und Sammler*innen, aber auch erste Bäuer*innen lebten weitgehend egalitär und teilten viele Früchte ihrer Arbeit (Flannery/Marcus 2012, Scott 2017). Ethnolog*innen des 20. Jahrunderts waren verwundert, dass viele Jäger- und Sammler*innen dem Einzelnen das Recht einräumten „jeden anderen spontan zu ‚besteuern‘“, „dass niemand es hier als unhöflich empfand, von einem anderen rundheraus etwas zu erbitten, wogegen es als große Unverschämtheit galt, eine solche Bitte abzuschlagen“ (Suzman 2021: 148, 145). So verteilten sie materiellen Wohlstand relativ gleichmäßig, alle erhielten genug zu essen, egal wie produktiv sie waren und seltene oder kostbare Dinge gingen durch viele Hände (Suzman 2021: 148). Doch die entstehenden herrschaftlichen Gesellschaften und Systeme führte gegen diese Commons-Praxis so lange Krieg, bis heutzutage eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder nicht durch Trennung von Konsumgütern zur Arbeit nötigt, kaum noch vorstellbar ist.
Wer macht dann die Müllabfuhr?
Eine Care-Commons-Planwirtschaft müsste Arbeit bedürfnisorientiert neuorganisieren, unbeliebte Aufgaben innerhalb der ökologischen Grenzen automatisieren, aufteilen und rotieren, kollektive Absprachen finden und Suffizienz nutzen. Ist die Arbeit keine Ware mehr und deshalb die Eigenmotivation der Arbeiter*innen ihr primärer Grund zu arbeiten, dann müssen Betriebe die Arbeit nach deren Bedürfnissen gestalten. Mehr noch, gerade die Betriebe, die Arbeit besonders angenehme, aber auch effizient organisieren, finden besonders viel Unterstützung. Stefan Meretz und ich sprechen deshalb von Inklusionslogik: Es ist nahegelegt, die Bedürfnisse anderer einzubeziehen, nicht auszuschließen. Diese Logik der Inklusion gilt auch für die Kooperation zwischen den Betrieben: Ignoriert eine Fabrik ökologische Standards (wobei sich die Frage stellt weshalb, Profit spielt ja nun keine Rolle mehr) oder versucht Güter unfair zu verteilen, ergeben sich wahrscheinlich Probleme mit Zuliefer- und Kooperationspartner*innen. Gerade Abhängigkeit von anderen legt die Inklusion der Bedürfnisse der Vielen nahe. Aber zurück zur Arbeit. Ein Ende des Zwanges bedeutet auch, dass Automatisierung nicht dort stattfindet, wo sie Profite steigert, sondern wo sie Menschen von unbeliebter Arbeit entlastet. Technik wird somit (endlich) bedürfnis- nicht profiteffizient. Schon heute teilen und rotieren Menschen häufig unbeliebte Arbeiten, wenn man andere nicht einfach durch Lohn, Patriarchat oder Rassismus zu ihnen erpressen kann. Vielleicht entscheiden sich manche Kommunen sogar dazu, dass alle Bewohner*innen 10 Arbeitstage im Jahr in dauerhaft unterbesetzten Betrieben – seien dies Kitas oder Metallfabriken – aushelfen sollen. Finden sich für manche nicht notwendige Arbeiten zu wenige, weil die Ernte der Erdbeeren oder die Fabrikarbeit zu anstrengend ist, kann das diese Gesellschaft auch „aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt [lassen], anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen“ (Adorno 1983: 178). Faulheit gehört in Maßen zu Postwachstum. Gerade darin besteht die Freiheit einer sich selbstbestimmenden Menschheit: Entscheiden welches Resultat die Zeit, Energie und Ressourcen wert sind.
Gebrauchswertorientierte Planung
In der Kommandoplanung, wie in der Marktwirtschaft, widersprechen sich individuelle und gesellschaftliche Interessen. Den Arbeiter*innen und Betrieben geht es um Lohn bzw. Profit, und nur sekundär um gute Produkte oder Dienstleistungen. Jenseits des Arbeitszwangs motiviert Arbeiter*innen nur der Gebrauchswert ihrer Arbeit. „Es gibt keine Logik mehr, die Kostensenkung und kurzfristig orientierte Überlastung der Ökosysteme erzwingt“ (Winker 2021: 93). Aber natürlich gibt es auch in dieser Gesellschaft Konflikte: von was produzieren wir wieviel? Sind sie Produkte den Aufwand wert? Wie verteilen wir Reichtum gerecht? Aber im Commonismus können sich Menschen(gruppen) nicht mehr durch Geld und politische Macht durchsetzen. Entscheiden Menschen und Betriebe nach Gebrauchswerten erhalten meist jene Vorschläge die höchste materielle und soziale Unterstützung, die am inklusivsten verschiedene Interessen verbinden und abwägen. Dabei stellt sich die Frage, wie die konkrete Planung und Koordination dieser Gesellschaft aussehen könnte. Hierbei gibt es eine zentral-rätedemokratische und eine dezentral-anarchistische Tradition. In unserem Vorschlag des Commonismus versuchen wir beide Planungstraditionen zu verbinden, aber sicherlich bedarf es hier noch mehr Forschung und Diskussion.
Die Abschaffung des Arbeitszwang scheint wünschenswert aber fern, aber was ist die Alternative? Der grüne Kapitalismus ist unmöglich, die rot-grüne Kommandowirtschaft ist weiter patriarchal, ineffizient, konsumzentriert und hat autokratische Tendenzen. Wir brauchen eine dritte Alternative jenseits von Markt- und Kommandowirtschaft.
Weiterführende Medien:
Sutterlütti/Meretz (2018): Kapitalismus aufheben, https://commonism.us, Kapitel 6.
Dissens Podcast (2021): Wer macht eigentlich die Müllabfuhr, wenn kein Kapitalismus mehr ist?, #107 Wer macht eigentlich die Müllabfuhr, wenn kein Kapitalismus mehr ist? – Dissens
Future Histories Podcast (2021): Stefan Meretz zu Commonismus, https://www.futurehistories.today/episoden-blog/s01/e47-stefan-meretz-zu-
Lutosch, Heide (2022): Wenn das Baby schreit möchte man doch hingehen, https://communaut.org/de/wenn-das-baby-schreit-dann-moechte-man-doch-hingehen (Feministische Kritik)
Neumann, Matthias (201): Sorgebeziehungen ernst nehmen – Das Ganze der Arbeit solidarisch gestalten, https://www.youtube.com/watch?v=eg-ZIK3ia7Y&list=PLXqXnrniLOF5G2gw1nB9LAdEFyo6kakqp&index=8
Sutterlütti, Simon (2021): Commonismus: Koordination und Planung, https://www.youtube.com/watch?v=N6_uKWGKEpM