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Ökoroutine und Wirtschaftsförderung 4.0

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Zur Neuerscheinung von Michael Kopatz „Ökoroutine – Damit wir tun, was wir für richtig halten

Der Alltag besteht aus vielen Entscheidungen. Die meisten werden ohne viel Überlegen getroffen, eben aus Routine, weil die Preise es nahe legen oder weil die Infrastruktur so gebaut ist. Auch wenn ich überzeugt bin, dass angesichts der Welt und Umwelt ein anderer nachhaltiger Lebensstil nötig ist, so ist es mühsam, anstrengend und zeitraubend gegen den Strom (und den Mainstream) zu schwimmen. Deshalb braucht es Rahmenbedingungen, die ein gutes Leben einfacher machen. Um diese zu schaffen, braucht es Suffizienzpolitik.

Es braucht ein Rahmenwerk für eine Gesellschaft, in der „Öko“ nicht die sonderbare und jeweils erklärung-und legitimationsbedürftige Abweichung vom normalen, also nicht nachhaltigen Verhalten ist, sondern der normale, erwartbare Verhaltensstandard“, so Harald Welzer in seinem Vorwort.

Im Buch „Ökoroutine“, das eine Fülle von – auch internationalen – Beispielen für wirksame politische Maßnahmen bereithält, findet sich auch ein umfangreiches Kapitel, das zunächst erstaunen mag: Wirtschaftsförderung 4.0. Der Kunstbegriff – in Anlehnung an Industrie 4.0 – eröffnet einen neuen Blick auf das Gestaltungsfeld einer innovativen Wirtschaftsförderung, vor allem auf regionaler Ebene. Sie zielt vor allem auf regionale und kooperative Wirtschaftsformen und Unternehmen, die der Daseinsvorsorge dienen. Sie soll Initiativen unterstützen, die Do-It-Yourself, Selbstversorgung, Bildung und Nachbarschaftshilfe zum Ziel haben. All das, was derzeit schon in Tauschringen, Repair-Cafés und in Stadtgärten sprießt und was teilweise auch schon von Kommunen unterstützt wird. Aber bisher gibt es kaum systematische kommunale Förderkonzepte. Kopatz‘ Vorschlag ist es, solche Förderkonzepte strategisch in die Wirtschaftsförderung zu integrieren, ergänzend zur bestehenden Wirtschaftsförderung – mit dem Ziel, die soziokulturelle Entwicklung der Kommunen voranzubringen. Für diesen Ansatz spricht, dass es offenbar einen gesellschaftlichen Bedarf gibt, der sich in der Vielzahl kommerzieller und auch nichtkommerzieller Initiativen zu neuen Lebens- und Wirtschaftsformen widerspiegelt. Diese verbessern die Lebensqualität der Einzelnen und der Städte, stärken den sozialen Zusammenhalt und damit auch die soziale Stabilität der Kommunen.

Bisher sollte soziale und wirtschaftliche Stabilität vor allem durch Wirtschaftswachstum erreicht werden. Diesem Ziel diente auch die kommunale Wirtschaftsförderung. Zunehmend wird deutlich, dass eine Rückkehr auf die Wachstumspfade der vergangenen Jahrzehnte sowohl ökologisch problematisch als auch de facto kaum erreichbar ist, und Wirtschaft und Gesellschaft sich auf Zeiten mit geringen BIP-Wachstumsraten, ein gleichbleibendes oder ein rückgängiges Bruttoinlandsprodukt einstellen sollten. Resilienz– als Krisenfestigkeit und Anpassungsfähigkeit – wird damit ein wichtiges Ziel der Kommunen und Wirtschaftsförderung 4.0 ein zeitgemäßes Instrument, zu dem das Buch „Ökoroutine“ viel Anregung und Motivation liefert.

Weitere Literatur zum Thema:

Uwe Schneidewind, Alexandra Palzkill-Vorbeck: Suffizienz als Business Case. Nachhaltiges Ressourcenmanagement als Gegenstand einer transdisziplinären Betriebswirtschaftslehre Impulse zur WachstumsWende Nr. 2 (Dezember 2011)

IÖW-Broschüre: Wir sind so frei. Elf Unternehmen lösen sich vom Wachstumspfad (2015)

Uwe Schneidewind, Angelika Zahrnt: Damit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven einer Suffizienzpolitik (2013)

Landkarte Suffizienzpolitik (2016)

BUND-Kurzstudie: Kommunale Suffizienzpolitik. Strategische Perspektiven für Bund, Länder Kommunen (2016)

BUND-Blog: Stadt Land Glück

Prof. Dr. Angelika Zahrnt ist Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und war von 1998 bis 2007 Vorsitzende. Von 2001 bis 2013 war sie Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der deutschen Bundesregierung und im Strategiebeirat Sozial-ökologische Forschung des deutschen Bundesforschungsministeriums. Seit 2010 ist sie Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Sie hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht, u.a. zu den Themenbereichen Nachhaltigkeit, Produktlinienanalyse, Ökologische Steuerreform, Ökologie und Ökonomie, Frauen und Ökologie. Sie war u.a. Initiatorin der Studien „Zukunftsfähiges Deutschland“ (Basel 1997 und Frankfurt a.M. 2008). Zusammen mit Irmi Seidl ist sie außerdem Herausgeberin des Buches „Postwachstumsgesellschaft - Konzepte für die Zukunft“ und Mit-Initiatorin des Blogs Postwachstum.de. Mit Uwe Schneidewind hat sie das Buch „Damit gutes Leben einfacher wird – Perspektiven einer Suffizienzpolitik“ geschrieben. 2006 und 2013 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen und 2009 der Deutsche Umweltpreis.

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