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Krise und Formen alternativen Wirtschaftens in Griechenland

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Griechenland ist seit Anfang 2010 zu einem gesellschaftlichen Krisenlabor geworden, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen hat die EU in Kooperation mit dem IWF mit den Kreditverträgen vom Mai 2010 der griechischen Gesellschaft eine Wirtschafts- und Sozialpolitik verordnet, in deren Folge es zu einem dramatischen Verarmungsprozess der Unter- und Mittelschichten gekommen ist. Zum anderen haben sich zahlreiche Varianten der Krisenbewältigung herausgebildet, die einen Bruch mit traditionellen Orientierungen, Organisationsformen und Verhaltensweisen markieren.

Große Teile der griechischen Gesellschaft befinden sich in einem Zustand der Paralyse, die ihren deutlichsten Ausdruck in der sprunghaft gestiegen Selbstmordrate gefunden hat. Von einer aktiven Minderheit, insbesondere von der äußerst heterogenen anarchistischen Strömung, gehen aber auch starke Impulse für einen gesellschaftlichen Wandel aus. Die Ideen der direkten Demokratie, der Selbstorganisation und Selbsthilfe auf lokaler und regionaler Ebene, des ökologischen, genossenschaftlichen Wirtschaftens und des zahlungsfreien Tausches haben sich in Griechenland rasant verbreitet. Dies ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zwar gibt es in Griechenland eine lange Tradition genossenschaftlichen Wirtschaftens und ökonomischer Selbsthilfe vor allem in der Landwirtschaft. Diese war aber in der Regel eng in die klientelistischen Netzwerke der Parteien eingebunden und hatte zudem kaum Berührungspunkte mit der Gedankenwelt der ökologischen Bewegung.

Die „Bewegung der Kartoffel“ – Formen solidarischer Ökonomie in Griechenland

Unter den Bedingungen der allgemeinen wirtschaftlichen Depression hat nun die Idee der Konsumgenossenschaft eine Renaissance erfahren: Um die Bevölkerung der städtischen Zentren mit günstigen Lebensmitteln zu versorgen und den Bauern Preise über den Erzeugerkosten zu ermöglichen, entwickelten sich zahlreiche Initiativen, die mit Hilfe des Internet den Direktverkauf von Grundnahrungsmitteln organisieren. Teilweise konnten sich diese Initiativen auf kommunale Verwaltungen stützen. Die Ausschaltung des Zwischenhandels mit seinen riesigen Gewinnspannen ist zweifelsohne für Produzenten und Konsumenten von Vorteil. Inwieweit sich diese von den Medien als „Bewegung der Kartoffel“ getauften Initiativen institutionalisieren können, ist allerdings unklar. Einzelne Initiativen sind dazu übergegangen, eigene Supermärkte zu etablieren, während viele Bauern dieses Jahr angesichts gestiegener Preise sich aus der Bewegung zurückgezogen haben.

Daneben sind in zahlreichen Städten Tauschringe und Regionalwährungen entstanden, mit denen vor allem Dienstleistungen getauscht werden. In ihren einfachsten Formen werden Arbeitsleistungen auf Berechnungsgrundlage der Arbeitszeit gegeneinander getauscht, es gibt aber auch Versuche, materielle Güter, vor allem Lebensmittel, einzubeziehen.

Bemerkenswert und in ihrem Ansatz darüber hinausgehend sind die Umsonstmärkte, auf denen Kleidung, Haushaltsartikel und anderer Güter zur Verfügung gestellt werden. Dabei steht weniger der Tausch von Äquivalenten im Mittelpunkt, sondern die Bereitstellung von bzw. die Versorgung mit Gütern nach dem Bedürfnisprinzip. Mehr als die zuvor genannten Modelle handelt es sich um eine Schenk-Ökonomie, die vom Prinzip der Solidarität getragen wird, durchaus aber Menschen mit einbezieht, die selbst keine oder nur in geringem Umfang Gebrauchswerte beisteuern.

Die mittlerweile bekanntesten Initiativen solidarischer Ökonomie sind im Gesundheitssektor entstanden. Ursprünglich handelte es sich um selbstorganisierte Gesundheitszentren, in denen Ärzten und Pflegepersonal auf freiwilliger Basis vor allem Migranten ohne Papiere kostenlos behandelten. Angesichts des Zusammenbruchs der Gesundheitsversorgung und der zunehmenden Zahl von Menschen, die aus der Krankenversicherung herausfallen, haben diese durch Spenden finanzierten Zentren an Bedeutung erheblich gewonnen. Von den beteiligten Aktivisten wird jedoch immer wieder betont, dass es vollkommen unmöglich ist, die Zerstörung des öffentlichen Gesundheitssystems auszugleichen.

Ebenso wie die Gesundheitszentren fußen die selbstorganisierten „kollektiven Küchen“ auf Spenden und freiwilliger Arbeit. Mit ihrer Unabhängigkeit von staatlichen, kommunalen oder kirchlichen Einrichtungen stellen sie einen wichtigen Pfeiler sozialer Selbstorganisation dar.

Aus dem Bankrott in die Genossenschaft: Vio.Me

Ein Novum für griechische Verhältnisse stellt die Übernahme der Baustofffabrik Vio.Me durch die Belegschaft in Saloniki dar. Der Betrieb war infolge des Bankrotts der Muttergesellschaft geschlossen und schließlich von den Arbeitern besetzt worden. Flankiert von einer breiten Solidaritätswelle wurde die Produktion in diesem Jahr als Genossenschaft der ArbeiterInnen wieder aufgenommen. Die Belegschaft, und das unterscheidet Vio.Me von traditionellen Genossenschaften, hat sich zur Aufgabe gestellt, die Produktion ökologisch zu gestalten.

Ein weiteres Beispiel für die Übernahme eines Betriebes stellt die „Zeitung der Redakteure“ dar. Nachdem die bedeutendste linksliberale Tageszeitung, die „Eleftherotypia“ (Freie Presse) ihr Erscheinen eingestellt hatte, ergriffen große Teile der Belegschaft die Initiative und gründeten eine neue Zeitung. Trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes konnte diese sich Zeitung bisher behaupten.

Derartige Formen der direkten Aktion bewegen sich konträr zu den Traditionen der griechischen Arbeiterbewegung und werden insbesondere von den kommunistischen Gewerkschaften misstrauisch beäugt. Die breite Unterstützung für die ArbeiterInnen von Vio.Me ist jedoch ein Indiz dafür, dass die Übernahme von Unternehmen durch die Belegschaften paradigmatisch für die sozialen Bewegungen werden könnte.

Das Grundprinzip lautet Solidarität

Versucht man, ein Grundprinzip aus der Mehrzahl der Projekte und Initiativen herauszuarbeiten, so sticht die Solidarität heraus: Weniger klassische Formen des Tausches, sondern gegenseitige Hilfe und Bewahrung der menschlichen Würde als gesellschaftliches Gut bilden eine wesentliche Basis. Vielfach sind diese vielfältigen Initiativen nicht unabhängig vom politischen Kampf gegen die in Griechenland etablierten Formen autoritärer Herrschaft.

Ein wesentliches Problem stellt die Frage dar, inwieweit diese Initiativen verallgemeinerbar sind. Es liegt auf das Hand, dass die gegenwärtigen Formen vor allem den Zweck haben, die gesellschaftlichen Reproduktionsmöglichkeiten zu verteidigen. Ihre Zukunft wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, die zentralen Bereiche der Ökonomie, zu deren Kern die Banken gehören, einzubeziehen. Ohne dahin gerichtete koordinierte politische Initiativen wird dies ebenso wenig möglich sein wie ohne internationalen Rückhalt ähnlicher Initiativen in anderen Ländern.

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