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Kommt bald das Recht auf Werbefreiheit?

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Eine Berliner Initiative hat Großes vor: Sie möchte das Ende der Ära der Kommerzialisierung der Stadt einläuten

Wie präsent Werbung und Konsum auf den Straßen und Plätzen unserer Städte sind, bemerken viele Menschen höchstens unbewusst. Spricht man das Thema im Bekanntenkreis an, erntet man oftmals fragende Blicke – so sehr haben wir uns schon an die Allgegenwärtigkeit des Kommerzes gewöhnt und nehmen ihn als normalen Bestandteil des öffentlichen Raums wahr. Seit ich von der Bürgerinitiative Berlin Werbefrei gehört habe fällt mir jedoch zunehmend auf, wie penetrant und aufdringlich die ständigen Werbebotschaften in Bussen und Bahnen, an Hauswänden, an Bushaltestellen und auf freistehenden Werbetafeln sind. Inzwischen fühle ich mich in bestimmten Stadtteilen manchmal wie in einer Dauerwerbesendung – mit kaputter Fernbedienung. Denn ausblenden oder abschalten kann ich die Werbung in der Stadt leider nicht. Die Initiative setzt sich nun mit einem Gesetzentwurf dafür ein, diese konstante Reizüberflutung durch Produkt- und Dienstleistungswerbung auf unseren Straßen und Plätzen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Ob das funktionieren kann?

Laut Fadi El-Ghazi schon. Der Rechtsanwalt und Mitgründer der Initiative läuft seit Bekanntwerden des Vorhabens von einem Pressetermin zum nächsten. Das Interesse ist groß, und die Meinungen scheiden sich bei dem Thema gewaltig. Mit einem freundlichen Lächeln erklärt er, worum es den Aktivisten geht: „Unser Hauptanliegen ist es, ein Zeichen gegen die Kommerzialisierung der Stadt zu setzen und eine demokratische Entscheidung über die Nutzung des öffentlichen Raums herbeizuführen. Wir sind der Meinung, dass dieser nicht nur großen Konzernen als Projektionsfläche für ihre Werbekampagnen dienen, sondern von allen BürgerInnen genutzt und gestaltet werden sollte. Immerhin ist er Gemeingut und Lebensraum, und eben keine Ware.“

Laut dem Gesetzentwurf, den die Gruppe beim Berliner Senat eingereicht hat und für den sie derzeit ein Volksbegehren anstößt, wäre kommerzielle Werbung im öffentlichen Raum Berlins ab Inkrafttreten mit wenigen Ausnahmen unzulässig. Werbung für Veranstaltungen und gemeinnützige sowie kulturelle Zwecke wäre hingegen weiterhin möglich, allerdings auf dafür vorgesehenen Flächen (z.B. Litfaßsäulen) und begrenzt auf das Maximalmaß A0. Außerdem dürfte jedes Geschäft an der eigenen Fassade weiterhin für sich werben, solange eine Höhe von 10 Metern nicht überschritten wird. Dass ein solcher Schritt möglich ist, haben Städte wie Sao Paulo in Brasilien und Grenoble in Frankreich mit ihren Außenwerbeverboten bereits bewiesen.

Die Auswirkungen des Gesetzes auf das Gesicht der Stadt und die Wahrnehmung des öffentlichen Raums wären wohl enorm. „Ich freu mich schon auf eine Stadt ohne Werbung. Ohne die nervigen, sich ständig und überall aufdrängenden Kaufaufforderungen, die häufig geschmacklosen oder herabwürdigenden Werbebotschaften… Stattdessen wäre der Blick wieder frei auf Architektur, Grünflächen oder einfach den Himmel. Und die ein oder andere triste Mauer wäre ohne Werbung eine wunderbare Fläche für Kunst“, sagt Sarah Mohs, Produktdesignerin und ebenfalls Mitgründerin der Initiative.

Abgesehen von einer visuellen Beruhigung des Stadtbilds bedeutet ein solches Außenwerbeverbot eine spürbare Aufwertung des öffentlichen Raums – als Stätte der Begegnung, des gesellschaftlichen Lebens und des Austauschs. Es wäre ein Zeichen dafür, dass nicht alle Lebensbereiche der Kommerzialisierung preisgegeben werden müssen und dass öffentliche Güter als solche geschätzt und geschützt werden. Darüber hinaus käme kleineren Geschäften wieder mehr Aufmerksamkeit zu – weshalb sich der lokale Einzelhandel darüber freuen kann.

Auch für öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Hochschulen und sogar die Berliner Verkehrsbetriebe werden durch den Gesetzentwurf Regelungen geschaffen: Etwa ein Werbeverbot für Kitas und Schulen (das es bisher auf Gesetzesebene nicht gibt), und klare Regelungen für Sponsoring an Hochschulen, die hier für Transparenz sorgen sollen. Ziel dieser Regelungen ist ein Schutz der Neutralität und Unabhängigkeit öffentlicher Institutionen.

Wer sich ein wenig mit den psychischen, ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Werbung beschäftigt, fragt sich schnell, warum wir Werbung nicht schon längst aus dem Stadtbild – und vielleicht auch aus anderen Bereichen – verbannt haben. Abgesehen davon, dass Werbung Stress und Depressionen begünstigen kann, ist sie vor allem eins: Massive Ressourcenverschwendung. Für Werbetafeln werden Unmengen an Papier und Kleister verwendet – nur, um nach wenigen Tagen wieder ausgetauscht zu werden. Digitale Werbetafeln fressen massiv Strom und tragen zur Lichtverschmutzung bei. Darüber hinaus sind gerade auch im Zuge einer Postwachstumsdebatte die menschlichen Ressourcen, die Werbung beansprucht, nicht zu vernachlässigen. Wie viel Energie und Kreativität werden dafür verschwendet, immer neue Werbekampagnen zu entwickeln und damit die Konsumlust anzufeuern? All die Menschen, die daran beteiligt sind, könnten ihre Energie auf so viel sinnvollere Weise nutzen.

Doch ein System, das auf Wachstum angewiesen ist, kommt ohne das Wecken immer neuer Bedürfnisse nicht aus. Wer sich für suffiziente Konsumweisen einsetzt, muss daher ständig gegen die übermächtige Werbewirtschaft anarbeiten – letztlich eine Sisyphos-Aufgabe. Ein Außenwerbeverbot ist in Anbetracht der Vielfalt an Werbemöglichkeiten sicherlich nur ein kleiner Schritt, doch er geht in die richtige Richtung und sendet ein wichtiges Signal. Und die Debatte darüber kann helfen, mehr Menschen für die Kommerzialisierung des öffentlichen Lebens und die dahinter versteckten Wachstumsparadigmen zu sensibilisieren. Sollte Berlin als erste europäische Hauptstadt ernst machen und das „Recht auf Werbefreiheit“ einführen, werden mit großer Wahrscheinlichkeit andere Städte folgen.

 

Beitragsbild: © Berlin Werbefrei

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