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Landwirtschaftliche Entwicklung und Degrowth im Rahmen von Bioökonomie in Tansania

Bioökonomien tragen zu einer Reorganisation des Wirtschaftssystems bei, da fossile Energieträger durch Erneuerbare ersetzt werden und deshalb Biomasse als Produktions- und Energierohstoff benötigt wird (Sillanpää; Ncibi 2017: 11, 30). Werden Aspekte der Suffizienz – also der Frage, was genug ist – nicht berücksichtigt, benötigen insbesondere die Wirtschaftssektoren des Globalen Nordens auf ihrem Weg hin zu Bioökonomien viel mehr Biomasse für ihre Produktionsindustrien. Deshalb wird die Produktion von Biomasse auch in Länder des Globalen Südens „exportiert“, wo Kleinbauern und -bäuerinnen oft das Herzstück des Agrarsektors sind. Da mit Hilfe von Bioökonomien Nachhaltige Entwicklung  gefördert werden soll (Kröber; Potthast 2015: 366, Heimann 2019: 54), müssen Fragen der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit beachtet werden. Aus Gerechtigkeitsgründen ist es wichtig, die (zukünftigen) Produzent*innen von Biomasse im Globalen Süden zu berücksichtigen und ihre Vorstellungen und Meinungen zu einem guten Leben, Landnutzung und Mensch-Natur-Beziehungen zu verstehen.

Tansanische Visionen von landwirtschaftlicher Entwicklung

Tansanische Bürger*innen sind sich nicht einig über die Zukunft landwirtschaftlicher Entwicklung in ihrem Land und es gibt drei verschiedene Visionen dieser, wie bereits Aminzade et al. (2018) gezeigt haben. Zwei dieser Visionen werden vom internationalen und nationalen politischen Mainstream gestützt. Beide beinhalten Vorstellungen von wirtschaftlichem Wachstum, privaten Investitionen und genetisch modifizierten Organismen (GMO), um die Produktivität zu steigern.

Die dritte Vision beinhaltet jedoch alternative Vorstellungen und rückt die Verbesserung von Bedingungen für Kleinbauern und -bäuerinnen in den Vordergrund. Diese Vision wird von einer sehr heterogenen Gruppe von Menschen unterstützt, die verschiedene Ideen von Mensch-Natur-Beziehungen haben und beispielsweise wirtschaftliches Wachstum und Produktivität unterschiedlich bewerten.

Im Rahmen meiner Forschungsaktivitäten habe ich mit Hilfe einer Diskursanalyse die Visionen von einem guten Leben, (nachhaltiger) Landnutzung, Intensivierung und Wachstum bei tansanischen Kleinbauern und -bäuerinnen analysiert. So konnte ich verschiedene Typen innerhalb der dritten tansanischen Vision landwirtschaftlicher Entwicklung ausmachen, zwei davon möchte ich im Folgenden genauer vorstellen.

Der Sustainable Ujamaa Typ

Der Sustainable Ujamaa Typ vereint Ideen und Wertehaltungen, die teilweise im Kontext Nachhaltiger Entwicklung zu verorten sind und teilweise im Kontext der Ujamaa-Politik unter Präsident Nyerere (1967-1985) in Tansania vertreten wurden. Diese verfolgte eine Form von afrikanischem Sozialismus, die auf den Werten und Lebensgewohnheiten einer „traditionellen afrikanischen Familie“ fußte. Dies sind beispielsweise Einheit, Gerechtigkeit, Eigenverantwortung und Selbstversorgung.

Der Sustainable Ujamaa Typ fokussiert auf der Ujamaa-Seite Ernährungshoheit und Selbstversorgung und sieht Land als gemeinschaftliche Ressource an. Auf der Seite Nachhaltiger Entwicklung stehen die Ablehnung von GMO und industrieller Agrar-Chemie, wie Düngemitteln sowie der Fokus auf alternative landwirtschaftliche Methoden. Thematische Überschneidungen liegen bei der sozialen Bedeutung von Natur und ihrem kulturellen Wert sowie bei der Vorstellung, dass Menschen sich um Natur und andere Menschen kümmern. Der ökonomische Fokus liegt auf regionalen Wirtschaftskreisläufen, Effizienz sowie Selbstversorgung. Gleichzeitig sieht der Sustainable Ujamaa Typ wirtschaftliches Wachstum als Grund für die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Gütern in einer kapitalistischen Gesellschaft an. Aus diesem Grund unterstützen Befürworter*innen des Sustainable Ujamaa Typ ein moderates und langsames Wirtschaftswachstum.

Der Harmonie-Typ

Der Harmonie-Typ betrachtet Natur als „Mutter Erde“. Diese beeinflusst das Identitätsgefühl von Menschen und auch lokale Rechtssysteme. Ökologische Landwirtschaft, Nachhaltige Entwicklung und die Erhaltung von Biodiversität und Ökosystemen werden angestrebt, während die Degradation von Böden vermieden wird. Der Harmonie-Typ zielt auf ökologische Interaktionen ab, die in selbsterhaltenden Kreisläufen stattfinden. Das Hauptziel ist eine ausgeglichene Beziehung zwischen Menschen und Natur. Da Natur als „Mutter Erde“ wahrgenommen wird, was sich in der Subjektivierung von Natur als „she“ sowie in Metaphern des sich Kümmerns zeigt, darf sie nicht ausgebeutet, sondern muss gut behandelt werden. Deshalb setzt der Harmonie-Typ auf ökologische Landwirtschaft. Zudem werden Wirtschaftswachstum und Kommerzialisierung kritisch gesehen, da beide nicht zum Ziel der ausgeglichenen Mensch-Natur-Beziehung beitragen.

Was folgt daraus?

Der tansanische Diskurs zu landwirtschaftlicher Entwicklung beinhaltet somit Visionen, die moderates und langsames Wirtschafswachstum favorisieren oder diesem sogar kritisch gegenüberstehen. Der Sustainable Ujamaa Typ und der Harmonie-Typ können somit Anknüpfungspunkte an einen tansanischen Diskurs über Degrowth und Postwachstum bieten. Beide Typen zeigen, dass wachstumskritische Diskussionen auch für Akteur*innen und Interessensgruppen im Globalen Süden interessant und wichtig sind, auch wenn diese Diskussionen momentan hauptsächlich noch von Ländern des Globalen Nordens geprägt werden und der Diskurs in Tansania noch nicht auf einer politisch einflussreichen Ebene geführt wird.

Vor diesem Hintergrund lassen sich auch Verbindungen zwischen den Critical Agrarian Studies (CAS) und der Degrowth-Bewegung knüpfen. Beide untersuchen soziale und ökologische Ungleichheiten, die in Macht, Geld und Zugang zu (natürlichen) Ressourcen sichtbar werden. Zudem suchen sie nach den Gründen und Ursachen dieser Ungleichgewichte. Nach Gerber (2020) können sich CAS und Degrowth gegenseitig bereichern, da beide kapitalistisches Wachstum problematisieren und Alternativen entwickeln.

Degrowth-Diskurse im Globalen Süden können für Akteur*innen im Globalen Norden neue Perspektiven und Argumentationsweisen aufzeigen, von denen diese lernen können. Insbesondere wenn Menschen im Globalen Süden als (zukünftige) Produzent*innen für die Bioökonomien des Globalen Nordens betroffen sind, müssen Ideen und Vorstellungen des Globalen Südens aus Gründen der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit berücksichtigt werden.

Ich bedanke mich herzlich bei Eugen Pissarskoi für seine hilfreichen Kommentare.

 

 

Literatur:

Aminzade, R.; Schurman, R.; Lyimo, F. 2018. Circulating Discourses. The Case of Agricultural Development in Tanzania. Sociology of Development. https://doi.org10.1525/sod.2018.4.1.70.

Gerber, J.-F. 2020. Degrowth and Critical Agrarian Studies. The Journal of Peasant Studies. DOI: 10.1080/03066150.2019.1695601.

Heimann, T. 2019. Bioeconomy and SDGs: Does the Bioeconomy Support the Achievement of the SDGs? Earth’s Future. DOI: https://doi.org/10.1029/2018EF001014.

Kröber, B.; Potthast, T. 2015. Bioeconomy and the future of food – ethical questions. In Know your food – Food ethics and innovation, eds. Dumitras, D. E., Jitea, I. M., Aerts, S., 366-371. Wageningen: Wageningen Academic Publishers.

Sillanpää, M.; Ncibi, C. 2017. A Sustainable Bioeconomy. The Green Industrial Revolution. Cham: Springer International Publishing.

 

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